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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

gegen die bösen tyrannischen Männer, die ihrerseits sich dadurch rächen, daß sie die Gesellschaft und ihr Treiben lächerlich machen. Das öffentliche Organ der Gesellschaft ist die von Baddy Stanton redigirte „Republik“, in welcher der auch in Europa bekannte halbverrückte Francis Train Artikel über die Prostitution schrieb, welche Husarenunterofficiere und selbst Kammerherren hätten roth machen können,

Viele der Schriftstellerinnen sind zugleich auch Lecturers, das heißt, sie machen aus dem Halten von öffentlichen Vorträgen ein oft sehr einträgliches Geschäft. Es giebt nämlich im Norden von Nordamerika fast keine Stadt, in der nicht eine Art von literarischer Gesellschaft existirt, welche sich bestrebt, die geistigen Bedürfnisse der Bewohner zu befriedigen, zu welchem Zwecke solche Lecturers für eine bestimmte Anzahl Vorträge engagirt werden. Weibliche Lecturers machen indessen nur Glück, wenn sie entweder sehr hübsch, sehr dreist, oder besonders excentrisch entweder in ihrem Aeußern oder in ihren Vorträgen sind.

Eine der geachtetsten und achtungswürdigsten Damen dieser Art ist eine über siebenzig Jahre alte Quäkerin, Lucretia Mott, eine ebenso talentvolle als eifrige Vertheidigerin der Rechte der Frauen. Sie spricht ausgezeichnet, klar und verständig und stets aus dem Stegreif, da sie von ihrem Gegenstande vollständig durchdrungen ist.

Zu den interessantesten Erscheinungen unter diesen weiblichen Lecturers gehört Anna Dickenson, ein hübsches und gescheidtes Mädchen, welche sehr besuchte politische Vorlesungen schon während des Bürgerkriegs hielt. Diese Vorlesungen sind so beliebt, daß sie nicht selten tausend Dollars für den Abend erhält und für Jahre voraus engagirt ist. – Anna Dickenson war ein ganz armes Mädchen aus Philadelphia, die einen ungeheuren Drang hatte, sich zu belehren. Um die Vorlesungen von Wendell Philipps besuchen zu können, der über die Sclavenemancipation so beredt sprach, fegte sie in den Straßen die Trottoirs, wodurch sie das Eintrittsgeld verdiente.

Miß Midy Morgan ist eine der interessantesten Erscheinungen von New-York. Sie ist eine Jungfrau von über sechs Fuß Größe, welche sich immer in höchst excentrischer Weise kleidet, so daß alle Leute in den Straßen stehen bleiben und ihr lächelnd nachsehen. Sie ist eine Irländerin, die viel gereist ist und mehrere Sprachen geläufig spricht. Sie ist Redacteur der Agricultur-Abtheilung der New-Yorker „Times“, einziges weibliches Glied des Ackerbau-Vereins und auch des Jockey-Clubs und versteht mehr von Pferden als irgend ein anderes Mitglied dieses Clubs. Sie ist in der That eine hippologische Autorität und mit König Victor Emanuel in einer Pferdeverbindung, das heißt, sie besorgt ihm Pferde für seinen Privatgebrauch. Obwohl sie persönlich für Vermehrung der Welt nicht gesorgt hat – sie ist übrigens keine Feindin der Ehe –, so ist sie desto eifriger bemüht, die Vermehrung der Thiere zu befördern. Sie hat in der That eine Farm, auf welcher Rindvieh, Pferde, Schafe etc. gezüchtet werden. Alle Viehhändler und Viehtreiber kennen und respectiren sie wegen ihres gesunden Menschenverstandes und praktischen Sinnes. Sie hat auch interessante Vorlesungen, zum Beispiel über Italien, gehalten und zeigt durch ihr Leben und ihre Thätigkeit in ganz praktischer Weise, daß man den Wirkungskreis der Frauen nicht blos auf das Haus und die Mutterpflichten zu beschränken braucht.

Wenn ich deshalb auch keineswegs wegwerfend oder spottend auf die wohlberechtigten Freiheitsbestrebungen – anders kann ich es gar nicht nennen – der Frauen sehe, so hindert das durchaus nicht, daß ich herzlich über Thorheiten lache, die bei dieser Bewegung zu Tage treten. Wer nur irgend Sinn für Humor hat, kann sich dessen gar nicht wehren, und wenn ich mich über exaltirte, närrische Emancipationsapostelinnen lustig mache, so bin ich überzeugt, daß vernünftige Damen das ebenfalls thun.

Der Närrinnen und Humbugs giebt es nun unter den Emancipations-Priesterinnen eine große Menge, und zur Erbauung der Leser der Gartenlaube will ich hier die Biographie von Victoria Woodhull geben, welche als Candidatin für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten auftritt und jetzt Haupt der Banquiersfirma „Woodhull, Clafflin und Compagnie“ und gegenwärtig der größte Humbug Amerikas ist, was in der That etwas sagen will.

Gegen Niemand sind Zeitgenossen undankbarer, als gegen Propheten, Religionsstifter und Reformatoren, und gerade diejenigen sind am lautesten und bittersten in ihrem Spott, mit welchen sie es am besten meinem und die sie aus irgend welcher geistigen Knechtschaft erlösen wollen. Victoria Woodhull, die Prophetin der freien Liebe – welche Louise Aston übrigens schon 1848 predigte – die Verfechterin der Frauenrechte, welche ihre Eingebungen direct aus der andern Welt erhält, die sich nicht durch weichliche Scham und andere irdische Erbärmlichkeiten abhalten läßt, ihren gepredigten Grundsätzen gemäß zu leben: sie auch hat die bittere Erfahrung zu machen, daß man sich nicht ungestraft auf den Prophetenstuhl setzen kann und daß noch immer die Menschheit es liebt, „das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen“.

Während aber gerade Weiberzungen den Ruf der Prophetin zerfetzen und flachköpfige männliche Spötter ihnen beistehen, hat endlich ein allgemein geachteter Mann, ein frommer, ein religiöser Mann es unternommen, für die Verhöhnte und Geschmähte in die Schranken zu treten, und wenn Spötter behaupten, daß er dafür gut bezahlt sei, so ist das sicherlich eine Lüge. Theodor Tilton, der Herausgeber der religiösen Zeitschrift „Golden Age Tracts“ (Goldne-Zeitalter-Tractate), hat in derselben der Welt die wahre Biographie der Prophetin gegeben und sie mit seinem frommen Lichte beleuchtet. Mit dieser Beschämung erkennt man seinen Irrthum und stellt Victoria Woodhull an die Seite der heiligen Therese, der heiligen Katharina von Genua, der heiligen Clara, der heiligen Katharina von Siena, der heiligen Agnes, Paula, Brigitta, Rosa von Lima und anderer gleichfalls von Ketzern verkannter Frauen, deren in den Legenden der römischen Kirche enthaltene Lebensgeschichte, wie ein Ei dem andern, der von St. Tilton geschriebenen ähnlich sieht und gewiß und wahrhaftig denselben Glauben verdient.

Victoria ist das siebente von den zehn Kindern von Roxana und Buckman Clafflin und in dem Orte Homer im Staate Ohio am 23. September 1838 geboren. In diesem Jahre wurde Königin Victoria von England gekrönt und die Eltern nannten das Kind nach ihr Victoria, es sich nicht träumen lassend, daß dies kleine Mädchen einst nach einer erhabeneren Stelle streben würde, als es der Thron von England ist.

Der Vater war ein verdorbener Advocat, der sich mit Landspeculationen befaßte, die ihm eine Zeitlang trefflich glückten; allein ehe noch Victoria drei Jahre alt war, verlor er sein ganzes Vermögen und setzte sich wie ein Bettler in den Staub der Verzweiflung. Die Mutter, die in ihrem ganzen Leben nicht lesen lernte, war die verwöhnte Erbin einer der reichsten deutschen Familien in Pennsylvanien; leider weiß ich ihren Mädchennamen nicht.

Armuth sucht Trost in den Armen der Religion. Roxana Clafflin hatte indessen schon in ihrer üppigen Jugend religiöse Talente; der fromme Biograph nennt sie zu meinem Erstaunen eine religiöse Närrin, die, ohne daß sie es selbst wußte, eine Spiritualistin war, noch ehe man diesen Namen erfunden hatte, und schon vor Victoria’s Geburt an Visionen und Träumen litt.

Der Vater, obwohl kälter und verbissener, war auch ein Spiritualist, doch habe ich ihn stark in Verdacht, den Geist in flüssiger Gestalt zu lieben. „Er schätzte Witz und Epigrammenkürze in eines Schnapses kraftdurchhauchter Würze“, würde Sallet von ihm gesagt haben.

Als Armuth in das Haus kam, nahm die Religion beider Eltern eine sehr düstere Färbung an. Viele behaupten, daß der Vater verrückt wurde. Er rannte oft ohne Zweck und Ziel fünf, sechs Meilen in die Welt hinein und kam mit blutenden Füßen todtmüde nach Hause. Die Mutter, in deren Kopf es niemals richtig war, wurde ganz verrückt. Tiefe Melancholie, dick wie ein Seenebel, umhüllte die Seelen Beider. Man kann sich das Familienleben in diesem Hause denken. Manchmal floß die Mutter von Zärtlichkeit gegen ihre Kinder über, sie herzte und küßte sie wie toll und bat Gott stundenlang mit heißen Thränen sie zu schützen, und zu andern Zeiten quälte und schlug sie ihre Kinder, bis sie Krämpfe bekamen, was ihr eine teuflische Freude zu machen schien, denn sie schlug in die Hände und schrie vor Lachen. Dieselben Lippen, die stundenlang beteten, fluchten zur Abwechselung ebenso inbrünstig.

Der Vater war einseitiger. Er hatte keine Anfälle von Zärtlichkeit. Er hatte stets frische Ruthen im Wasser liegen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_224.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)