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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

während andere Male, wenn man die Jungen mit ihren noch kurzhaarigen Schweifen am nächsten sah, die ganze Gruppe an eine Löwenfamilie erinnerte, wie sie in alten Zeiten über die schneebedeckten Gebirge Griechenlands geeilt sein mögen.

Cäsar ist von seinem Besitzer selbst gezogen worden und wird im Juli dieses Jahres drei Jahr alt; seine Farbe, ein lebhaftes Löwengelb, mit schwarzen Haarspitzen auf der oberen Mitte des Körpers, und weiß an Kehle, Wangen, Bauch und Innenseite der Beine, wurde schon angedeutet.

Cäsar hat eine Rückenhöhe von siebenundsiebenzig Centimeter, Schulterhöhe von zweiundachtzig Centimeter, Stirnhöhe von hundert Centimeter, von der Schnauze bis zur Schwanzwurzel hundertvierundvierzig Centimeter, ganze Länge bis zum Schwanzende zweihundertsieben Centimeter. Sein Gewicht beträgt sechsundsiebenzig Kilo gleich hundertzweiundfünfzig Pfund. Er erblickte das Licht dieser schnöden Welt mit noch zwölf anderen Geschwistern zugleich; es war dies aber noch nicht das Höchste, denn ein anderes Mal hat dieselbe Hündin siebenzehn Junge geworfen, ein so seltener Fall, daß der Besitzer ihn in aller Form vom dortigen Thierarzt bescheinigen ließ. Unter dreizehn scheint es Minka überhaupt nicht zu thun. Cäsar ist von allen Jungen der früheren Würfe der einzige im Besitz seines Herrn gebliebene und hat dadurch eine große Anhänglichkeit an denselben und dessen Familie, aber ebenso an Minka gewonnen, und Beispiele davon werden noch angeführt werden.

Das System, nach welchem Herrn Bergmann die Aufzucht solch schöner Hunde gelungen, ist nach seinen Mittheilungen im Wesentlichen folgendes. Selbstverständlich sind natürlich „gute Eltern“, wie der Berliner sagt, eben so ein trocknes, vor der Witterung geschütztes Lager, gutes regelmäßiges Füttern, Kämmen, Baden. Das Wichtigste davon ist aber eine richtige Quantität des Futters. So bekommt z. B. die Hündin, wenn sie tragend ist, so viel Milch und Fleisch, als sie nur will, nach dem Wurfe aber mehr Suppe aus Milch, Mehl und Brod und erst nach acht Tagen allmählich wieder Fleisch. Die Jungen bekommen schon nach der dritten Woche rohes Fleisch, aber nur in großen Stücken auf ein Bret genagelt oder in einen flachen hölzernen Napf, wo dann die kleine Gesellschaft mit Eifer ihre ersten Kauübungen anstellt und, wenn Milch zugegossen wird, auch selbst saufen lernt. Durch das Kauen saugen die Jungen den Fleischsaft aus dem Fleisch und zahnen leichter. Wenn sie allein fressen, nach der vierten Woche, bekommen sie außer Milch täglich drei Mal klein gehacktes Fleisch bis zur achten Woche, von da an nur zwei Mal täglich Futter und zwar früh Brodsuppe und dann Fleisch, soviel sie wünschen, und Mittags Fleisch, nur nicht bei heißer Witterung. Außerdem muß das Fleisch stets mager sein, und müssen alle Knochen vermieden werden, da sich an denselben die Hunde die Zähne verletzen und später wegen Verdauungsbeschwerden krank werden, ganz wie der Mensch. Das Fleisch ist fast immer Pferdefleisch, ausgenommen wenn auch ein andres Stück Vieh gefallen ist. Der Futternapf wird stets nach der Fütterung weggenommen, und Abends wird nie gefüttert, weil sonst die Hunde für die Nacht zu träge und nicht wachsam genug sind. Das ist die Art, auf welche Herr Bergmann es erzielt hat, daß ihm von allen seinen selbstgezogenen Hunden nie einer krank geworden ist. Kostspielig ist sie allerdings, denn im vorigen Jahre z. B. verzehrten ihm fünf Hunde neunhundert Liter Milch, viertausendachtzig Pfund Fleisch, zweitausendfünfzig Pfund Brod, dreihundert Pfund Mehl, sechszig Pfund Salz. Von diesem Jahre an werden sie natürlich Alles nach Kilos vertilgen.

„Bildung muß sein!“ Und so sollte denn unser Cäsar sich diese zu seiner Schönheit auch noch aneignen und wurde im Frühling des vorigen Jahres zu einem alten Jäger in einer andern Stadt, welcher sich seit vielen Jahren mit Hundedressur beschäftigt und schon Hunderte von Hunden dressirt hat, in die Lehre gegeben. Aber schon nach drei Tagen kam, nicht etwa der Hund, wie man denken wird, sondern der Dressirer, und bat den Herrn Cäsar’s, doch mit ihm zu kommen, da sich das Thier nicht bändigen lasse und ganz wüthend sei. So war es auch. Cäsar hatte allen Bildungsversuchen des ihm Fremden mit fletschenden Zähnen Hohn gesprochen, hatte sich nicht anrühren, am allerwenigsten strafen lassen. Sein Herr fand das Thier, welches in der ganzen Zeit nicht gefressen hatte, ganz erregt, legte es an eine Kette, aber nach seinem Fortgehen schallte noch eine Viertelstunde lang das jammernde Geheul des in seiner Hoffnung auf Befreiung getäuschten Thieres hinter ihm her. Sieben Wochen lang wurden die Versuche der Dressur fortgesetzt, aber ohne allen Erfolg, und als nun sein Herr sich endlich entschloß, ihn abzuholen, schien das Thier ganz stumpf, folgte zwar, aber doch ganz theilnahmlos dem Wagen und erholte sich erst nach Monaten wieder zu seiner früheren Lebhaftigkeit. Man könnte streiten, ob diese Geschichte für oder gegen den Werth des Hundes spricht, für eine edle Anhänglichkeit an seinen Herrn spricht sie jedenfalls, und diesem muß er dadurch nur werther geworden sein. Uebrigens hat Cäsar nach der Hand durch seinen Herrn in wenigen Wochen Alles gelernt, was dieser wünschte.

Es ist schon angedeutet worden, daß durch das freie Zusammenleben dieser Hunde sich ihre Körperschönheit sowohl wie ihre Charaktereigenthümlichkeit und ihre Klugheit viel freier entwickeln kann, als bei Hunden in minder freier Lage. Freilich so gescheidt wie Unsereiner werden sie niemals, aber eben weil wir Menschen im Bewußtsein unseres großen Verstandes einen Vergleich mit Thieren in dieser Beziehung kaum der Mühe werth halten, sind wir dann um so mehr verwundert, wenn wir durch unerwartete Fälle doch immer wieder dazu genöthigt werden. So war z. B. einst Minka von ihrem Herrn aus irgend einem Grunde in ihren Lattenzwinger, der sonst blos ihr Schlafgemach war, eingesperrt worden, und doch empfand sie gerade damals große Sehnsucht nach ihrem Cäsar, der die goldene Freiheit unbeengt genoß. Sie lag mit starkem Lederhalsband an einer Kette, um ihr Entweichen nach etwaigem Durchbeißen der Latten zu verhindern. Aber trotzdem liefen am andern Morgen die beiden Hunde frei und in traulichster Einigkeit im Hofe herum. Die nähere Besichtigung zeigte, daß Cäsar die Latten von außen, Minka sie hingegen von innen durchgebissen hatte, und nachdem so Cäsar Zutritt gewonnen, hatte er zum Schluß das Halsband Minka’s noch durchgefressen und ihr zur ersehnten Freiheit verholfen.

Von ihren Zähnen machen überhaupt diese Hunde, um ihre Privatzwecke zu erreichen, einen sehr ausgiebigen Gebrauch und welche Kraft sie dabei entwickeln, mag Folgendes beweisen. Das für die Hunde bestimmte Fleisch wurde früher in einem Raum auf dem Hofe aufbewahrt, welcher durch eine Lattenthür verschlossen war. Mehrere beobachtete Versuche seitens der Hunde, die Latten durchzufressen, wurden zwar bestraft, trotzdem waren eines natürlich schönen Morgens die Latten zerbissen und das Fleisch verschwunden. Dies wiederholte sich mehrere Male und die Thiere lagen dann stets früh wie todt da, so hatten sie sich vollgefressen. Nun wäre das an sich eine ganz hübsche Beobachtung gewesen, und wenn die Hunde ihrem Herrn mehr wegfraßen, als sie sollten, so hätte man schließlich auch hier sagen können: „Er hat’s, er kann’s, wohl bekomm’s ihm, Amen!“ Aber die Sache war doch weder in der Ordnung, noch den Thieren gesund, und so wurde denn nun eine vollkommene Holzthür eingesetzt, und der schlaue Hausmann hing obendrein das Fleisch noch in einem Korb an die Decke, und rieb sich vergnügt die Hände. Aber trotzdem, und diese Energie der Hunde ist erstaunlich, war am andern Morgen die Thür offen, der Korb lag leer am Boden, die Hunde aber lagen um so voller im Hofe. Die Thiere hatten die Schlagleiste abgerissen, so die Thür aufgesprengt, hatten vom Hackeklotz aus, auf welchen der Hausmann beim Aufhängen des Fleisches gestiegen war, den Korb ausgehoben und heruntergeworfen. Jetzt wurde das Fleisch vier Treppen hoch hinter einer Doppelthür verwahrt, aber auch hier wurden die Schlagleisten durchgebissen, die Thür also abermals gesprengt und das Fleisch geholt, bis zuletzt Nichts übrig geblieben ist, als das Fleisch hinter einer überall mit Eisenblech beschlagenen Thür aufzubewahren.

Diese Neigung zu Diebereien ist besonders stark bei Minka, wenn sie tragend ist oder Junge hat. Wenn man z. B. als Gattin des Besitzers eine Kalbskeule zu russischem Salat bestimmt und zum Abkühlen in ein Zimmer des Erdgeschosses gestellt hat, ohne daß vielleicht die Thür fest genug geschlossen ist, so kommt Minka am hellen Tag gleich einer Katze in die jetzt leere Stube geschlichen, packt die kaum hingestellte, also noch heiße Keule des Kalbes, entflieht mit ihr, und wenn einige Minuten danach die vortreffliche Keule vermißt wird, und Minka nicht blos an den Pfotenabdrücken, sondern auch auf der Flucht als Dieb erkannt worden ist, so liegt sie doch ganz harmlos in ihrer Hütte. Alles

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_230.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)