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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

mit dem ich mich der Kirche zugeschworen. Ich habe es gehalten unter tausendfachen Kämpfen, es gehalten bis zu diesem Augenblick, denn ich wußte, es galt nur mein Verderben, jetzt aber, wo die Ehre, das Leben eines Anderen auf dem Spiele steht, jetzt gehorche ich nicht, zum Verbrechen lasse ich meinen Eid nicht mißbrauchen! Ihr habt mir die Augen darüber geöffnet, daß ich ihn nicht Gott geschworen, sondern Euch allein, und Ihr habt ihn entweiht, nicht ich! Der Altar, der mich binden soll für alle Ewigkeit, er galt Euch nichts, als es sich darum handelte, meine Mutter von ihrem Gatten zu reißen, Ihr habt mich gelehrt, wie man Eide bricht – ich zerreiße den meinen!“

Es lag eine erschütternde Gewalt in dieser jäh hervorbrechenden Empörung, in diesem endlichen Freiwerden eines jahrelangen Ringens und Kämpfens. Der Prälat sah, daß hier Alles zu spät kam, er wahrte vielleicht nur seine Stellung, als er noch eine letzte Drohung versuchte.

„Also eine förmliche Lossagung! Wir werden Mittel finden, Dich zu zwingen, Abtrünniger!“

Bruno schüttelte die dunklen Locken und zum ersten Male hob sich seine Brust unter dem niegekannten Gefühl der Freiheit.

„Mich zwingt Niemand mehr! Was das Kloster auch beschließen mag, es droht nur dem Mönche, der sich gehorsam dem Befehl seiner Oberen beugt. Wenn ich mit meinem Wortbruch fertig werde – Eure Macht ist zu Ende in dem Augenblick, wo ich sie nicht mehr anerkenne!“

Er wandte sich und verließ das Gemach, auch nicht ein einziger Blick war mehr auf den Grafen gefallen. Der Prälat verharrte einige Minuten lang in finsterem Schweigen, plötzlich aber zuckte eine Ahnung in ihm auf.

„Der Prior! Das Volk im Klosterhofe! Er ist zu Allem fähig – wenn er dort spricht, ist nichts mehr zu retten!“

Er eilte nach, aber es war bereits zu spät. Bruno hatte in stürmischer Eile die Gemächer verlassen und durchschritt eben den Kreuzgang, der zum Klosterhofe führte.

Im Begriff aber, hinauszutreten, kam ihm schon die Geistlichkeit entgegen, den Prior an der Spitze und gefolgt von den vornehmeren Leidtragenden, um den Prälaten in seinen Gemächern abzuholen. Bruno erkannte die Gefahr, die ihn hier mitten im Kreuzgange und abgeschnitten von der Welt bedrohte. Er mußte sprechen, mußte seine Anklage in die Welt schleudern, ehe ihn der Prälat erreichte, er wußte, daß ihm nur Minuten blieben, sollte seine Stimme nicht ungehört verhallen. Das Auge flammend in leidenschaftlicher Erregung, das jugendliche Haupt aufgerichtet, als gelte es den Kampf mit einer Welt, eilte er dem Zuge der Geistlichen entgegen, schritt auf den Prior zu, legte die Hand auf seine Schulter und sagte klar, fest und laut, so daß es weithin vernommen wurde:

„Entweihen Sie das Gedächtniß des Grafen Rhaneck nicht, Pater Prior! Sie haben ihn gemordet. Ich war Zeuge davon.“

Ein Schrei des Entsetzens ließ sich ringsum hören, die furchtbare, mitten unter die Priester geschleuderte Anklage wirkte mit der Gewalt eines jäh herniederfahrenden Blitzes. Entsetzt stoben die Mönche auseinander, schreckensbleich drängten die Leidtragenden heran, und es war wohl schon zu spät, als das Thor des Kreuzganges laut krachend zufiel, von einem besonnenen Mönche rasch in’s Schloß geworfen.

Aber mehr als selbst die Anklage sprach der Anblick des Schuldigen. Er war zusammengebrochen vor dem Schlage, der ihn mitten in der vollsten Sicherheit getroffen; mit erdfahlem Gesichte, mit bebenden Lippen und zitternden Knieen stand er da, der Ueberfall kam zu plötzlich, als daß seine mönchische Gewandtheit und Verstellungskunst ihn noch hätte retten können; er besaß nicht einmal mehr die Kraft zum Leugnen.

Jetzt erschien auch der Prälat; aber ein einziger Blick auf den Prior, auf die entsetzten Gruppen ringsum sagte ihm, daß er zu spät kam. Nach dieser vor Hunderten von Zeugen geschehenen Anklage ließ sich nichts mehr verbergen und verleugnen; sie wußten es jetzt Alle, daß ein Mörder unter den Geweihten stand, – und im Ornate hatte man den Priester angegriffen!

Der ersten starren Pause folgte jetzt eine stürmische Bewegung. Die Mönche schaarten sich um ihren Abt, von ihm Rath und Hülfe verlangend, die Verwandten und Freunde der Familie drängten sich bestürzt Bruno entgegen, wie um weiteren Aufschluß zu verlangen. Der Landrichter aus E., der ebenfalls mit im Zuge gewesen, näherte sich dem Prälaten, ehrfurchtsvoll, aber mit einer Miene, welche zeigte, daß er nicht gesonnen war, den Pflichten seines Amtes auch nur das Geringste zu vergeben.

„Hochwürdigster – ?“

Der Prälat stand allein unbewegt da wie ein Fels in der Brandung. Zu ihm floh Alles, an ihn wendete sich Alles, an seinem Antlitze hingen all diese Blicke; es zuckte nicht und erbleichte nicht, als er that, was er thun mußte. Er erklärte, daß die furchtbare Anklage, die Pater Benedict allein zu vertreten habe, auch ihn schwer getroffen, verhieß die strengste Untersuchung und gab Befehl, den Schuldigen abzuführen.

Bis zu diesem Augenblicke hatte sich der Prior noch aufrecht erhalten; sein Auge hing immer nur an dem Prälaten, als solle und müsse ihm dieser Schutz und Rettung gewähren; aber als auch der Abt ihn preisgab, als der sich von ihm wandte und er sich verloren sah, da flammte der giftige tödtliche Haß wieder auf in seinen Zügen; aber diesmal richtete er sich gegen den Obern.

Bruno, der bisher fest und unverrückbar an seiner Seite gestanden, sah diesen Ausdruck und ahnte das kommende Unheil; er beugte sich herab zu ihm.

„Schonen Sie unsern Abt!“ sagte er halblaut und lateinisch. „Er muß den Schuldigen preisgeben. Schonen Sie seine und des Stiftes Ehre!“

Aber er irrte, wenn er bei dem Prior eine Handlungsweise voraussetzte, wie er sie in solchem Falle geübt hätte; bei dem Elenden siegte das Bewußtsein, verloren, aufgegeben zu sein von den Seinigen, selbst über die Gewohnheit und Erziehung des Mönches. Mit dem ganzen Haß des Gemeinen, das seine einzige Genugthuung darin findet, im Sturze noch einen Andern mit sich zu reißen, richtete er sich auf und rief höhnisch:

„Fragt den Herrn Prälaten, ob die That seinem Neffen galt oder einem Andern! Er wußte darum, er hat mich – absolvirt!“

Diesmal gab sich kein Laut des Entsetzens kund; still, todtenstill war es in der ganzen Versammlung, sie wich stumm immer weiter zurück vor dem Prälaten, selbst die Priester flohen vor ihm – er stand ganz allein.

Noch stand er; aber man sah es, der Schlag hatte ihn bis in’s innerste Leben getroffen; er wußte, daß der Eindruck dieser Worte nicht mehr zu verwischen war, und wenn sie zehnfach widerrufen wurden, und es war nur noch eine Form, die er mechanisch wie eine letzte Pflicht erfüllte, wenn er sich jetzt zum Landrichter wandte und erklärte, daß man den „Unsinnigen“ in Sicherheit bringen müsse, bevor er noch zu weiteren Lügen seine Zuflucht nehme.

Kein Laut ließ sich vernehmen, als er sich zurückzog; in dem Schweigen lag sein Urtheil. Der stolze Abt, der den Ruf und die Ehre seines Klosters über Alles gesetzt, er brach mit diesen beiden zusammen!




Noch am Abend desselben Tages kehrte Günther nach Dobra zurück. Nach dem letzten Ereigniß und der schonungslos mit allen Details gegebenen Aussage des Pater Benedict hatte man keinen Anstand genommen, ihn sofort seiner Haft zu entlassen; er befand sich jetzt auf der Fahrt nach Hause, wohin ihm die Nachricht seiner Ankunft bereits vorangegangen war.

Neben ihm im Wagen saß sein junger Befreier; er hatte Günther’s Bitte, sein Gast zu sein, entschieden abgelehnt. „Ich habe versprochen, Sie frei nach Dobra zurückzubringen, und halte mein Versprechen, mehr verlangen Sie nicht von mir!“ Das war seine ganze Antwort gewesen.

„Versprochen? Wem?“ Günther lächelte. „Ich kann es mir denken! Jedenfalls meiner tapferen Hausgenossin Fräulein Reich. Ohne Zweifel war sie es, die Ihnen die Nachricht meiner Verhaftung brachte und Sie zur Rettung anstiftete; wenn es mir auch unbegreiflich bleibt, wie sie erfuhr, daß die Macht dazu grade in Ihren Händen lag.“

Bruno senkte das Auge. „Sie irren! Ich kenne jene Dame nicht einmal. Die Nachricht und der Ruf zur Rettung kamen von – von Ihrer Schwester.“

„Von Lucien?“ rief Bernhard mit unverstelltem Erstaunen. „Hat sich das Kind in diese ernste Sache eingemischt? Wie in aller Welt –“ er schwieg plötzlich, denn die Flamme, welche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_239.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)