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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

abzulegen und sie in den Schränken des Landesmuseums zu Bregenz neben den andern verblichenen Zeugen der Vergangenheit aufzubewahren. Gegen die Gewalt der herrschenden Ideen vermag auch der hartnäckigste Widerstand nichts. Das Alter wird mit seinem Vorurtheil, wenn auch nur allmählich, endlich doch weichen. Immerhin ist es einer thatkräftigen jüngern Generation schon gelungen, dort Fortschrittsideen Eingang zu verschaffen, wo das materielle Interesse in’s Spiel kommt und so augenfällige Erfolge erzielt werden, wie dies z. B. bei der neubegründeten Käsegenossenschaft der Fall ist. Ja, trotz des zähen Widerstandes, der dem Projecte noch vielfältig entgegengesetzt wird, hat es alle Wahrscheinlichkeit, daß der Ausbau einer im Thale der Ach schon abgesteckten Bahnlinie schließlich doch zu Stande kommt.

Möge es ihr gelingen, die widerstrebenden Gemüther mit der neuen Zeit und ihren Anforderungen zu versöhnen, ohne daß dabei die wahrhaften Segnungen der alten verloren gehen. – Selbst die charakteristische Patina – den edlen Erzrost, den die Zeit auch um die werthvollsten Gebilde vergangener Jahrhunderte legt – möchten wir nicht missen.

Robert Byr.




Der Fiaker-Schrecken.

Altwienerisches Lebensbild von Em. Straube.


Sie hatten leicht väterlich regieren, jene Machthaber im Vormärz; denn dem braven Wiener, welcher sich bei billigen „Backhändeln“ und „süffigem Vierer“ (Wein zu vierundzwanzig Kreuzer) das Leben so wenig als möglich sauer werden ließ, leuchtete zuhöchst voran der knappe Weisheitsspruch: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, und der Engel mit dem Flammenschwerte von 1848 hatte noch nicht an die Pforten des Paradieses der politischen Unschuld gepocht. Gemüthsduselei von oben bis unten: der Kaiser hieß Vater Franz; die „böhmische Hofcanzlei“ war eben zu einer „vereinigten“ gesänftigt worden, und der Regierungspräsident, Baron Reichmann, war ein so lieber alter Herr, daß er jeden reputirlichen Schustermeister, welcher bei ihm Audienz nahm, zu sich auf’s Sopha zog. „Kreuzfidel“ hieß das allgemeine Losungswort; kurz, Alles war darnach angethan, um Menzel’n Recht zu geben, dessen Reisewerk aus jener Zeit mit den Worten begann: „Von einer schweren Krankheit genesen, hatte der Arzt mir das Denken verboten; ich beschloß also eine Reise nach Oesterreich zu unternehmen.“ Fast schien es, als ob sogar die löbliche Polizei über der allgemeinen Gemüthlichkeits-Assecuranz aus Rand und Band gerathen wäre; denn es fielen ein Paar der allerschönsten Mordthaten vor, ohne daß eine Spur der Herrn Thäter entdeckt worden wäre. In dieser Beziehung ist die Aeußerung des Kaisers Franz bekannt: „Wenn mich Einer im Rausch einen alten E… nennt, so meldet mir’s der Sedlnitzky sicher am nächsten Morgen; wenn aber meine Unterthanen abgekragelt werden wie die Tauben, so bringt die liebe Polizei niemals was heraus.“

So arg war’s nun freilich nicht; aber gewiß ist, daß das Publicum sich gewaltig „das Maul zerriß“ und die Bonmots über polizeiliche Ungeschicklichkeit kein Ende nahmen; höchstens ließ man noch den Commissar v. Felsenthal gelten, dessen Aufzeichnungen allerdings von einem Interesse waren, wie man es nur in englischen Romanen zu finden gewohnt ist, und über die doch wohl einmal ein tüchtiger literarischer Schatzgräber kommen wird, um sie nach Gebühr zu verwerthen.

v. Felsenthal war jedoch keineswegs der einzige tüchtige Polizist, sogar unter dem niederen Personale gab es einzelne typenhafte Gestalten, und wir wollen beispielsweise nur die populäre Figur des Herrn Pfanner erwähnen, genannt „der Fiaker-Schrecken“, dessen sich von den älteren Bewohnern Wiens noch Manche erinnern dürften.

Obwohl seinem dienstlichen Range nach blos Canzlist, hatte Herr Pfanner, welchem eine massige Erscheinung von militärischem Schritte zu Statten kam, doch eine selbstständige Geschäftszutheilung erhalten, indem man ihm das „Lohnfuhrwerks-Departement“ zuwies und ihn kurzweg als den „Herrn Fiaker-Commissär“ bezeichnete.

Der Wiener Fiaker, einst eine Specialität in seiner Art, ist schon seit Langem nicht mehr jener originelle Typus, gemischt aus übermüthiger Lebenslust, Schalkheit, Bonhomie und beißendem, vorlautem Spott, wie einst; Concurrenz und der allgemeine Druck der Zeiten haben ihm den Brodkorb höher gehängt und die gute Laune ein bischen stark verleidet. Die Zeit, von welcher wir sprechen, war ungefähr seine Glanzperiode, reichlich mit Krakehl gewürzt, und es gehörte m der That ein Mann, welcher Haare auf den Zähnen hatte, ein Stück bärbeißiger Isegrim dazu, um mit jenem verflixten Rossebändiger-„Völkl“ auszukommen, das, wie man in Wien sagt, „dem Teufel aus der Butter gesprungen zu sein schien“.

Herr Pfanner nun war der Mann dazu und an Energie ließ er wahrlich nichts zu wünschen übrig. Es schien, als hätte er sich den berühmten d’Argenson zum Muster genommen; denn es hieß von ihm wie von dem Erstgenannten, daß er jeden in sein Bureau tretenden Fiaker mit ein paar „Strixen“ seines spanischen Rohres empfing und hinterdrein meinte: „Hat er die Prügel heute nicht verdient, so wird er sie sicher nächstens anderswo in’s Verdienen bringen; verschwendet ist dabei nichts.“

Man begreift, daß in Folge davon Herr Pfanner von den Angehörigen seines Departements gewaltig gefürchtet wurde und daß ihm nach und nach der Beiname „Fiakerschrecken“ aufgebracht ward. Unter diesem Namen kannte ihn ganz Wien, besonders aus seiner Function zur Zeit der Praterfahrten, wo er am sogenannten „Stern“, hoch zu Roß und mit einem Cavalleriesäbel umgürtet, mitten im Gewühl der Equipagen, Lohn- und Zeiselwagen die Ordnung so gut als möglich zu handhaben suchte und sein vielbeschäftigtes spanisches Rohr als handgreiflich einschreitendes Scepter hoch über den Wogen zu schweben schien. Hierbei kam ihm der Umstand sehr zu Gute, daß er fast jedes Privatgefährt in Wien kannte und bei Einhaltung der Wagenreihe oder beim Einlenken in die Fahralleen unmerklich gewisse Begünstigungen eintreten lassen konnte, die nicht leicht nachzuweisen waren und ihm in den betreffenden Kreisen hoch angerechnet wurden. Wie gesagt, Herr Pfanner war ein rechtes Stück Altwien und sein Name auf allen Lippen.

Endlich sollte auch mir die Ehre seiner Bekanntschaft zu Theil werden; doch die Gelegenheit dazu war nichts weniger als eine angenehme.

Ich hatte dazumal eben eine interessante amtliche Arbeit überkommen, die mir als dringend anempfohlen worden war und um deren willen ich sogar an einem wunderschönen Sommersonntage die Vormittagsstunden dem Bureaudienste gewidmet hatte. Endlich nach Hause gehend, traf ich unterwegs einen Collegen, der sich mir anschloß und mit welchem ich plaudernd heimwärts schlenderte.

Wir wohnten Beide außerhalb des Burgthores und mußten also den sogenannten Kohlmarkt passiren, eine beliebte und belebte Straße, welche auf den Michaelerplatz ausmündet, jenseits von welchem schon das Burggebiet beginnt und wohin auch die „Herrngasse“ ausläuft, fast ganz besetzt von herrschaftlichen Palästen der crême de la crême.

Eben schritt ich mit meinem Gefährten an dem berühmten Aufenthaltsorte der damaligen Feinschmecker, dem Handlungshause „Zu den drei Laufern“, vorüber. Hei, da wieherte es mit einem Male über mir, ein heftiger Schlag prellte an meine rechte Ferse, ein Ruck schleuderte mich vorwärts und eine Minute später fand ich meine Gedanken wieder, an eine Mauer des Michaelerplatzes geklammert und von einer Menge zusammengelaufener Menschen umringt, welche theilnahmsvoll nach meinem Befinden fragten. Ich aber sah für’s Erste Niemanden als meinen Collegen, welcher mich noch an der Hand hielt und unter zornigen Gesticulationen nach rückwärts redete.

„Erlauben Sie mir, Herr v. Pfanner,“ lautete das Erste, was ich verstand, „da gerade vor uns ist das Verbot des Schnellfahrens angeschlagen; da stehen Sie und der Aufsichtsposten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_192.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2020)