Seite:Die Gartenlaube (1872) 220.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Marke mit der Preisnotirung sitzt noch daran; der Hut ist gleichfalls neu; er kommt vom Friseur, denn das Haar ist kurz verschnitten und auf dem Rockärmel liegen noch zwei Härchen; und siehe da, nachdenklich streicht er mit der Hand längs der Wange: ei, mein lieber Herr Bärwald, Sie haben bisher einen Vollbart getragen, den Sie sich nachdenklich zu streichen pflegten; Sie haben sich den Vollbart abschneiden lassen – den Vollbart, den schönen, leider wohl etwas struppigen Vollbart: das thut kein Rittergutsbesitzer, wenn er nicht eine Passion für Zahnschmerzen hat, es sei denn, er gehe auf Freiersfüßen; mein Herr Bärwald, Sie wollen wissen, ob Sie heirathen sollen. Das ist in der That eine kritische Frage, besonders wenn man vierzig Jahr alt ist, wo die Junggesellen anfangen, ein gewisses Mißtrauen gegen ihre Anlage zu guten Ehemännern zu fassen. Und da Sie trotz Ihrer Klugheit hierüber nicht in’s Klare kommen können, so machen Sie es wie viele Männer von Geist, die an keinen Gott, aber an Gespenster glauben, Sie werfen sich dem Fatalismus in die Arme und erinnern sich rechtzeitig, daß Ihre Vorfahren bei wichtigen Gelegenheiten Zigeunerinnen und andere Hexen befragt haben. Ich hörte nach diesen Resultaten meines Nachsinnens mit der Betrachtung seiner breiten, wohlgenährten Hand auf und sprach mit strengem Ernst:

‚Nur bei vollständigem gegenseitigen Vertrauen und festem Glauben an das glückliche Gedeihen des Vorsatzes kann er zur That, die Segen bringt, werden.‘

Er schwieg einen Moment nachdenklich; dann sagte er: ‚Ich habe um ein Ja oder Nein gebeten.‘

‚Aber das Orakel antwortet nicht mehr und nichts Anderes,‘ erwiderte ich und wiederholte meinen Ausspruch.

Herr Bärwald wiegte den Kopf hin und her, dann meinte er: ‚Dunkel wie der delphische Spruch in Jacobs’ griechischem Lesebuch, den ich als Quartaner übersetzt habe. Aber ’s ist richtig: gegenseitiges Vertrauen – fester Glaube! da muß ich doch selber entscheiden, ob das da ist.‘

Damit beruhigte er sich und empfahl sich mit einigen Dankworten, nachdem er in zartfühlender Weise, die ich ihm kaum zugetraut, ein reiches Honorar heimlich auf die Sophalehne gelegt hatte.“

Als Frau von Krey so weit erzählt hatte, unterbrach ich ihren Bericht und rief: „Bewunderungswürdig, gnädige Frau! wahrlich, Ihr Scharfsinn und Ihre Beobachtungsgabe ist beneidenswerth; und ich werde bei ernster Veranlassung nicht unterlassen, Sie um Ihre Prophezeiung zu bitten!“

Mit feinem Lächeln erwiderte sie: „Wie? Sie tugendhafter Mann wollen mich selbst zum Betruge, zur Ausübung meines auf stets erneutem Betruge basirenden Berufes auffordern? Doch – lassen wir das: hören Sie weiter! Am folgenden Tage, zur selbigen Stunde, ja ich könnte fast sagen, zu derselben Minute, erschien Herr Bärwald auf’s Neue. Diese Pünktlichkeit gefiel mir; auf solche Menschen kann man sich in jeder Beziehung verlassen. Er redete mich mit dem Titel ‚gnädige Frau‘ an, während er mich Tages vorher ‚Madame‘ genannt hatte, und ich schloß daraus, daß ihm mein Orakelspruch gefallen habe und ich in seiner Achtung gestiegen sei. Seine Worte bestätigten diese Voraussetzung.

‚Sie haben mir,‘ sagte er, ‚gestern eine Antwort gegeben, deren Werth ich, je länger ich darüber nachdenke, um so mehr erkenne und die mich bereits in der fraglichen Angelegenheit zu einer bestimmten Entscheidung geführt hat. Ich hätte mich also heute Morgen getrost auf den Zug setzen können, um auf der Stettiner Bahn nach Hause zurückfahren zu können. Aber es ist merkwürdig, daß mir jede Neigung dazu fehlte; ich hatte das Bedürfniß, Sie noch einmal zu sprechen, um noch eine Frage an Sie zu richten.‘

Ich machte ihm eine leichte Verbeugung und wartete, daß er mir dieselbe mittheilen sollte. Aber – und Sie werden mir zugestehen, Herr Assessor, bei einem Bärwald ist das sehr merkwürdig – er stellte diese Frage nicht, sondern fing im Gegentheil an zu plaudern, zuerst von seinem Aufenthalte in Berlin, dann von seiner Heimath. Ich wußte gar nicht, wie mir geschah. Vergaß er denn ganz, daß er nicht einer Dame von Stande eine Visite machte, sondern bei der Wahrsagerin, der Hexe saß? Und als nach einer Stunde ein neuer Besuch gemeldet wurde, stand er eilig auf, hat wegen seines längern Verweilens um Entschuldigung, versprach wiederzukommen, um seine Frage zu stellen, und – fort war er.“

„Sonderbar!“ rief ich aus. „Und ist er wiedergekommen?“

„Gestern, genau um dieselbe Zeit,“ erwiderte Frau v. Krey. „Und er hat wieder ganz allerliebst geplaudert, mir mit prächtigem Humor von seiner Junggesellenwirthschaft und dem gemüthlichen Verkehr mit den Nachbarn und seiner Studentenzeit – er ist eine Zeitlang in Bonn gewesen – erzählt, so daß ich mich trefflich unterhalten habe. Aber die Frage hat er auch gestern nicht vorgebracht.“

Sie hatte den letzten Satz kaum beendet, als die Dienerin die Thür öffnete und einen Besuch meldete: „Herr Rittergutsbesitzer Bärwald!“

„Lupus in fabula,“ dachte ich, „der kommt wie gerufen.“ Ich wollte gehen; Frau v. Krey aber bat mich, noch zu bleiben.

„Treten Sie, bitte, in’s Nebenzimmer; ich werde die Thür nicht ganz schließen. Es wäre mir lieb, wenn Sie ihn sähen. Sie brauchen nicht zu fürchten, dort lange verharren zu müssen, denn ich werde ihn heute nicht lange behalten.“

Ich folgte ihrem Wunsche und sah durch die Thürspalte einen Mann eintreten, der in der That durch seine Erscheinung Interesse erregen konnte. Er war von mehr als Mittelgröße und von breiten Schultern. Zu dem kräftigen Gliederbau paßte der große Kopf mit dem gebräunten Antlitz und den klaren, munteren, lichtgrauen Augen, über denen sich struppige Brauen wölbten. Soweit war die Erscheinung der Typus eines kräftigen, kerngesunden Landwirths und ließ auf eine tüchtige, derbe innere Natur schließen, die die reale Welt mit kluger Umsicht anschaut und sich in ihr so wohl fühlt, daß sie keinen Hang nach Beschäftigung mit idealen Aufgaben empfindet und selbst die für feiner organisirte Naturen unentbehrliche Erholung bei Kunstgenüssen und wissenschaftlicher Lectüre verschmäht. Betrachtete man nun aber die Züge dieses Antlitzes genauer, so bemerkte man mit Verwunderung, daß weder der schmalen, leicht gebogenen Nase die Feinheit mangele, noch den leicht geschwungenen Lippen jene leise eingeprägten, ausdrucksvollen Linien, welche zarte Empfänglichkeit selbst für schwächere seelische Eindrücke und jenen seltenen Humor verrathen, den einzig und allein eine durch selbstständiges Denken erworbene, tiefere Lebensauffassung zu verleihen vermag. Und diesem steinern Ausdrucke des Gesichts entsprach die hohe, gewölbte Stirn, die denn doch noch auf ganz andere Gedankenkreis hinter sich schließen ließ, als die eines einfachen Landwirths zu sein pflegen. Herr Bärwald war jedenfalls, abgesehen von seiner gutmüthigen Tüchtigkeit, nebenbei ein Original, und ich begriff leicht, wie gerade diese Persönlichkeit auf die menschenverachtende, leidengeprüfte Frau v. Krey einen offenbar nicht unbedeutenden Eindruck hatte hervorbringen können.

Er nahm auf die Aufforderung der Letztern schon fast wie ein alter Bekannter Platz und zwar in der Weise, daß ihm deutlich anzumerken war, wie wohl er sich auf diesem Platze fühlte. Mochte er nun die Absicht haben, nach Art seiner beiden letzten Besuche die Unterhaltung zu führen, oder nicht, Frau v. Krey kam ihm, der noch immer etwas schwerfällig und unbeholfen erschien, kurz zuvor, indem sie sagte: „Herr Bärwald, Sie wollten mir noch eine Frage vorlegen; darf ich bitten, dieselbe zu stellen?“

Er ward sehr verlegen, der gute Herr. „Ja wohl,“ stotterte er, „ja wohl; deshalb komme ich ja – natürlich!“ Aber dieses „natürlich“ klang höchst unnatürlich, und wenn ich mich nicht völlig getäuscht, so möchte ich behaupten, daß eine leise Röthe über sein Gesicht flog. Er empfand wohl selbst den komischen Eindruck, den er in diesem Augenblicke machte, denn um seine Mundwinkel zuckte es wie leiser Spott über sich selbst, als er halblaut vor sich hinmurmelte: „Ja, fragen, wenn ich nur wüßte, wie?“ Dann besann er sich kurze Zeit, rückte etwas unruhig den Körper auf dem Stuhle zurecht und begann darauf: „Gnädige Frau, Sie sind klug“ (in Frau v. Krey’s Auge blitzte es wie ein Gefühl freudiger Genugthuung). „Sie sind klug und einsichtsvoll. Sie haben mich kennen gelernt, und ich habe mich Ihnen gegenüber gezeigt, wie ich bin, denn Sie haben mir tiefen Respect eingeflößt. Sehen Sie, bitte, nicht in meine Hand; sehen Sie mir in’s Gesicht, sehen Sie den ganzen Menschen an, und dann antworten Sie mir ehrlich und offen auf die Frage, die ich Ihnen heute, nachdem ich in Folge Ihres neulichen Ausspruchs

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_220.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)