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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

einander abgesondert. Am besten ist es, wenn man die Männchen in verschiedene Zimmer vertheilt; da es aber oft an Raum mangelt, so gebieten die Umstände die Anhäufung mehrerer Männchen in einem Zimmer, wobei übrigens vermieden werden muß, daß sie sich gegenseitig sehen können. In manchen Wohnungen der Vogelsberger Dompfaffenzüchter sind sogar in den Viehställen Käfige mit jungen Dompfaffen angebracht. Die Männchen vermag man erst mit Sicherheit zu unterscheiden, wenn die rothen Federn an der Brust und der Kehle zum Vorschein kommen. Um die Ausscheidung der Weibchen, denen die Freiheit gegeben wird, vornehmen zu können, zieht man den Jungen sämmtlich einige der Brustfedern mit schnellem Ruck an verschiedenen Stellen aus. Wachsen röthliche Federn nach, so hat man ein Männchen vor sich, während der Nachwuchs brauner Federn untrüglich für ein Weibchen spricht. Es kommt zum Aerger des Pflegers vor, daß in einem Neste nur Weibchen sind, zu seiner Freude aber auch, daß der umgekehrte Fall, freilich weit seltener, sich ereignet, nämlich, daß die ganze Brut in Männchen besteht.

Der Standort des Käfigs befindet sich in leichtem Dämmerlicht, da, wo der Vogel nur die nächste Umgebung überblicken kann und nicht durch die zerstreuenden Erscheinungen der freien Welt abgelenkt wird. Im Zimmer selbst sind ebenfalls auffallende Auftritte ferne zu halten, namentlich ist der Vogel vor Schrecken und Aergerniß zu bewahren, wozu er seinem reizbaren Naturell zufolge sich sehr geneigt zeigt. Zu jeder Tageszeit darf ihm das auserwählte Lied vorgepfiffen werden, wiewohl der frühe Morgen und die späten Nachmittagsstunden besondere Berücksichtigung verdienen. Kein Kunstinstrument kommt im Entferntesten dem menschlichen Munde als lehrendes Mittel gleich. Mit dem runden, vollen Ton muß das Lied rein und deutlich in einem Zug von Anfang bis zu Ende vorgepfiffen werden. Dabei nähert sich der Pfeifende dem Gitter des Käfigs unmittelbar, so daß der Dompfaffe gänzlich gefesselt dem Vortrage lauscht. Neben Deutlichkeit, Reinheit des Tons und Tactmäßigkeit ist Festhalten der Tonhöhe unbedingt geboten, welche zwar der musikalisch Gebildete leicht zu treffen versteht, welche dagegen bei der geringsten Unsicherheit von Seiten eines Anderen mit Hülfe der Stimmgabel gesucht werden muß. Das Lied darf nicht zu umfangreich oder zu complicirt, die Melodie muß faßlich und behaltbar, einfach, in mittlerer Tonlage sich bewegend und von ansprechender Wirkung sein. Der heitere und ernste Charakter des Liedes eignet sich in gleicher Weise für den Lehrling, nur wird man in der Wahl des Tempos immer Rücksicht nehmen müssen auf das bedächtige, etwas schwerfällige Auftreten und Wesen des Dompfaffen, welches sich auch im Vortrage nicht verleugnet. Die getragenen Melodien werden unstreitig am schönsten und charakteristischsten wiedergegeben, vorzüglich die lyrisch-wehmüthigen Weisen, weil in dem Tone des Vogels selbst Anklang und Verwandtschaft liegt.

Uebrigens nimmt man in dieser Beziehung mannigfache Unterschiede zwischen den Lehrlingen wahr. Während der eine in der allermechanischsten Weise nachpfeift, legt der andere einen gewissen Schmelz und geheimen Zauber in seinen Vortrag, welcher in der Eigenartigkeit seines Stimmorgans begründet ist. Es erscheint dieser Umstand unabhängig von dem Ausdruck, welcher dem Vogel durch die ästhetische Betonung und andere geschmackvolle Beobachtungen im Vortrag von Seiten des Lehrers beigebracht wird, und ist schwerer zu schildern als durch aufmerksames Zuhören herauszufinden. Ich bin weit davon entfernt, den gelehrten Vogel für fähig zu halten, die in einer Melodie ausgedrückte Empfindung der menschlichen Seele nachfühlen zu können, nein, so hoch versteigen sich meine Begriffe von der Thierseele nicht, ich weiß vielmehr und spreche es mit untrüglicher Sicherheit aus, daß das gelernte Lied des Vogels einzig und allein auf mechanischer Nachahmung beruht. Dennoch pfeift nach menschlicher Auffassung der eine Dompfaffe empfindungsvoller als der andere, natürlich immer nur unbewußt. Hier kann man eben so gut wie bei den Sängern unter den Menschen von sympathischen und nichtsympathischen Stimmen reden.

Der Lehrmeister unseres Dompfaffen hat aber noch andere Regeln zu beobachten, als diejenigen, welche ich bereits angegeben habe. Ich will nicht unerwähnt lassen, indem ich auf vorhin allgemein Ausgedrücktes hinweise, daß in dem Zimmer oder in der Nähe desselben keine schreienden oder singenden Vögel geduldet werden dürfen, auch sollen sich die menschlichen Hausbewohner des Pfeifens während der Lehrzeit des Dompfaffen gänzlich enthalten, weil zu befürchten ist, derselbe fasse Einzelnes auf und mische es in das zu erlernende Lied ein oder werde doch wenigstens irre gemacht. Mit der vollständigsten Isolirung des Lehrlings legt man den ersten Grund zu günstigem Erfolg.

Wenn schon die lernende Amsel zum Absetzen inmitten der Melodie geneigt ist, so zeigt sich diese Unart nicht weniger bei dem Dompfaffen. Der Grund des Absetzens und Pausenmachens kann in Erschrecktwerden liegen, gewöhnlich aber ist er Folge mangelhaften Vorpfeifens. Ohne Ausnahme muß das Lied gerade durchgepfiffen werden. Viele Lehrmeister glauben aber dadurch sicherer und rascher an das Ziel zu kommen, wenn sie dem, wie man zu sagen pflegt, steckenbleibenden Schüler an der Stelle des Anstoßes forthelfen. Der Lernende meint, er müsse hier auch wiederholen und wird dadurch ein sogenannter Radbrecher, der nie das Lied in einem Zug und Fluß durchpfeift. Daß es dem einen Exemplar leichter fällt, das Lied nachzupfeifen, als dem andern, bestätigt die Erfahrung. Es giebt gänzlich unfähige Lehrlinge, an denen Zeit und Athem verschwendet werden; man macht Bekanntschaft mit mittelmäßig Begabten, bei denen Fleiß und Ausdauer endlich zum Ziel führen; es ragen aber auch wunderbar talentvolle Vögel weit über ihre Brüder hervor, welche gleichsam spielend die Melodie tief in sich aufnehmen und mit staunenswerther Gewandtheit, Treue und Anmuth wiedergeben. Sie sind sogar im Stande, mehrere kleine Liedchen zu erlernen und nie dieselben zu vermengen.

Mein Bruder Adolph in Gladenbach hatte vor mehreren Jahren zwei Dompfaffenmännchen gezogen, von denen er sich das größere und stärkere zum Liebling in der Wohnstube erkor und mit größter Sorgfalt unter Beobachtung der besten Erfahrungsregeln in die Lehre nahm. Den kleineren, schwächlich, ja fast kränklich aussehenden Vogel versetzte er mit dem Käfig in die Küche, von wo aus dieser das Lied nur gedämpft aus der Stube her vernahm. Eines Tages aber überraschte der zurückgesetzte, in seiner trefflichen Begabung verkannte Dompfaffe meinen Bruder mit der Wiedergabe der ganzen Melodie, welche er nach Aussage meiner Schwägerin und der Köchin heimlich leise eingeübt hatte. Gerade dieser Vogel legte einen eigenthümlich zauberhaften Reiz in Stimme und Betonung. Ich vermuthe, daß die Entfernung, aus der er das Lied hörte, zur Bildung des zarteren und wehmüthig klingenden Tones wesentlich beitrug. Dieser Ausdruck paßte nun auch zu dem rührenden Liede:

 Eines Christen Tod
 Weiß von keiner Noth,

welches mein Vater componirt hat und das mit so vielen anderen seiner Lieder zur wahren Volksweise in unserm Lande nicht nur, sondern auch unter den Deutschen in vielen Städten Amerikas, wo Lehrer, die seine Schüler waren, der Verbreitung Vorschub leisteten, geworden ist. Der Bruder des begabten Vogels hatte durchaus nichts Sympathisches in seiner Stimme, vielmehr etwas unbestreitbar Leichtfertiges in Wesen und Vortrag, wozu ihm wahrlich durch den ernst gehaltenen, präcisen Vortrag seines Lehrmeisters ganz und gar keine Veranlassung gegeben war.

Zur Befestigung des Erlernten wird dem Dompfaffen auch nach Verlauf der eigentlichen Lehrzeit noch immer täglich die Melodie vorgepfiffen. Namentlich muß dies alljährlich zur Zeit der Mauser oder des Federwechsels geschehen, wo der Vogel eine Zeit lang schweigt und zum Vergessen hinneigt.

Was das Wesen und Betragen des Dompfaffen im Käfig betrifft, so ist der Grundzug seines Charakters, wie schon angedeutet, Launenhaftigkeit und große Reizbarkeit. Er zeigt bei seiner Zu- oder Abneigung gegenüber gewissen Persönlichkeiten unverkennbare Eigenartigkeit. Die Gewohnheit macht ihn vielfach zum Sclaven, weshalb ihn die geringste Veränderung in Aufregung versetzen kann. Merkwürdiger Weise begegnen ihm Personen, an die er sich nie anschließen mag und deren erster ihn abstoßender Eindruck dauernd wirkt. Dagegen tritt er Anderen heiter bis an das Gitter entgegen und giebt durch unzweideutige Beweise sein Wohlgefallen und sein Zutrauen zu erkennen. Worin die Ursache liegt, daß er dem weiblichen Geschlecht im Allgemeinen mehr huldigt als dem männlichen, wüßte ich nur mit der Hinweisung auf das sanftere Auftreten des ersteren zu erklären. Die Ausprägungen seiner Empfindungen sind sehr sprechend in seinem Benehmen. Dem Freunde und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)