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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Und über diesem Haupte schwebt, in seiner leisen Andeutung erst recht contrastirend, der Glorienschein des „Heiligen“.

Die Mitte des Vordergrundes nimmt im Bilde die verurtheilte Ketzerfamilie ein: Vater und Mutter, eine Tochter, zwei Söhne und die alte Dienerin. Ihre edlen Gestalten, ihre vornehme Tracht und die Reichthümer an Münzen und Geschmeide, die, vor ihnen am Boden und auf der ersten Treppenstufe liegend von einem Mönch in die geschürzte Kutte gesteckt und gierig eingeheimst werden – Alles deutet auf die Höhe der Bildung und des Lebensglücks hin, die ihr Verbrechen war. Im Antlitz des Vaters prägt sich die Ueberzeugung von der Vergeblichkeit jeder Bitte und jedes Widerstands und damit die männliche Entschlossenheit aus, das Unvermeidliche würdig zu tragen. Sein Töchterlein, ein blühendes Mädchen, vergräbt den Kopf mit den vollen halbaufgelösten Zöpfen an des Vaters Brust; die Mutter, aus deren Antlitz selbst die furchtbare Verzweiflung des Augenblicks die Weihe der Schönheit nicht verscheuchen kann, kniet mit auf dem Rücken gefesselten Händen am Boden. Ihr Blick ist furchtbar: die weitaufgerissenen Augen starren in’s Leere, und gewiß ist auch ihr weit offener Mund todtenstumm. Desto schneidender dringt uns der Wehschrei ihres kleinen Lieblings in’s Herz, des Knaben, der der Mutter Kniee umklammert und Rettung erfleht von der selbst unrettbar Verlorenen. Die alte Dienerin ist das Bild völliger Vernichtung, sie verkriecht sich, als ob Das sie ihrem Schicksal entreißen könnte. Ueber all die geliebten Häupter der Seinen emporragend sehen wir die einzige, aber großartig versöhnende Erscheinung des ganzen Bildes: den älteren Knaben, der dem lauschenden Inquisitor in prophetischer Begeisterung sicherlich nichts Geringeres als seinen Fluch vor Gott und den Sieg des freien Glaubens in der rächenden Zukunft verkündet. Auch räumlich nimmt dieses herrliche Knabenhaupt die Mitte des Bildes ein, wir kehren immer zu seinem Anblick zurück, wenn Alles, was rings ihn umgiebt, uns mit steigender Empörung über die Möglichkeit solcher Menschenunthaten erfüllt hat. So die beiden Mönche, welche in der Abgestumpftheit vor den täglichen Mord- und Gräuelscenen die Stricke halten, an welche die Knieenden gebunden sind; so der Zug der fackeltragenden Mönche, welcher im Hintergrund zur Verherrlichung des Autodafé dahinschreitet, das dort begangen wird. Wir sehen durch Flammen und Rauch vier Martersäulen, an welchen Ketzer verbrannt werden, während ein Mönch den Brand schürt oder einen neuen Scheiterhaufen vorbereitet.

Je länger wir das Bild beschauen, je mehr Neues finden wir darin, und selbst im anscheinlich nebensächlichen Ausschmuck erkennen wir den tiefen Sinn, wie in der Madonnenstatue mit den Schwertern im Herzen, die neben dem Portal der Inquisition und über dem Haupte des Inquisitors die Hände wie im bittersten Schmerz über die Verbrechen ringt, die vor ihr im Namen ihres Sohnes verübt werden; ebenso ganz im Vordergrund die Bibel und der Kelch des Abendmahlsgeräths, um jeden Zweifel, daß hier gegen Andere, als gegen Ketzer verfahren werde, unmöglich zu machen. Selbst das Crucifix im Mönchszuge und auf der Brust des „heiligen Arbues“ reden eine deutliche Sprache; durch die Morisken und Juden aber, die hinter der christlichen Familie am Boden knieen und die Hände ringen, ist Land und Zeit angedeutet, dem die Blüthe dieser Glaubensschandthaten angehört.

Mag die Kunstkritik sich noch so sehr dagegen ereifern, mehr solcher Kunstwerke in ihr ästhetisches Bereich aufzunehmen: hier ist die Rede von einer geschichtlichen That, die allein mehr werth ist, als sehr viel Inhalt sehr vieler Bildergalerien. Darum Ehre dem muthigen Meister mit seinem deutschen Herzen und glücklichen Erfolg seiner zermalmenden Lehre im gesammten Pfaffenthum! Deutschland wird seinen Sieg gegen jedes Verdummungsbündniß ausfechten; – ob und wann auch Spanien? Es ist eine trostlose Thatsache, daß der Inquisition noch ein sehr spätes Opfer fiel: ein liberaler spanischer Schullehrer, Namens Ripoll, ist als Ketzer, weil er dem Deismus anhing, zu Valencia mit den wesentlichen Formen eines Autodafé hingerichtet worden, und wann? Am 31. Juli 1826!




Aus deutschen Gerichtssälen.
Nr. 4. Der verhängnißvolle Handschuh.


Auf den Stufen einer einsamen Waldcapelle bei Hilgenberg fanden am Morgen des 26. August ein Landmann und sein Söhnlein die blutbesudelte, halbentkleidete Leiche eines jungen Mannes. Der Alte sandte den Kleinen in das nächste Dorf, während er den stillen Mann bewachte. Unter dem Hemde des Todten fand sich um dessen Leib eine seidene Binde, anscheinend das Fragment eines Frauenshawls, gebunden, die eine breite klaffende Stichwunde überdeckte. Die Section ergab, daß der Stich mitten in’s Herz gedrungen, daß die That vor wenigen Tagen geschehen sein müsse und daß der Todte unmittelbar nach dem Genusse starken Weines verschieden sei. Geld und Pretiosen fanden sich nicht vor; nur ein Siegelring mit adeligem Wappen stak am Zeigefinger so fest, wie mit ihm verwachsen. Alles sprach übrigens laut dafür, daß nicht die Stätte um die Capelle, sondern der Raubstein, eine in der Nähe befindliche Bergkuppe mit einer zur Ruine gewordenen Warte, der Schauplatz einer blutigen That war; Blut färbte dort den schuttbedeckten Boden der Trümmerrunde; Blut klebte an den Steinen ringsumher, Speisereste, die Spuren menschlicher Tritte, ein zweiter Streifen des bunten Shawls und ein feingearbeiteter Frauenhandschuh fanden sich da vor. Am Handschuh waren Blutspuren, die als Menschenblut analysirt wurden. Niemand kannte den Todten. Der Wirth einer nahen Waldschenke aber gab an, der Todte sei derselbe fremde Herr, der zwei Tage vorher in der Schenke übernachtete und vor dem Verlassen des Wirthshauses eine dem Schenkwirth zur Aufbewahrung gegebene goldene Uhr sammt Kette und Schlüssel, eine rothe Brieftasche und grünseidenen Geldbeutel in Empfang nahm. Gerüchte allerlei Art durchschwirrten die Luft. Man vermuthete in dem Ermordeten einen Gast der nächsten Badeorte.

Endlich wurde in dem Verunglückten der vermißte Hermann von P. erkannt, der von seiner Frau Albertine geschieden lebte und mit Frauenspersonen zweideutigen Rufes Umgang pflog. Unter den Papieren des Verstorbenen fand sich ein in französischer Sprache und von Frauenhand geschriebenes und mit A. unterzeichnetes Briefchen mit abgerissener Adresse und dem Datum: „Bl. den 21. Juli“. In diesem Blättchen wird dem unbekannten Adressaten in ernst gehaltenen Worten eine Zusammenkunft gestattet. In dem Worte „Correspondenz“ waren ganz eigenthümliche Schreibfehler. Die bisherige Meinung, es liege ein Raubmord vor, wurde allmählich schwächer, um so mehr, als ein freilich geistesschwacher Bauernbursche angab, er habe einen feinen Mann und ein schönes Mädchen am Raubstein gesehen, und als man ferner im Opferstock bei der Waldcapelle den vom Waldwirth wiedererkannten Beutel fand, gefüllt mit Silber- und Goldmünzen und mit einem Streifen Pergament, auf dem mit verstellter Handschrift die Worte standen: „Bestattet den Todten! Gott lohnt!“

Auch der Arzt in S. und seine Ehefrau erzählten: am vierundzwanzigsten August sei eine junge schöne Dame gekommen, habe eine Schnittwunde an der untern Fläche der rechten Hand verbinden lassen und den Dienst mit einem Ducaten bezahlt. Am Gartenzaun sei sie von einem alten Bauersmann erwartet worden, der bald hastigen Laufes zurückgekommen sei und die Frage, ob er die Dame kenne, mit den Worten beantwortet habe: „Was? Dame? Gott kennt sie!“ und forteilte. Ein Nachbar, der die Fremde schon vor dem Eintritt in des Arztes Haus ungesehen beobachtete, erzählte, die Dame habe heftig geweint, der Alte aber die Worte gesprochen: „Das Weinen macht ihn nicht wieder lebendig; vor mir sind Sie sicher; ich schweige wie das Grab.“

Den Handschuh hatte man. Nun galt es auch die Hand zu finden. Eine flüchtige Tänzerin und eine Harfenvirtuosin wurden mühsam erforscht, doch es ergaben sich keine Anhaltspunkte; auch war ihnen der Handschuh viel zu enge. Man mußte mit dem Handschuh, um ihn als wichtiges corpus delicti unbeschädigt zu erhalten, sehr vorsichtig umgehen. Bei dieser Vorsicht kehrte sich, als die Virtuosin den Handschuh abzog, die innere Seite des Handschuhs heraus und siehe da! unter dem

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