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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Wenn sie in Mozart’s „Zauberflöte“ als „Königin der Nacht“, zu welcher Reproduction gegenwärtig keine Parallele zu finden ist, das Publicum in jubelnde Begeisterung versetzt hatte, so entfaltete sie bald darauf als reizende Regimentstochter die ganze Anmuth ihres schelmischen, neckischen Spieles und warf mit unvergleichlicher Gewandtheit lange Scalenketten, Triller, Arpeggien vom kleinen F und Ges zum dreigestrichenen F und Ges hinauf, mithin in einem Umfange, der überhaupt zu den größten Seltenheiten gehört und den nur etwa die „geläufige Gurgel“ der Mademoiselle Cavalieri oder das Organ der „Bastardella“ – wie Mozart sich ausdrückte – aufzuweisen hatte.

Leicht und graciös in ihren Bewegungen, sauber und geschmackvoll in der musikalischen Phrasirung, begabt mit einer äußerst vollen und kräftigen Stimme, welche der Künstlerin im Ausdruck der Rache, wie ihn eine Eglantine in Weber’s „Euryanthe“ zu produciren hat, oder bei Wiedergabe der ernsten Lyrik, wie sie zur Charakteristik der Constanze in Mozart’s „Entführung“ verlangt wird, oder zur Durchführung einer feinen Komik in der Rolle der „Susanne“, kurz welche ihr in allen tragischen und heiteren Situationen so fügsam gehorcht, daß man der Künstlerin fast „überpäpstliche Unfehlbarkeit“ zusprechen möchte, besitzt diese Zierde der Leipziger Bühne dennoch eine angeborene Bescheidenheit, welche auch wohl als Grundursache ihrer künstlerischen Größe anzusehen ist. Schon als Kind soll ihr dieselbe eigen gewesen sein, und man erzählt sogar, daß nur die frühzeitig hervorgetretene Liebe zur Musik jene an Stärke übertraf.

Da der Vater selbst als Tonkünstler von Beruf und zwar als Mitglied der Capelle des Hoftheaters in Wien den ersten Unterricht überwachen konnte, so blieb natürlich die gute Grundlage der sorgsamen Jugenderziehung eine ebenmäßige, so daß man in späterer Zeit nur auf dem gediegenen Fundamente fortzubauen nöthig hatte, zumal sie als Tochter des Violinisten v. Leutner vor allen Dingen fleißig und strebsam, aber niemals, so zu sagen, mit einem „süßen Leben“, mit der „schönen, freundlichen Gewohnheit des Daseins“ zufrieden sein wollte.

Den Lehren der Mutter Schwester Leonore Friedlowsky und des Capellmeisters Heinrich Proch verdankte das siebenzehnjährige Mädchen ihre ersten Erfolge 1856 als Agathe und Alice auf dem Breslauer Stadttheater, wonach sie jedoch bald von Rosenketten gefesselt durch ihre Verheirathung mit Dr. med. Peschka kennen lernte, daß erst das deutsche Weib die Kunst so recht verstehen und sie von ganzer Seele lieben könne. Von Frau Bochkeltz-Falconi unterrichtet, schwang sich Minna Peschka-Leutner zu einer Künstlerin ersten Ranges empor, und sie verschmähte es dabei auch nicht, sich als tüchtige Hausfrau um Haus und Herd zu kümmern. Das sind ja die wahren Vertreterinnen der Kunst, welche über der Virtuosität niemals die echte Weiblichkeit vergessen, sondern diese in das künstlerische Leben hineintragen; – vergessen wir jedoch nicht, daß das Schooßkind der Leipziger, welches am 25. October 1839 das Licht der Welt in Wien erblickte, jetzt in England weilt, und nicht blos Deutschland, sondern auch „England erwartet, daß Jeder seine Pflicht thut“, und diese besteht für uns gegenwärtig darin – zu schließen.




Victoria Woodhull,


der größte Humbug Amerika’s.


Die Zeit der Erfindungen und namentlich der die Nationen einander nähernden Erfindungen ist noch durchaus nicht vorüber, und da ist denn in der That gar nicht abzusehen, welche Gestalt die Zustände der menschlichen Gesellschaft nach tausend Jahren haben werden. Welche Veränderungen aber auch sich vollziehen mögen, ein Element wird, weil es unsterblich ist, noch ebenso mächtig sein wie heute: der Humbug. Civilisation und Humbug sind unzertrennlich, und da wir nie und nimmermehr zum Naturzustande zurückkehren werden, so wird der Humbug das die Menschenwelt regierende Princip bleiben, so lange es eben Menschen giebt.

Entstanden ist der Humbug bekanntlich in Nordamerika und dort ist er denn auch am echtesten zu Hause. Ich denke nicht daran, eine ausführliche Geschichte dieses nordamerikanischen Humbugs zu schreiben; ich hätte dieselbe vor zwanzig Jahren anfangen müssen, um sie vollenden zu können; ich will nur eine in Deutschland noch seltene Specialität leicht skizziren und schließlich eine besonders charakteristische Repräsentation desselben auf meine Stahlfeder spießen.

Ohne weitere Vorrede: Die amerikanischen Damen sind entschlossen, sich von den Fesseln zu befreien, in welche die selbstsüchtigen Männer, die einst die Gesetze der Republik und der Gesellschaft überhaupt machten, das weibliche Geschlecht geschlagen haben. Sie sind nicht mehr mit ihrer indirecten, gewissermaßen heimlich ausgeübten Herrschaft zufrieden; sie wollen keine der Schwachheit des stärkeren (!) Geschlechtes abgerungene Concessionen, sie wollen gleiche staatliche und gesellschaftliche Rechte, und da sie damit das nicht verlieren, „was ihnen der liebe Gott gegeben hat“ und was ihnen bis dahin die große im Stillen ausgeübte Herrschaft erwarb, so ist es klar, daß sie damit umgehen, uns Männer in die Stellung zu zwingen, welche sie bis dahin einnahmen. Wenn Semiramis, Elisabeth von England, Katharina von Rußland und Maria Theresia von Oesterreich Kaiserinnen sein konnten, deren Ruhm den der meisten männlichen Kaiser überstrahlt; wenn noch in unserer Zeit die unschuldige Isabella und die treffliche Victoria Königinnen sein können: warum soll nicht ein Weib, warum soll nicht Victoria Woodhull Präsident der Vereinigten Staaten werden? – So fragen die Amerikanerinnen und Victoria Woodhull bewirbt sich ernsthaft um diese Stelle. Doch von ihr nachher. Sie ist gerade das Specimen, welches ich zu näherer Betrachtung den Lesern der Gartenlaube vorführen will.

Die Frauen, welche in Amerika für die Gleichstellung (die Heuchlerinnen!) beider Geschlechter in erster Linie fechten, theilen sich in drei Classen: Journalisten, Lobbyisten und Lecturers. Man muß mir fremde Ausdrücke verzeihen; für ausländische Begriffe findet sich nicht immer gleich ein inländisches Wort. Nennen wir doch auch die Cigarre noch immer Cigarre und nicht Glimmstengel. Wer in England einen Namen gewinnen will, muß nach London gehen, wie der Franzose nach Paris geht. Das London und Paris der Amerikaner ist New-York, das denn auch von Kämpferinnen für die Rechte der Frauen wimmelt, die mit der Feder, oder ihrem angeborenen Schwert, der Zunge, oder anderen von Gott gegebenen Gaben in dieser Richtung hin wirken. Mit der Feder arbeiten die zahlreichen Journalistinnen, mit der Zunge die Lecturers und mit „den anderen Gaben Gottes“ wuchern die Lobbyistinnen. Die letzteren will ich zuerst abfertigen, denn sie gehören eigentlich nicht in die Classe, von der ich hauptsächlich reden will.

Lobby nennt man die Zimmer im Parlamentshause, in welchen sich Leute aufhalten, die irgend welches Geschäft mit den Deputirten oder Senatoren haben. Damen, welche das Geschäft als Lobbyistin ergreifen, müssen sehr hübsch, sehr gewandt und vor allen Dingen nicht zu tugendhaft sein. Sie halten sich weniger in New-York als in Washington auf, wo sie, gegen gute Bezahlung, schwache Senatoren oder Abgeordnete des Hauses, oder galante Minister, oder den Präsidenten selbst für ihre Clienten interessiren und deren Wünsche durchsetzen. Ihr Geschäft ist ein sehr einträgliches und ich kenne eine Dame, der man als Honorar fünfzehntausend Dollars anbot, und die es zurückwies, indem sie sagte: „Auf solche kleine Geschäfte lasse ich mich nicht ein. Fünfzehntausend Dollars! Das brauchen meine Kinder jährlich für Schuhe!“ –

Die achtungswerthesten Schriftstellerinnen und Journalistinnen in New-York gehören einer geschlossenen Gesellschaft an, die einen griechischen Namen führt – es klingt wie „Ceroses“, doch will ich dafür nicht bürgen – und in der Männer niemals und weibliche Gäste auch nur mit Vorsicht zugelassen werden. Diese Gesellschaft hat ihre Statuten, regelmäßige Versammlungen und parlamentarischen Apparat. In ihr werden die Rechte der Frauen discutirt und Beschlüsse gefaßt, die indessen nie zu praktischer Ausführung kommen. Die Blaustrümpfe, meistens unfreiwillige Jungfrauen in reiferen Jahren, erschöpfen sich hier in Zornausbrüchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_223.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)