Seite:Die Gartenlaube (1872) 179.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Wohlthäter begegnet er mit Bücklingen und Wendungen zur Rechten und Linken, sowie mit der Bereitwilligkeit, auf Commando oder Aufforderung sein Liedchen zu pfeifen; dem Verhaßten dagegen haucht er mit geöffnetem Schnabel entgegen, indem er sich im Zorn wie ein Bolzen aufbläst und so eine wahrhaft gegnerische Stellung einnimmt. Wird er gar von dem Gegenstande seiner Abneigung geneckt, so steigert sich die Erregung nicht selten zu einem solchen Grade, daß Krämpfe ihn befallen und zu Boden werfen. Selbst die zärtlichsten Schmeicheleien und auserlesensten Leckerbissen vermögen selten den eigensinnigen Vogel versöhnlich zu stimmen. Die Gewohnheit vermag es am ersten, ihn umzustimmen. Sein Gedächtniß ist vorzüglich, und er unterscheidet genau die verschiedenen ihm bekannten Erscheinungen.

Mein Bruder hatte seinen Dompfaffen, welchen er dem Vater geschenkt, ein ganzes Jahr nicht gesehen, dennoch erkannte der in freudige Aufregung versetzte Vogel seinen alten Pfleger augenblicklich wieder und begrüßte ihn mit nicht enden wollender Wiederholung seines Liedchens. Wie sehr der Dompfaffe die einmal gewohnte Erscheinung liebt, geht aus folgendem Erlebniß hervor.

Ein Müller pfiff seinem Dompfaffen stets mit der weißen Kappe auf dem Kopfe vor. Daran gewöhnte sich der Vogel so sehr, daß er, in andere Umgebung versetzt, förmlich zu trauern anfing und trotz aller dringenden Ermunterungen seiner neuen Pfleger das Pfeifen hartnäckig verweigerte. Da kam die Tochter des Hauses auf den Gedanken, sich eine weiße Nachtmütze ihres Vaters aufzusetzen und vor den Käfig des Vogels zu treten. Wie vom Zauber gerührt, erhob der Dompfaffe seine Stimme und stellte sich vor Freude ganz ungeberdig. Man sieht hieraus, daß die Dompfaffen unter Umständen ebenso gut um den Finger zu wickeln sind, als die Männer; es müssen nur unsere Schönen den Männern gewisse Lieblingsneigungen und unschuldige Gewohnheiten lassen, auf denen sie wie die eigensinnigen Dompfaffen bestehen.

Der Handel mit gelehrten Dompfaffen gewinnt immer mehr an Ausdehnung. Sehr auffallend ist es indessen, daß in unseren Gebirgsgegenden (Vogelsberg) in dem einen Dorfe kein einziger Einwohner sich um Dompfaffen kümmert, während in anderen ein großer Theil der Ortsbürger sich der Pflege und Abrichtung derselben leidenschaftlich widmet. Vorzugsweise sind es besondere Familien, in denen dieses Geschäft als Erbschaft seit vielen Jahrzehnten sich erhält. Die Buben müssen in Rücksicht hierauf schon frühzeitig den Mund zum Pfeifen spitzen und am Unterricht ebenso aufmerksam wie die Vögel theilnehmen.

Die meisten Züchter verkaufen ihre Dompfaffen nach vollendeter Lehrzeit umherreisenden Großhändlern, welche selten mehr als zehn Gulden oder sechs Thaler für den besten Vogel geben. Wenn ein Leinweber im Laufe des Jahres acht bis zwölf Männchen großfüttert und pfeifen lehrt, so gehört er noch nicht zu den bedeutenderen Kleinhändlern, von denen manche zwanzig bis fünfundzwanzig Stück an die Großhändler jeden Winter verkaufen. Der Preis des Vogels richtet sich nach feststehenden Regeln. Pfeift er auf Commando, setzt er die Melodie nirgends ab und trifft er durchweg den Ton sicher, so ist sein Werth entschieden. Pfeift er gar zwei Lieder ohne Fehler, so steigt sein Werth um Wesentliches. Endlich entscheidet auch die größere oder geringere Beliebtheit und Schönheit der Melodie. Um den Anforderungen hierin zu entsprechen, bestellen die Großhändler alljährlich bei den Kleinhändlern die Lieblingsmelodien ihrer Abnehmer in England. Es werden nämlich in der einen Gegend oder Stadt diese, in der andern jene Lieder vorgezogen. Danach richtet sich natürlich der Lehrmeister um deswillen gern, weil die Höhe seines Verdienstes davon abhängt.

Hat nun der Großhändler Hunderte von Dompfaffen erhandelt, so begiebt er sich auf die Reise und schlägt seine Waare in großen Städten mit Gewinn los. Immer aber muß er nicht geringe Procente abrechnen, weil auf der Reise nicht blos Vögel zu Grunde gehen, sondern auch mehrere durch die veränderte Lebensweise und den Wechsel der Umgebung derartig verstimmt und übler Laune werden, daß sie schweigen oder wenigstens nicht auf Commando pfeifen. Um diesem Uebelstande vorzubeugen, setzt der Händler Zeit und Mühe daran, sich unterwegs mit den Pfleglingen recht vertraut zu machen und ihre Eigenheiten zu erforschen, nach welchen er seine Behandlung einzurichten hat. Diese Sorgfalt wird vorzugsweise den sortirten besten Vögeln zugewendet. Dennoch bleibt manche Aergerniß erregende Erfahrung nicht aus. Für ausgezeichnete Exemplare erhält der Großhändler drei, vier, ja in einzelnen Fällen sogar fünf Pfund Sterling. Die mittelmäßigen oder gar geringen Exemplare werden dagegen auch gebührend gering bezahlt. Der Gewinn fällt nicht ein Jahr wie das andere aus, weil eben die Umstände den Erfolg des Unternehmens bedingen. Die Händler wissen die Eigenheiten der Engländer nicht genug hervorzuheben. Ihre Vorliebe zu gewissen Melodien bestimmt sie, mitunter wirklich verschwenderisch zu lohnen, während der kleinste Mangel sie veranlaßt, so wenig zu geben, daß der Einkaufspreis nebst den Transport- und Fütterungskosten nicht gedeckt wird. Unstreitig ziehen die englischen Großhändler, von denen die unsrigen ganz abhängig sind, den größten Gewinn. Diese Engländer verkehren mit den Deutschen mittelst Dolmetscher, welche sie selbst bestimmen. Die Unkenntniß der englischen Sprache und der Mangel an ausgedehnten Verbindungen sind Ursache, daß die deutschen Händler gewissen englischen Firmen unterthan bleiben, von denen sie mit Leichtigkeit ausgebeutet werden können. Ohne Gewinn kehren aber unsere Händler nicht zurück. Sie sind doch zu geriebene Burschen, als daß sie nicht durch Erfahrungen klug würden und die Fehler in der Behandlung ihrer Vögel zu vermeiden bestrebt sein sollten. Immer noch werden jedoch die Dompfaffen unterwegs zu eng eingekerkert und zu wenig rein gehalten.

In neuerer Zeit haben sich bei uns Kleinhändler zu Großhändlern emporgeschwungen, welche den Fremden bedeutende Concurrenz machen In Rücksicht auf den Umstand, daß der Handel mit Dompfaffen ein nicht geringer Erwerbszweig bei einem Theile unseres Gebirgsvolks geworden ist, und in Erwägung, daß diese Vögel durchaus nicht zu den nützlichen gehören, auch keineswegs durch ursprünglichen Gesang in der Freiheit ergötzen, wird möglichst schonend gegen das Contingent der Dompfaffenhändler verfahren. Mögen diese gelehrigen Vögel fort und fort unsere schönen Volksweisen gleich unserer fröhlichen Schuljugend erlernen und sie über Berg und Thal, Fluß und Meer in die Ferne und Fremde hinübertragen!

Karl Müller.




Des Unfehlbaren „heiliger“ Ketzerrichter.


Fünfhunderttausend Familien, zusammen wohl zwei Millionen Menschen hat in Spanien allein die Inquisition verschlungen. Von diesen sind Tausende aus dem Lande vertrieben, Tausende eingekerkert und an die Galeeren geschmiedet, Tausende mit dem Schwert gerichtet oder erdrosselt und 31,912 lebendig verbrannt worden. Seine Glanzzeit feierte dieses „Heilige Amt“ unter den Großinquisitoren Diego Perez, Cisneros, Torquemada (der allein 105,285 Personen verurtheilte und über sechstausend lebendig verbrennen ließ) und dessen eifrigstem Jünger und Nachfolger Peter Arbues von Epila.

Bis zum Jahre 1867 konnte man sich noch der tröstlichen Ansicht hingeben, daß diese furchtbare Geißel der Menschheit ein Wahnzustand gewesen sei, der wie die verwandte Erscheinung der Hexenprocesse, am Lichte einer gesunderen und helleren Zeit seinen Untergang für immer gefunden habe. Dieser Trost ist dahin. Wir müssen zu der niederdrückenden Ansicht gelangen, daß die Inquisition ein wesentlicher Machttheil der Hierarchie sei, die nur bestehen könne, wenn sie, um die Suprematie in Sachen der Religion zu behaupten, zur höchsten geistlichen und weltlichen Gewalt greife; dazu gehört es aber vor Allem, nicht nur zu verhindern, daß irgendwo der menschliche Geist sich unabhängig entwickele, sondern rücksichtslos dafür zu sorgen, daß alle Geister in eine feste Form eingeschraubt werden, wie der Jesuitismus sie erfunden hat und allein anzulegen versteht. Daß dies auch noch heute des Papstthums Ziel sei, dafür konnte kein schlagenderer Beweis geliefert werden, als Pius der Neunte ihn der Welt in’s

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_179.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)