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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Die Thür ward leise geöffnet und der Kammerdiener erschien in derselben.

„Ist es schon Zeit für die Kirche?“ fragte der Prälat sich umblickend.

„Noch nicht, Euer Gnaden, aber der Herr Pater Benedict wünscht –“

„Wer?“ fuhr der Prälat auf, während auch Rhaneck bei dem Namen emporzuckte.

„Herr Pater Benedict wünscht, sofort vorgelassen zu werden und –“ weiter kam der Meldende nicht, denn der Genannte stand bereits neben ihm auf der Schwelle und sagte fast gebietend:

„Lassen Sie es gut sein! Der Herr Prälat wird mich empfangen!“

Der Kammerdiener erschrak beinahe vor diesem Tone, er hatte so gar nichts mehr von der Art, mit der ein Mönch bei seinem Oberen eintritt. Pater Benedict that ja, als hätte er hier zu befehlen, und er drängte auch wirklich den Mann zurück in’s Vorzimmer, schloß die Thür und schritt rasch durch das Gemach auf den Prälaten zu.

Der Graf war bei seinem Erscheinen aufgesprungen und schaute ihn mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Angst und Schmerz an, aber der junge Priester sah das nicht, oder wollte es nicht sehen, er streifte fast den Arm Rhaneck’s, ohne auch nur mit einem Blicke von ihm Notiz zu nehmen.

Vor dem Abte blieb er stehen und verneigte sich, es war noch der übliche Klostergruß, aber es schien, als habe der Nacken des Mönches es auf einmal verlernt, sich zu beugen, so gezwungen war die Bewegung. Der Prälat schaute ihn streng an.

„Sie hier, Pater Benedict? Haben Sie meine Botschaft nicht erhalten?“

„Welche Botschaft?“

„Den Befehl, unverzüglich den Pfarrer Clemens zu verlassen und sich nach dem Kloster zu begeben, das ich Ihnen nannte, vor allen Dingen aber das Gebiet von E. nicht wieder zu betreten. Der Brief muß schon gestern Abend in Ihren Händen gewesen sein.“

„Gestern Abend war ich bereits in E.,“ sagte Benedict kalt.

„Und was führte Sie ohne Erlaubniß dorthin?“ frug Jener drohend.

„Die Verhaftung Bernhard Günther’s!“

Der Prälat ballte unwillkürlich die Hand. „Sie wissen –“

„Ich erfuhr, was man mir um jeden Preis verbergen wollte, weshalb ich heimlich entfernt werden sollte, und ich komme, um Sie jetzt zu fragen, Hochwürdigster: verlangen Sie noch mein Schweigen?“

Es kam zu keiner Erwiderung, denn der Graf, der bisher regungslos der Unterredung zugehört, trat jetzt dazwischen.

„Wenn mein Bruder Dein Schweigen forderte,“ sagte er gepreßt, „er hatte Recht, Bruno. Ich verlange es auch von Dir!“

Benedict hatte sich bei dem Klange der Stimme umgewandt, und der unglückverheißende Ausdruck trat wieder in sein Auge.

„Sie auch, Herr Graf? Also wirklich!“

„Laß es an dem einen Opfer genug sein!“ fuhr Rhaneck dumpf, aber fest fort. „Ich will kein zweites, Du sollst Dich nicht auch noch in’s Verderben stürzen!“

Einige Secunden lang stand der junge Priester da und sah ihn völlig verständnißlos an, dann auf einmal blitzte die Wahrheit in ihm auf.

„Ich mich in’s Verderben stürzen?“ brach er heftig aus. „Halten Sie etwa mich, mich für den Mörder Ihres Sohnes?“

„Du bist es nicht?“ schrie der Graf auf und es klang wie der Jubel eines Erlösten von Todesqualen.

„Nein!“

„Gott sei gelobt! – Und Du,“ wandte sich Rhaneck jetzt sprühenden Auges an seinen Bruder, „Du sagtest mir –“

„Ich sagte Dir nichts!“ unterbrach ihn der Prälat finster. „Erinnere Dich, daß Du es warst, der den ersten Argwohn weckte, nicht ich!“

„Aber Du nährtest ihn absichtlich mit Deinem Doppelsinn! Du wußtest, in welche Verzweiflung er mich stürzte, ein Wort von Dir hätte sie lösen können, und Du schwiegst!“

Es war, als sei mit der furchtbaren Last, die von seiner Seele gesunken war, auch die Gebrochenheit verschwunden, er stand wieder aufrecht und fest, das Auge flammte wieder in der alten Leidenschaftlichkeit, und die Stimme klang voll und drohend.

„Der Herr Prälat konnte Ihnen den Thäter nicht nennen!“ sagte Benedict fest. „Sie hätten alsdann Aufschluß über die völlig räthselhafte That verlangt. Er hätte Ihnen zugleich bekennen müssen, wem sie galt und – wer sie befohlen.“

Das Antlitz des Prälaten wurde wieder fahl wie damals, als er die Beichte des jungen Mönches empfing, aber er richtete sich stolz empor.

„Pater Benedict, Sie vergessen, daß Sie vor Ihrem Abte stehen!“

„Vor dem Manne, der meinen Tod beschloß! Ich klage Sie nicht an deswegen, denn ich weiß, es war kein persönlicher Haß. Sie opferten den Ungehorsamen, den Abtrünnigen, der den Orden bedrohte, und es ward Ihnen vielleicht schwer, daß Sie damit gerade mein Todesurtheil aussprechen mußten. Ein Höherer hat Ihnen gezeigt, wer allein Herr ist über Leben und Tod! Der Schlag, der mich vernichten sollte, er traf Ihren Neffen, den Letzten Ihres Stammes und Namens, vor der Welt wenigstens, und vor ihr geht auch das Geschlecht der Rhaneck mit ihm zu Grabe. Sie werden auch das überwinden, denn Sie stehen auf einer Höhe, bei der einem Andern das Blut zu Eis erstarrt, aber es ist eine Höhe, weil ihr nichts Gemeines anhaftet. Wenn Sie noch menschlich fühlten, so hätten Sie dem Grafen wenigstens die Qual ersparen müssen, zu glauben, der Bruder sei von der Hand des eigenen Bruders gefallen!“

Die Wirkung dieser letzten Worte war eine unendlich verschiedene bei den beiden Zuhörern. Der Prälat ließ einen unterdrückten Ausruf der Wuth hören, bei dem Grafen aber rissen sie die letzte Schranke nieder, mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit streckte er beide Arme nach seinem Sohne aus.

„Bruno, Du weißt –?“

Benedict wich finster zurück vor der Umarmung und ein Eisesblick traf den Vater.

„Wer meiner Mutter die Treue brach und sie und mich dann verrieth und verließ? Wer meinen Oheim niederschoß? Ja, das weiß ich, Herr Graf Rhaneck!“

Wenn der Graf Alles ertragen hatte, die schneidende Verachtung in diesen Worten ertrug er nicht. Die Verurtheilung aus dem Munde des Einzigen, was er auf Erden wahrhaft geliebt, warf ihn nieder, wie vernichtet sank er in den Sessel.

Der Prälat behauptete allein seine eiserne Ruhe, dieser Mann war nun einmal nicht zu erschüttern. Er erkannte klar die Gefahr, die diese Entdeckung gerade in solchem Augenblicke brachte, er sah die Macht seinen Händen entgleiten und machte noch einen letzten gewaltsamen Versuch, die Zügel wieder an sich zu reißen.

„Bruno, Du vergißt, daß sich diese Sprache dem Vater und dem Oheim gegenüber nicht ziemt!“ sagte er mit der vollen gebietenden Macht seiner Persönlichkeit. „Dem Sohne meines Bruders und meinem Neffen will ich sie verzeihen. Jetzt aber erinnere Dich, daß Du dem Orden angehörst, und was er von Dir verlangt.“

Benedict kreuzte die Arme, wie um sich zur Ruhe zu zwingen, und wandte seinem Vater den Rücken.

„Sie haben Recht, Hochwürdigster, und deshalb allein kam ich hierher. Ich frage Sie jetzt im Angesichte des letzten Ereignisses: was haben Sie beschlossen?“

„Mein Verbot bleibt in vollster Kraft bestehen! Was zwischen uns Dreien verhandelt ward, bleibt begraben für immer. Du schweigst auch ferner gegen Jeden!“

„Auf die Gefahr von Günther’s Verurtheilung hin?“

„Die Verantwortung fällt auf mich! Du hast nur zu gehorchen!“

Mit einer zuckenden Bewegung richtete sich Benedict auf; als werfe er eine langgetragene Fessel ab, so stand er plötzlich vor dem Abte und es loderte furchtbar auf in seinem Auge.

„Gehorchen und immer nur gehorchen! Das ist Euer ewiges Wort; aber es ist jetzt genug der Sclaverei, jetzt kann ich nicht mehr und jetzt will ich auch nicht mehr! Ihr habt mich in Fesseln geschlagen seit meiner Kindheit, habt mich in Eurem Banne gehalten mein Lebelang, habt eine Scheidewand zwischen mir und der Menschheit aufgerichtet, und wenn ich mich empörte dagegen, dann wurde mir immer und immer das Wort entgegengehalten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_238.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)