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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

kräftig, die Stirn bedeutend; um den Mund schwebte ein sarkastisches Lächeln; die Augen funkelten mit intensivem Glanz; aber sie waren klein und er war sich dieses Mangels wohl bewußt. Die Gestalt war stattlich, aber nicht elegant. Ein Mann von Thatkraft und Energie des Verstandes und des Willens, das war der erste Eindruck, welchen Dawison’s Persönlichkeit machte, während Baison[BER. 1] mehr das Träumerische deutschidealer Künstlernaturen hatte.

Bald nachher hatte der Director des Thaliatheaters, Maurice, mit dem Tenoristen Wurda zusammen auch das Stadttheater übernommen. Es begann nun jene Droschkenjagd um das Alsterbassin über die Jungfernstiege, um die Künstler rechtzeitig aus einem Theater in das andere zu schaffen, wenn sie hier und dort an einem Abende aufzutreten hatten. Und dies begab sich öfter, als den beiden unter einem Haupte vereinigten Musen Melpomene und Thalia angenehm sein konnte.

Es giebt mehr Dinge zwischen dem Schweinemarkt und dem Stintfang, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. Zu diesen merkwürdigen Dingen gehört jedenfalls das Verhalten der Hamburger Bürgerschaft ihrem Stadttheater gegenüber, an welches sich doch große Erinnerungen und die Namen eines Schröder und Lessing knüpfen! Man gab damals die Vereinigung der Bühnen zu, wie man jetzt das Stadttheater so wenig unterstützt, daß es keine Schauspiele, keine classischen Stücke zu geben vermag und Hamburg die einzige deutsche Stadt ist, welche ohne den Luxus der theatralischen Classicität existirt, so daß hierin die kleinsten deutschen Nester einen Vorsprung vor ihr haben. Doch wenn man auch die Vereinigung der beiden Bühnen zugegeben hatte – man wollte nicht die Schauspieler des Thaliatheaters in classischen Stücken auf dem Stadttheater sehen, und es machte sich eine lebhafte Opposition gegen dieselben geltend.

Auch Dawison sollte dies empfinden, als er zum ersten Male die classischen Bretter des Stadttheaters betrat! Und in welcher Rolle! Es wird der Phantasie seiner Bewunderer schwer werden, den Darsteller des Franz Moor und Richard sich als „Carlos“ zu denken, und zwar nicht als Carlos im „Clavigo“, eine Rolle, die er bekanntlich vortrefflich spielte, sondern als jenen Schiller’schen Knaben Karl, welcher nicht nur dem Tyrannen des Escurial fürchterlich zu werden anfing, sondern auch den Habitués des Hamburger Stadttheaters. Feuer hatte dieser Knabe Karl, und Dawison spielte einzelne Scenen in einer Weise, wie sie wohl niemals weder vorher noch nachher gespielt worden sind, mit origineller geistreicher Auffassung und hinreißender Gewalt. Doch sein Organ hatte noch einige slavische Eigenthümlichkeiten, welche der idealen Reinheit des Schiller’schen Stils einen schnarrenden Beisatz gaben, und für die Liebhaberscenen fehlte ihm denn doch deutsche Schwärmerei, innige Empfindung und die Grazie der Bewegung. So wurde der Erfolg durch eine merkwürdige Mischung von Applaus und Zischlauten bezeichnet, welche dem in der Thaliabühne verwöhnten Künstler befremdlich in’s Ohr klang.

In diese Zeit fällt ein sehr heiteres Erlebniß, welches den damaligen jugendlichen Uebermuth Dawison’s ganz in’s Licht zu setzen geeignet ist.

Am Hamburger Stadttheater befand sich einer jener Schauspieler, die man eine „Utilität“ zu nennen pflegt, weil sie in allen Fächern aushelfen. Er war ein gemüthlicher Oesterreicher und hörte auf den Namen Papa W. Er war nicht nur in allen bürgerlichen Stücken unentbehrlich, sondern auch im Stande, gelegentlich einen Julius Cäsar darzustellen und sich auf dem Capitol mit Anstand verwenden zu lassen. Leider entsprach seine Gage wenig seinen Kunstleistungen und ebenso wenig seinen Ansprüchen an das Leben, die ganz auf den Hamburger Horizont visirt waren und namentlich eine tüchtige materielle Grundlage für die irdische Existenz verlangten. Die aus diesem Mißverhältniß erwachsenden Conflicte fanden indeß in Hamburg eine nicht allzu unbequeme Lösung. Man erklärte sich für bankerott; man wurde an der Börse ausgeläutet; selbst ein Künstler konnte in solcher Weise die Vortheile des kaufmännischen Standes mitgenießen. Dann befand man sich in derselben glücklichen Lage, als ob man aus dem Tetzel’schen Ablaßkasten sich Generalpardon für alle Sünden gelöst hätte. Am Abend nach einer solchen Katastrophe erschien denn Papa W. wieder in seiner Weinstube auf dem Gänsemarkt. Mit einer gewissen Schüchternheit nahm er die Speisekarte zur Hand; doch die Nothwendigkeit, daß der Mensch auch nach den traurigsten Vorgängen existiren, essen und trinken müsse, konnte ja auch für den Kellner und den Wirth kein Geheimniß sein. Mit wachsender Zuversicht begann also der Künstler ein neues Leben und verlangte mit einem möglichst unerschrockenen und treuherzigen Ton das erste Beefsteak, das auf die neue Rechnung gesetzt wurde und das ihm dann so gut schmeckte wie alle die anderen, deren in der Gestalt von Hamburger Marks und Schillings überlebende Geister durch die Börsenglocke kurz vorher zu Grabe geläutet waren.

Doch Papa W. hatte auch noch eine sehr achtungsvolle Seite: er war Vater, guter zärtlicher Vater. Seine Tochter hatte sich ebenfalls der Kunst gewidmet und war die erste Liebhaberin der Lübecker Bühne. Es war rührend, mit welcher Liebe der Künstler an seiner Tochter hing; für seine „Thete“ war ihm kein Opfer zu schwer. Nun sollte Thete’s Benefiz sein und der Vater wandte alle Kunst seiner Beredsamkeit auf, die hervorragenden Künstler der Hamburger Bühnen zur Mitwirkung an diesem Benefizabend zu bewegen. Es gelang ihm auch, die geistreiche Liebhaberin des Stadttheaters, Fräulein Wilhelmi, und Bogumil Dawison dafür zu gewinnen, und ich schloß mich der Fahrt an, um die Stadt Wullenweber’s, das einstige Haupt der deutschen Hansa, kennen zu lernen.

Damals schleppte sich noch die Postschnecke langsam durch die gesegneten Fluren Holsteins nach dem hochgiebeligen Lübeck; man hatte an jeder Station Muße, den Staub des Weges abzuschütteln und die Kirchen und Marktplätze der kleinen Städte in Augenschein zu nehmen. Wir waren indeß noch nicht weit über Wandsbeck hinaus, als Dawison dem Vater der Benefiziantin einen nicht gelinden Schreck einjagte, indem er plötzlich über Unwohlsein zu klagen anfing. Da die Benefizvorstellung der Tochter durch diesen unglücklichen Zwischenfall bedroht schien, so kann man sich die Besorgniß des Vaters denken. Nicht der gewissenhafteste Arzt fragt seine Patienten über ihr Befinden so peinlich aus, wie Papa W. den Künstler über den Sitz seines Uebels examinirte. Dawison spielte seine Rolle vortrefflich; seine Krankheit nahm von Station zu Station zu; die Brille, die er abgenommen hatte, zitterte in seinen Händen; die Krampfanfälle wurden bedenklicher. Papa W. sprang in jedem Städtchen aus der Postchaise, eilte zur Apotheke und kam mit riesigen Medicinflaschen zurück, mit allen Heilmitteln, die wir nach unserer Kenntniß der populären Medicin für nöthig erklären. Doch leider war keine Besserung fühlbar, die Thürme der Travestadt tauchten schon am Horizont auf; der Angstschweiß stand dem Vater der Benefiziantin auf der Stirn; er brachte ihn mit, den Löwen des Tages, den Cassenmagnet, der das etwas spröde hanseatische Publicum zum Vortheil seiner „Thete“ in das Theater locken sollte; aber in welchem Zustande! So nahe dem Hafen drohte das Schiff zu scheitern! Wenn Bogumil Dawison nicht mit auftrat, dann wurden alle die schönen Hoffnungen auf ein glänzendes Benefiz zu Schanden. Hops, Anne Marthe – da lag der Topf! Schon rasselte die Postchaise über das Straßenpflaster, wir Alle halfen Dawison aus dem Wagen und brachten ihn in sein Zimmer. Trübselig war der Empfang bei der Familie W.; der Himmel, der so voller Geigen gehangen hatte, umflorte sich in bedenklicher Weise.

Der kranke Künstler ließ sich indeß bestimmen, zu Tisch zu kommen. Alles hing fragend an seinen Mienen. Bei dem zweiten Teller Suppe, den er verlangte, flog über das Gesicht von Papa W. ein heller Sonnenschein. Dawison nahm einmal Braten, er nahm zwei Mal, er nahm das dritte Mal davon – dem glücklichen Vater standen die Freudenthränen im Gesicht. Der gastirende Künstler war genesen, das Benefiz gerettet! Die Genesung machte unglaublich rasche Fortschritte; Dawison trank ein Glas Wein nach dem andern und entwickelte einen Humor, der das dankbarste Publicum fand. Freilich konnte das Geständniß der kleinen Komödie im Postwagen nicht ausbleiben, dieses dramatischen Intermezzos, welches für alle Eingeweihten so ergötzlich gewesen war. Der Vater war im Rausch der Freude gern bereit, den Scherz zu vergeben. Nur „Thete“ trug es dem Künstler nach, daß er ihrem Vater zum Besten gehabt hatte – und das rechne ich ihr heute noch zur Ehre an.

Der Benefizabend zeigte ein ausverkauftes Haus mit geräumtem Orchester – und der Don Carlos Dawison’s sowie die

  1. Vorlage: Baccon, siehe Berichtigung in Heft 18
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_251.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)