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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

erweisen. Sie kam mit einem großen, schönen Baumkuchen, der die Form eines Bienenkorbes hatte, und obenauf stak das Fähnchen. Glücklich war sie aus Schlesien auf dem Babelsberg angekommen, aber beim Aussteigen aus der Droschke strauchelte sie, und der Bienenkorb lag in Stücken. Die Frau war trostlos, und weinend sah sie auf die Ruinen ihres Kuchens. Durch den Flügel-Adjutanten erhielt der König Kunde von dem kleinen Unglücksfall, er ließ die Frau kommen, tröstete sie und nahm von dem Tribut des Herzens, der ihm dargebracht worden war, das Fähnchen an sich, das nun hier in seinem Arbeitszimmer aufbewahrt ist.

Wie erfreut, wie dankbar und wie würdigend der Kaiser für den kleinsten Beweis von Theilnahme und Erinnerung ist, das beweisen so viele Gegenstände, die hier in diesem Zimmer eine Stelle gefunden haben, damit sein Herz sich inmitten so mancher Enttäuschungen immer daran erfreuen kann. Jenes kostbare Geschenk eines Kaufmanns aus Breslau, das auf dem runden Vortragstische steht, eine Uhr aus Ebenholz und Silber in Gestalt eines römischen Triumphbogens, steht ihm nicht höher als eine weiße, fast schon vergilbte Atlasschleife, die in der Ecke einer der Chaiselongues liegt und an der man noch Spuren von silbernem Laubwerk sehen kann. Sie war an einen Kranz geheftet, der ihm am 11. Juni 1854, an seinem silbernen Hochzeitstage, geschenkt wurde. Seitdem liegt sie zur Erinnerung hier, an einer recht merkwürdigen Stelle, auf einem großen Paket von zusammengebundenen Drucksachen. Dieselben sind nun auch schon vergilbt; sie sind zweiundzwanzig Jahre alt, ein recht hohes Alter für Druckpapier. Sie enthalten eine vollständige Sammlung aller Carricaturen, welche im Jahre 1848 und 1849 auf den jetzigen Kaiser als Prinzen von Preußen erschienen sind. Aber damit gleichsam keine Bitterkeit über jene Vorgänge in seinem Herzen nachwirke, sind sie mit Gaben der Liebe, mit Arbeiten seiner beiden Kinder aus den Jugendtagen zugedeckt, mit einer Häkelarbeit seiner Tochter Louise, der jetzigen Großherzogin von Baden, und mit den ersten Versuchen der Malerkunst seines „Fritz“, des jetzigen Kronprinzen des Deutschen Reiches.


(Schluß folgt.)




Erinnerungen an Bogumil Dawison.


Von Rudolf Gottschall.


Der erschütternde tragische Ausgang eines an Verheißungen so reichen Künstlerlebens muß Alle, welche sich an den genialen Kunstleistungen eines Dawison erfreut haben, zu tiefer Wehmuth stimmen! Wie ganz anders dachte man sich das Lebensende dieses unermüdlich strebenden Darstellers! Von Triumphen zu Triumphen emporgetragen, am späten Lebensabend von der Bühne scheidend, mit Kränzen und Huldigungen überschüttet, wie sein glücklicher Dresdner Kunstgenosse Emil Devrient – so stand er vor uns in dem Zukunftsbild, das unsere Phantasie sich entwarf. Und jetzt mußten wir ihn dahinsiechen sehen in geistiger Lähmung; dies unverwüstliche nie versagende Gedächtniß, welches den Künstler bei Proben und Aufführungen in den Stand setzte, auf die Hülfe des Souffleurs zu verzichten, ließ ihn jetzt in der Mitte der Sätze grausam im Stich; immer noch träumte er von der Rückkehr zur Bühne, von neuen Erfolgen auf derselben, und diese Träume, die einzige Freude des so hoffnungslos Erkrankten, wurden von den Angehörigen genährt, ja man veranlaßte Zeitungsnotizen, in denen sein baldiges Wiederaufleben angekündigt wurde, und brachte ihm dieselben, und mitten in seiner Hülflosigkeit sah er sich als wiedererstandenen Triumphator der Bühne, begrüßt vom Jubel des Publicums und legte sich die Costüme für seine Rollen zurecht!

Schmerzlich ist es stets, wenn ein tüchtiges Streben durch körperliche Lähmungen unterbrochen wird; am schmerzlichsten, wenn ein genialer Feuerkopf mit allen hinausstrebenden Regungen des Wollens zur Unthätigkeit verurtheilt wird und in lichten Momenten das traurige Schauspiel seiner gebrochenen Kraft selbst mitansehen muß.

Und ein Feuerkopf war der jugendliche Dawison, voll vibrirender Unruhe, aber auch voll unermüdlicher Ausdauer.

Ich hörte seinen Namen zuerst in der Alsterstadt im Jahre 1848, als er bei dem Herbergsvater so vieler junger Talente, bei dem Director des Thaliatheaters, Maurice, ein Engagement gefunden hatte. Hamburg schwärmte alsbald für den genialen Polen; gleichwohl lebte ein Schauspieler von nicht geringerer Genialität in seiner Mitte, Jean Baptiste Baison,[BER. 1] damals Director des Stadttheaters. Immer war es Dawison’s Loos, gegen anerkannte, große Rivalen ankämpfen zu müssen, ein Wetteifer, der viel Anspornendes, aber auch viel Verbitterndes hat.

Wie rasch hervorragende Darsteller der Vergessenheit verfallen, das sehen wir an dem hochbegabten Baison,[BER. 1] der allerdings nicht Muße gefunden hatte als sein eigener Propagandist in zahlreichen Gastspielen aufzutreten, der aber einer der bedeutendsten Künstler war, welche die deutsche Schaubühne aufzuweisen hat. Er war ein scharfer Kopf, auch von dichterischer Erfindungskraft, in hohem Grade anregend für die Schriftsteller, die mit ihm in nähere Beziehung traten. Scharfgeschnittene Züge, ein feuriges Auge, eine schlanke Gestalt machten seine Bühnenerscheinung interessant; seine Kunst stand ungefähr in der Mitte zwischen derjenigen Emil Devrient’s und Dawison’s; er besaß mehr Schärfe als der Erstere, mehr Idealität als der Letztere. Wer seinen Posa gesehen – dem wird namentlich die große Scene mit der Eboli unvergeßlich bleiben. Mit so hinreißendem, elektrisirendem Feuer ist sie wohl nie auf deutschen Bühnen gespielt worden. Es war tragische Gewalt, Sturm der Leidenschaft in diesem Spiel, – und doch war Baison[BER. 1] von jeder Coulissenreiterei sehr weit entfernt. So spielte er zum Beispiel den Tell als schlichten schweizer Bauer, mit höchster Einfachheit, und bewährte hierin eine charakteristische Meisterschaft, welche mit seiner freisinnigen Auffassung der Dichtwerke zusammenhing.

Doch Baison[BER. 1] war nervös, wie alle Künstler, und es war ein Unglück für ihn, daß er sich hatte bewegen lassen, die Direction des Hamburger Stadttheaters zu übernehmen. Ein Director muß starke Nerven haben, und wenn auch damals noch eine Blüthezeit des Stadttheaters war, welches später in Verfall gerieth und sich gegenwärtig die Künstler von Hannover borgen muß, um eine Schauspielvorstellung zu ermöglichen, so machte doch die Concurrenz des Thaliatheaters viel Sorge, und die Existenzbedingungen einer großen Bühne waren schon damals schwierig genug. Die verschiedensten Aufregungen warfen Baison[BER. 1] auf das Krankenlager, gerade als er ein patriotisches Stück aus der Hamburger Geschichte, zu welchem er nur den Stoff und den Plan gegeben hatte, für die Aufführung vorbereitete. In seinen Fieberphantasien declamirte er die Verse der Titelrolle. Noch einmal erholte er sich, doch ein Rückfall in die Krankheit hatte seinen Tod zur Folge.

Damals sah ich Dawison zum ersten Male. Baison[BER. 1] hatte öfter von ihm gesprochen; dem bewährten Künstler war der Ruhm des jungen Polen unbequem. Er erkannte das Talent desselben an; doch er fand es unfertig und nach vielen Seiten hin beschränkt durch Naturell und Nationalität. Das Hamburger Stück, Hieronymus Suitger, war nach Baison’s[BER. 1] Tod am Stadttheater mit glänzender Ausstattung und vielem Erfolg in Scene gegangen. Am nächsten Tag kam Dawison zu mir; er hatte in meiner Marseillaise die Rolle des Rouget de Lisle am Thaliatheater zu spielen übernommen. „Sie haben am Stadttheater einen großen Erfolg gehabt,“ sagte er zu mir, „ich verspreche Ihnen einen gleichen an unserer Bühne.“

Der Künstler hatte etwas Resolutes, Siegesgewisses in seinem ganzen Wesen, ganz verschieden von Baison,[BER. 1] der einen skeptischen Zug nicht verleugnen konnte und deshalb auch mit Meisterschaft die Hauptrollen in den Gutzkow’schen Stücken spielte. Die Züge Dawison’s hatten einen scharfen Schnitt, wie diejenigen von Baison;[BER. 1] beide Darsteller waren jüdischer Herkunft; aber bei Dawison war auch das slavische Gepräge der Physiognomie unverkennbar. Seine Nase wurde durch einen tiefen Einschnitt an der Wurzel von der Stirn getrennt; sie war stark hervordringend, aber eher breit und stumpf, als gebogen und spitz; das Kinn

  1. a b c d e f g h i Vorlage: Baccon, siehe Berichtigung in Heft 18
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_250.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)