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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

sich wahrhaft erbauen und zum Unendlichen andachtsvoll erheben könne.

Schon breitete die Abenddämmerung ihre dunklen Schatten über die Erde aus, als wir in einem Wirthshause, an dessen Tafel wir die einzigen Gäste waren, ein Abendbrod einnahmen. In dem Zimmer stand ein Clavier, das Allmers bald volltönend erklingen ließ. Dazu sang er mit Feuer und Wohlklang sein von ihm selbst componirtes Lied: „Auf der Rudelsburg“, das mich lebhaft entzückte. Es war schon spät am Abend, als wir endlich herzlichen Abschied von einander nahmen, aber nicht für immer, sondern „auf Wiederseh’n!“

In kurzer Zeit sind wir so innig mit einander vertraut geworden für alle Zeit. Ich werde ihn nie vergessen, diesen herrlichen Mann voll frischer Volkskraft, milder Humanität und feiner Geistesbildung. Wissenschaftliche Gründlichkeit, Klarheit und Schärfe des Verstandes, Herzensgüte und tiefes deutsches Gemüth vereinigen sich in seinem Wesen zur kunstveredelten Natur. Seine Werke (Dichtungen – Marschenbuch – Römische Schlendertage, jetzt in dritter Auflage erschienen) tragen ganz das Gepräge dieses vorzüglichen, nur aus Liebe zur Sache schöpferisch thätigen Geistes und gehören zu den Zierden der deutschen Literatur. Maler, Musiker, Baukünstler und Dichter zugleich, eröffnet Allmers in seinen Schriften dem empfänglichen Gemüth des Lesers eine reiche Quelle des reinsten und ersprießlichsten geistigen Genusses, der namentlich deshalb so bildsam und fruchtbringend anregt, weil er durch die ursprüngliche, kunstnatürliche Darstellungsweise des Dichters einen Blick in die Entstehungsart seines künstlerischen Schaffens, in die Rüstkammer seines Geistes thun läßt.

Allmers entstammt einem alten stedingschen Häuptlingsgeschlechte und wurde am 11. Februar 1821 auf dem freien Friesen-Hofe zu Rechtenfleth geboren, der schon länger als fünfhundert Jahre sich im Besitze seiner Familie forterbte. Als einziges Kind seiner Eltern widmete er sich, auf den Wunsch seiner besonders innig geliebten Mutter, der Landwirthschaft und folgte erst nach dem Tode seiner Eltern der Wandersehnsucht, die ihn höhere wissenschaftliche und künstlerische Bildung auf mannigfachen Streifzügen durch Deutschland, Schweiz und Italien suchen und in stetem Verkehr mit ausgezeichneten Männern finden ließ. Dann kehrte der gereiste Mann nach seinem Heimathsdorfe zurück, dessen Gemeinde er längere Zeit als Vogt vorstand, und widmete sich seit etwa zwanzig Jahren fast ausschließlich der „wohledlen Kunst“ und Culturbestrebungen aller Art. Möge er noch lange segensreich wirken im schönen deutschen Vaterlande!

H. B.




Eine Begegnung.


Erinnerung aus einem Künstlerleben von C. Cressieux.


Meyerbeer’s Hugenotten wurden gegeben. Das Opernhaus war an jenem Abende zum Erdrücken voll von Menschen. Beinahe athemlos folgte die Menge den herrlichen Klängen des erhabenen Meisterwerkes des großen, leider zu früh verstorbenen Maestro. Auch ich befand mich unter den Zuhörenden. Mächtig wirkten die wundervollen Melodien auf mich ein, und einem schönen Traumbild gleich zog jener Abend an meinem geistigen Auge vorüber, an welchem ich vor Jahren jenes mächtigen Tonwerks vollste Bedeutung zu würdigen gelernt hatte. Von jenem Abende zu erzählen sei heute meine Aufgabe.

Ich hatte das Glück, eine liebe, gute, uneigennützige Tante zu besitzen, deren Erscheinen in unserm Hause ich derart mit irgend einer freudigen Ueberraschung in Verbindung zu bringen gewohnt war, daß es auch im Jahre 1855 der Fall war, als die Tante, welche gewöhnlich auf ihrer Besitzung lebte, Mitte December uns in der Residenz besuchte. Ich hatte mich nicht getäuscht. Sie kam, um von meinem Vater die Erlaubniß zu erwirken, mich als Reisebegleiterin nach Venedig mitnehmen zu dürfen, indem die Aerzte ihr den Winteraufenthalt daselbst, ihrer etwas leidenden Gesundheit halber, verordnet hatten. Schon längst war es einer meiner stillen Lieblingswünsche gewesen, la bella Venezia in all ihrer Pracht und Schönheit kennen zu lernen. Jubelnd fiel ich daher der geliebten Tante um den Hals, und mein sechzehnjähriges Herz klopfte stürmisch auf im Vorgefühle der Freuden, welche meiner harrten.

In unserer heimathlichen Residenz hatte der Schnee bereits die Dächer gebleicht, eine starke Kälte war eingetreten, ich aber träumte in jugendlicher Schwärmerei den weichsten Zephyrlüftchen und dem süßesten Maienduft entgegen. Es ist eine alte Erfahrung, daß man mit dem Gedanken an Italien zugleich alle Kälte und Fröste von sich bannt, und dieselben als unmögliche Gäste sich denkt. Aber Träume sind Schäume, und mit Unbehagen denke ich jetzt noch an die naßkalten, fröstelnden Tage, welche ich in späteren Jahren gerade in Italien verlebt. Der Nordländer, gewöhnt an den schneidenden Frost seiner Heimath, thut Alles, um den kalten Feind von sich abzuwehren, aber wehe dem Südländer, wenn der ungewohnte eisige Hauch des Winters einmal über die sonnig warmen Gefilde streift; es trifft ihn dann, weil unvorbereitet, seine rauhe Kraft am härtesten.

Die erste Enttäuschung dieser Art ward auch mir am dritten Tage unserer Reise zu Theil, als die abgetriebenen Pferde unserer Extrapost, auf welche weder der Zuruf des Kutschers noch die Peitsche mehr einen absonderlichen Eindruck machten, langsam die eintönige vom Regen aufgeweichte Landstraße gegen Palmanuova zu hintrabten. Die Langsamkeit des Fuhrwerks, die Monotonie der Gegend, welche in einer endlosen Fläche besteht, die nur hie und da durch Reihen von Olivenbäumen unterbrochen wird, wirkten auf meine Tante ermüdend, auf mich verstimmend ein. Meine Träume von blühenden Feldern, einem ewig blauen, reinen Himmel, milden Lüften, goldenem Sonnenschein gingen in trostloser Art unter beim Anblick der grauen wassergetränkten Wolken, die sich über uns wölbten, wie bei dem feuchtkalten Wind, der über die Fläche strich und die Kronen der Olivenbäume schüttelte. Die feuchtkalte Luft verdichtete sich immer mehr und mehr, unsere Pferde stolperten immer melancholischer ihrem Ziele zu, selbst der Kutscher auf dem Bocke ward verdrießlich. Tante und ich aber hüllten uns fröstelnd in unsere Mäntel ein und waren froh, endlich Palmanuova und eines der dortigen besseren Gasthäuser, die Campana, erreicht zu haben.

Obgleich das 1593 von den Venetianern erbaute, mit schönen Festungswerken und Canälen versehene Städtchen gerade an jenem Abend auch keinen einladenden Anblick bot mit seinen wenigen, gradlinigen Gassen und seinem Schmutz in denselben, so war es wenigstens ein Schutz gegen das feuchtkalte Wetter und meine Tante beschloß, in Palmanuova zu übernachten. Da sie sehr ermüdet war, legte sie sich bald zu Bette. So saß ich nun allein in einem fremden Zimmer, an einem fremden Orte und schaute verdrießlich zum geschlossenen Fenster hinaus, auf die menschenleeren, melancholischen Straßen hinab, deren schlechtes, von Staub getränktes Pflaster begierig den fein herabrieselnden Regen in sich aufsog und zu einem Kothmeer verwandelte.

Langeweile begann sich meiner zu bemächtigen, und beinahe mit Wehmuth gedachte ich meines traulichen Daheims, der hellerleuchteten, durchwärmten Zimmer, meiner guten Bücher, des schönen Bösendorfer Flügels, auf welchem ich allabendlich zu spielen gewöhnt war. Mein Blick irrte bei diesen Rückerinnerungen trübe über das nur knisternde, wenig erwärmende Kaminfeuer, welches im großen offenen Kamin nothdürftig brannte, über die etwas unsauberen Möbels. Zum ersten Male in meinem Leben ward ich ungehalten auf die Tante, daß sie mich in solch ein langweiliges Nest geschleppt hatte. – Es giebt wohl nichts Undankbareres auf der Welt, als solch eine gutmüthige, stets bereitwillige Tante zu sein. Das geringste Ungemach wirft all ihre Liebe über Bord bei uns verwöhnten, verzärtelten Neffen und Nichten. Ich möchte Alles, nur keine solche Tante sein! –

Der Wirth brachte einige Erfrischungen herauf und fing mit mir zu reden an. Aus Langerweile antwortete ich ihm und wunderte mich über die beinahe klösterliche Stille seines Gasthofes. Da erzählte er mir denn, daß sein Albergo sonst um diese Stunde eines der besuchtesten des Städtchens, und namentlich bei den Officieren der Garnison sehr beliebt sei, doch heute wäre beim Festungscommandanten, Obersten v. S…, große

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_209.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)