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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

das zwischen ihm und seiner Gemahlin bestand, noch mehr gelockert. Die Gräfin, fast immer kränklich, lebte meistentheils ihrer Gesundheit wegen auf den anderen Gütern, der Graf nach wie vor in der Residenz, sie sahen sich oft wochen- und monatelang nicht, und wenn es wirklich geschah, so fehlte diesen flüchtigen kalten Begegnungen auch die leiseste Spur einer Zuneigung, die freilich niemals in Wirklichkeit bestanden, deren Anschein man aber doch der Welt gegenüber aufrecht erhalten hatte, so lange der Sohn und Erbe Beiden wenigstens noch ein gemeinschaftliches Interesse gab.

Jetzt zum ersten Male nach drei Jahren sah Schloß Rhaneck seinen Herrn wieder. Der Graf war unerwartet, allein und nur von einem Diener begleitet, dort eingetroffen, und hatte Befehl gegeben, seine Anwesenheit möglichst zu verschweigen, da er während der kurzen Zeit seines Aufenthaltes keine der Beziehungen zu der Nachbarschaft wieder aufzunehmen gedenke. Was ihn nach so langer Zeit wieder hergeführt, das wußte Niemand.

Rhaneck saß in seinem Arbeitszimmer vor dem Schreibtische, einen geöffneten Brief in der Hand, der soeben aus Rom eingetroffen war. Der Graf hatte sehr gealtert in diesen letzten Jahren, das Haar war grau geworden, das Antlitz tief gefaltet und auch in dem Auge sprühte nicht mehr das alte Feuer, es lag ein bitterer, tief schmerzlicher Zug darin, der einst nicht dagewesen, und er verschwand auch nicht beim Lesen des Briefes. Es waren die festen kraftvollen Schriftzüge des Prälaten, auf denen sein Blick haftete, aber er überflog schnell die Eingangsworte, um desto länger auf einer Stelle zu verweilen, die ihn augenscheinlich am meisten interessirte:

„Ich würde mich über Dein langes Schweigen beklagen, wüßte ich nicht längst, daß eine Entfremdung zwischen uns eingetreten ist, die die Zeit nicht heilen wird. Du hättest mir Alles verziehen, selbst den Tod Ottfried’s, den ich unwissentlich verschuldete. Daß ich die Hand an Deinen Bruno legen wollte, verzeihst Du mir nie. Sei’s drum! Jenes unselige Wagniß hat mich mehr gekostet als nur die Liebe meines Bruders!

Was ich von dem Stifte höre, überrascht mich nicht, wenn es mir auch bitter ist, eine Schöpfung verfallen zu sehen, an die ich dreißig Jahre lang die beste Kraft meines Lebens gesetzt habe. Unter Eusebius’ Regiment war nichts Anderes zu erwarten, und von all den Uebrigen ist Keiner im Stande, Besseres zu leisten. Du weißt, wen ich mir zum Nachfolger ausersehen hatte, wenn ich früher oder später den Bischofsstuhl bestieg. Den Mönchen imponiren und die Zügel der Herrschaft mit einer Hand festhalten, wie die meine war, konnte nur Einer, und der ist jetzt drüben im Lager unserer Feinde! Du wirfst mir mit Unrecht Haß gegen ihn vor, ich habe ihn nie gehaßt, selbst da nicht, als ich ihn opfern wollte, und in diesen letzten drei Jahren habe ich ihn fast bewundern gelernt. Was ist von unserer Seite nicht versucht worden, ihm die Bahn zu kreuzen, den Weg zu hindern und in der Dunkelheit und Vergessenheit die Gefahr zu begraben, die für uns in diesem Kopfe lag – er wußte Allem die Stirn zu bieten, Alles niederzutreten, was ihm im Wege stand, und jetzt hat er sich zu einer Bedeutung aufgeschwungen, die jeden Versuch, sie ihm noch ferner abzustreifen, thöricht erscheinen läßt. Die –sche Universität war uns von jeher ein Pfahl im Fleische; daß man ihn dorthin berufen, ihn mit solcher Acclamation dort empfangen konnte, beweist am besten, wie ohnmächtig wir geworden sind in einem Lande, wo sonst Alles in unseren Händen lag. Man konnte uns nicht offener den Krieg erklären, als indem man diesen Mann auf’s Schild hob. Ich weiß am besten, was sie an ihm besitzen, denn ich habe diese Kraft wachsen sehen und kann es noch heute nicht verschmerzen, daß sie uns verloren ging. Ottfried war der schwächliche, verweichlichte Sproß seiner unbedeutenden Mutter, Bruno war unser Blut, und wenn er zehnmal in stolzem Trotze den Namen zurückweist, er hat es gezeigt, daß er ein Rhaneck ist!

Wie ich höre, stehst Du im Begriff, nach unserem Stammschlosse aufzubrechen; ich ahne, was Dich dorthin führt, grade in dem Augenblick, wo Bruno das Siegel auf seinen Abfall drückt und Günther’s Schwester zum Altar führt. Aber nimm Dich in Acht vor Deinem Sohne, Ottfried, wenn Du etwa versuchen wolltest, den zärtlichen Vater zu spielen. Ich sage Dir, er kann seine Mutter nicht vergessen, und er wird Dir ihr Andenken wieder ebenso vernichtend in’s Antlitz schleudern, wie damals, wo Du zum ersten Male die Arme nach ihm ausstrecktest. Weichherzigkeit war nie der Fehler unseres Geschlechtes! Du wirfst mir in Deinem letzten Briefe vor, daß ich es war, der im Grunde das Ganze verschuldete; nun, so solltest Du auch bedenken, daß die Folgen mich am schwersten trafen. Ich entriß den Knaben seiner Heimath und seinem Glauben, um ihn zur Ehre der Kirche und unseres Klosters zu erziehen, und dieser Knabe stürzte mich, vernichtete die Macht des Stiftes und steht jetzt an der Spitze unserer Gegner, bereit, uns den Kampf auf Leben und Tod zu bieten. Ich dachte den angeerbten trotzigen Ketzergeist zu bändigen mit der Priestererziehung, und vergaß, daß ihm der Freiheitsdrang im Blute liegt. Das war mein Mißgriff und wurde mein Verhängniß.

Von meinem römischen Aufenthalt kann ich Dir nichts Neues berichten; auch hier wächst und drängt die Bewegung mit jedem Tage, und mit jedem Tage reißt sie uns ein Stück von dem Boden weg, auf dem wir stehen. Wir stemmen uns dagegen mit der ganzen geschlossenen Macht, die Jahrhunderte lang allen Stürmen getrotzt und die Reformation überdauert hat, aber – ich habe es stets für Schwäche gehalten, sich die Wahrheit zu verhehlen, selbst wenn sie vernichtet – ich fürchte, unsere Zeit ist vorbei! Im Einzelnen mögen wir noch die Gewalt behaupten, die Weltmacht geht uns verloren – und Dein Bruno ist auch Einer von denen, die sich einst rühmen können, sie uns entrissen zu haben!“ –

Der Graf überflog noch rasch die Schlußworte des Briefes, dann faltete er ihn zusammen und schob ihn von sich. Die Art, wie dies geschah, zeigte zur Genüge, daß die Versöhnung zwischen den beiden Brüdern nur eine äußerliche gewesen war, und daß Rhaneck wenigstens nie das tiefe Grauen überwunden hatte, das er seit jener Zeit vor dem Prälaten empfand. Er stand auf und trat an’s Fenster; es war so einsam in dem Schlosse, so gespenstig öde in all diesen düsteren Räumen und hallenden Gängen, und es war so kalt und leer in den weiten Sälen und Gemächern des gräflichen Palais in der Residenz, das der alternde Mann jetzt ganz allein bewohnte. Der schmerzlich bittere Zug in seinem Antlitz trat schärfer hervor, als er nach Dobra hinüberblickte, wo jetzt das Einzige weilte, was er auf Erden noch liebte – vielleicht hatte der Prälat dennoch Recht gehabt mit seiner Vermuthung. –


(Schluß folgt.)




Des Kaisers Tusculum.


(Schluß.)


Sehen wir uns die Bilder an den Wänden des Arbeitszimmers näher an. Sie stellen meist militärische Gegenstände und Persönlichkeiten dar, Friedrich den Großen mit seinen Generälen, nach den Zeichnungen von Menzel, Revuen, Scenen aus dem Feldzug von 1866, die erste und die zweite Krönung in Königsberg etc. Daneben begegnen wir aber auch in verschiedenen kleinen und größeren Kupferstichen den Nachbildungen idealer Frauengestalten der Düsseldorfer Schule; an einem Kaminschirm ist ein prächtiger moderner englischer Kupferstich in einfachen goldenen Rahmen eingefaßt, derselbe stellt die Herzogin von Wellington dar, eine der schönsten Frauen Englands. An die Lehne eines Sessels ist eine Kreidezeichnung der Großherzogin von Baden angelehnt; vor dem Schreibtische am Fenster ruht auf einer Staffelei ein großes, in goldenen Rahmen gefaßtes Bild der Kaiserin, eine Kreidezeichnung des verstorbenen Hofmalers Lauchert. Vor den Fenstern der Westseite steht der Schreibtisch des Kaisers, eine lange Tafel aus polirtem, mit blauem Sammt überzogenen Ahornholz; nach drei Seiten hin ist derselbe ganz frei, nur rechts ist ein kleiner etagèrenförmiger Aufbau gemacht, in dessen verschiedenen Fächern eine Menge jener kleinen, graziösen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_256.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)