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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Zwei neue Kartenwerke von Deutschland. Geschichtskarten gehören zu den anziehendsten Lehrmitteln, das Staatenbild der Vergangenheit erleichtert außerordentlich das Verständniß der Geschichte. Am nächsten liegt uns allezeit unser deutsches Vaterland, aber insbesondere heute, wo es wieder bei einem Abschluß seiner Entwicklung angekommen ist, welcher Bestand verspricht; da sehen wir uns unwillkürlich nach den Zuständen der überwundenen Standpunkte um und in’s Besondere nach jenen Reichszeiten, wo das römisch-deutsche Kaiserthum, im Gegensatz zu dem reindeutschen der Gegenwart, die größte Vielgliederigkeit und Ohnmacht zugleich zeigte. Eine solche Parallel-Karte hat Dr. Karl Wolff in Berlin entworfen und gezeichnet und die Verlagshandlung von C. F. Lüderitz (Karl Habel) daselbst herausgegeben. Diese Karte stellt erstens das jetzige deutsche Reich in seiner Begrenzung und innerhalb desselben ebenso bestimmt begrenzt die Staaten dieses Reichs und zweitens diejenigen Nachbarstaaten und Theile derselben dar, welche zur römisch-deutschen Kaiserzeit in Beziehung zu jenem standen, also: Deutsch-Oesterreich, die Schweiz, Holland, Belgien und Nordost-Frankreich, alle ebenfalls mit Angabe ihrer gegenwärtigen Grenzen. Innerhalb dieser Karte von heute breitet sich in besonderer Begrenzung und Färbung der alte Reichsbestand an Ländern und Gebieten aus. Wir sehen genau, aus wie viel ehemaligen Einzelstaaten und Herrschaften zum Beispiel Baiern, Württemberg, Elsaß-Lothringen etc. zusammengesetzt, wir sehen aber auch, wie viel ehemaliges Reichsgebiet noch in fremder Hand ist. Wer früher nicht wußte, wo er die Titular-Herzogthümer der sächsischen Fürsten: „Jülich, Cleve und Berg, auch Engern und Westphalen, Grafschaft zur Mark und Ravensberg etc.“ suchen sollte, dem zeigt sie diese alte in der neuen Reichskarte alle. Auch die Ausstattung ist löblich.

Ein Wandblatt größten Formats ist die von Dr. H. Möhl entworfene und von Th. Fischer in Kassel herausgegebene „Oro-Hydrographische und Eisenbahn-Wandkarte von Deutschland“, zwölf Blatt in Farbendruck und im Maßstab 1:1,000,000. Diese Gewässer- und Gebirgskarte giebt durch Zeichnung und Farbe uns ein Bild Deutschlands und seiner Nachbarländer; von letzteren umfaßt sie Belgien, Holland und die Schweiz vollständig, Dänemark bis auf die Nordhälfte von Jütland, die Südspitze von Schweden, ganz Oberitalien bis über Ancona hinaus, Frankreich in dem Grade von Orleans vom mittelländischen Meere bis zum Pas de Calais, ganz Deutsch-Oesterreich und vom slavisch-ungarischen Osten den größten Theil des Weichsel- und Theiß-Gebietes. Tiefland und höhere Ebenen sind dunkel- und hellgrün, Hügel- und Hochland hell- und dunkelbraun gefärbt, Schnee- und Gletscherstriche stellen sich durch blauumrändeltes Weiß, Moor und Seen dunkelblau dar und zwischen dem Grün und Braun ziehen die schwarzen gezähnten Linien der Canäle und die rostrothen Stränge der Eisenbahnen sich hin. Diese Karte ist eine nützliche Wandzierde und gewiß für die wißbegierigen Kinderaugen in der Schule eine Lust.




Ordensschwindel. „Verbindungen mit hochgestellten Persönlichkeiten setzen einen den höheren Ständen angehörigen Herrn in die Lage, für Verleihung auswärtiger Decorationen mit Erfolg thätig sein zu können. Personen von Vermögen und gutem Rufe, für welche diese Mittheilung von Interesse ist, belieben ihre Adresse sub Nr. 1645 an die Annoncen-Expedition von Rudolph Mosse in Berlin einzusenden“, – diese in Berliner Blättern sich von Zeit zu Zeit wiederholende und hier buchstäblich mitgetheilte Annonce ist mehr als alles Andere geeignet, den ohnehin in vielen Fällen sehr zweifelhaften Werth der Orden vollends zu discreditiren.

Angesichts dieser Annonce drängt sich dem Leser unwillkürlich die Frage auf: Giebt es wirklich im Auslande – oder vielleicht gar im weiteren deutschen Vaterlande selbst – einen regierenden Fürsten, der sich zur Verleihung von Decorationen an ihm bis dahin fremde Personen lediglich deshalb herbeiläßt, weil sie Vermögen besitzen und sich neben ihrer Vorliebe für derartige Schmucksachen eines guten Rufes erfreuen? Oder ist der anonyme Verfasser dieser Annonce, welcher sich als Vermittler für solchen unsaubern Ordensschacher anbietet, nicht vielleicht ein Hochstapler, der es lediglich auf die Tasche „vermögender und unbescholtener“ Gimpel abgesehen hat und der schließlich darauf rechnet, daß letztere einen Entschädigungsanspruch gegen ihn zur Wiedererlangung der ihm etwa anvertrauten Summen gerichtlich kaum geltend machen können, ohne sich der öffentlichen Lächerlichkeit preiszugeben?

Wenn man bedauerlicher Weise auch annehmen darf, daß es eitle Gecken giebt, die, im Vollbesitz der vom Inserenten geforderten Eigenschaften, geneigt sind, auf seinen Vorschlag einzugehen und zur Decorirung ihres werthen „Ich“ Opfer zu bringen, so dürfte es doch Sache der betreffenden Behörden sein, entweder in dem einen Falle die nöthigen Schritte zur Beseitigung dieses öffentlichen Schachers mit ausländischen Orden ungesäumt zu veranlassen – oder im andern Falle in der Person des angeblich den höheren Ständen angehörigen Herrn, welchem diese stille Thätigkeit möglicher Weise nicht unbeträchtliche Summen zuführt, einen Bauernfänger höherer Art zu entlarven und unschädlich zu machen.

Th.




Instinct oder Ueberlegung? Vor einigen Jahren besuchte ich in den Weihnachtsferien meine Eltern. Mein Vater ist Forstmann, zwei meiner Brüder haben denselben Beruf erwählt, und der ältere von ihnen hielt sich damals zur Unterstützung des Vaters bei demselben auf. Wir hatten gelindes Frostwetter und die Erde war mit einer dünnen Schneedecke überzogen. In der Neujahrsnacht war ein guter Spürschnee gefallen und ich ging am Morgen mit meinem Bruder in’s Revier. Wir wollten eine Marderfalle nachsehen und außerdem auf einigen anderen Punkten im Forste Rundschau halten.

Das erste Ziel war die Falle, eine sogenannte Blockfalle, wie ich sie oft gesehen. Die Wände bestehen aus eingeschlagenen, circa anderthalb bis zwei Zoll dicken Pfählen, welche über dem Boden eine Höhe von einundeinviertel bis anderthalb Fuß haben. Die Vorderwand hat nur halbe Höhe und der Marder erreicht den Köder schon (gewöhnlich ein Ei oder ein Vogel), wenn er mit halbem Leibe in die Falle hinein ist, liegt also auf der Vorderwand. Der Deckel, welcher etwas über letztere vortritt, ist mit Steinen beschwert. Beim Aufstellen wird der Deckel in die Höhe gehoben und mittelst eines Stellstickens in dieser Lage erhalten. Letzterer steht mit dem Köder durch eine Schnur in Verbindung. Sobald derselbe berührt wird, fliegt der Stellsticken heraus, der Deckel schlägt nieder und erdrückt den Marder.

Die Falle stand auf einer Anhöhe in einer Tannenschonung. Wir sahen schon aus einiger Entfernung, daß der Deckel niederlag, und hofften, einen Marder in der Falle zu finden. Wir sahen uns bitter getäuscht, denn dieselbe war derartig zerstört, daß sie in diesem Zustande völlig unbrauchbar war. An der Nordseite der Falle waren vier der armdicken Pfähle über dem Boden abgenagt, mehrere andere zum großen Theile zersplittert. Die Südseite trug ebenfalls Spuren herzhafter Angriffe nagender Thiere. Rings um die Falle war das zernagte und zersplitterte Holz zerstreut und die Schneedecke des Bodens von vielen zierlichen Spuren der Eichhörnchen niedergetreten. Unter dem Fallendeckel aber guckte der buschige Schwanz eines Eichhörnchens heraus, das durch die zerfressene Seitenwand ängstlich in’s Freie schaute. Als mein Bruder den Deckel hob, sprang der Gefangene heraus und war in wenigen Minuten auf den Wipfeln der Tannen verschwunden.

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Zerstörung an der Falle den Zweck hatte, das gefangene Thier zu befreien. Dasselbe war jedenfalls neugierig in die Falle gegangen und hatte sich gefangen. Da es kleiner ist als der Marder, hatte der fallende Deckel nur den Schwanz getroffen und das Eichhörnchen daran festgehalten. Wie aber hatte es seinen Cameraden Mittheilung von seiner Noth gemacht und sie zur Hülfeleistung bestimmt? Die Zerstörung an der Falle war derartig, daß wenigstens zehn bis zwölf Thiere die Nacht hindurch daran gearbeitet hatten. Wie hatten sich diese so schnell zusammengefunden? Der Hauptangriff war wohlweislich auf einen Punkt mit dem größten Erfolge gerichtet, denn die Zerstörung an der Südseite rührte jedenfalls nur von den Thierchen her, die an der Hauptangriffsstelle zur Thätigkeit gerade keinen Platz fanden.

Ich wenigstens habe die Ueberzeugung gewonnen, daß hier ein wohlangelegter Plan mit größter Anstrengung zur Ausführung gebracht war, um das gefangene Eichhörnchen zu befreien. Ein inniges Bedauern ergriff mich bei dem Gedanken, daß solche Arbeit vergeblich gewesen, und daß die Retter den Ort verlassen mußten, ohne dem gefangenen Bruder helfen zu können, dem zwar der Weg in’s Freie offen stand, aber die Fesseln nicht gelöst waren.




Schwarzes Brett für die deutsche Volksschule. II. Blind und taub! – Folgendes Zeugniß ist von einem königlich preußischen Kreisphysicus in Stendal ausgefertigt und vom dortigen Magistrat bestätigt worden:

„Dem emeritirten Schullehrer Christian Friedrich Förster bezeuge ich hiermit diensteidlich, zum Behufe der Nachsuchung einer Unterstützung, daß er in sehr hohem Grade auf beiden Ohren schwerhörig ist und wegen Trübung der Hornhaut durch alte Geschwürsnarben der Pupille auf beiden Augen kleinere und fernere Gegenstände nicht mehr zu unterscheiden vermag, und daß er endlich auch an einem alten habituellen Fußübel und Geschwüren leidet. Der etc. Förster ist daher als völlig arbeitsunfähig erachtet. Stendal, 28. September 1871.“

Dieser Mann ist, nachdem er einunddreißig Jahre als Küster, Lehrer, Cantor und Organist Dienste geleistet, wegen Gehör- und Gesichtsschwäche mit vierundachtzig Thaler jährlich, als einem Drittel seines früheren Einkommens, pensionirt. Durch wiederholtes Bitten beim Cultusministerium ist ihm noch eine Unterstützung von zwölf Thaler jährlich zu Theil geworden. Der alte vierundsechzigjährige Lehrer ist also blind und taub und kann nichts mehr verdienen, seine ganze Einnahme bleibt deshalb sechsundneunzig Thaler! Davon gehen ab: sechzig Thaler für Hausmiethe, fünfzehn Thaler für Holz und Kohlen und zehn Thaler für jährliche Abgaben! Verbleibt der Familie zur Nahrung und Kleidung im Ganzen elf Thaler! Was von Hausrath und Vorräthen verkauft werden konnte, ist bereits dahin. Wenn der letzte Fetzen fort ist, was dann?




Liebesstufen. Unter diesem Titel wurde erst in Düsseldorf, dann zu Königs Geburtstage in Elberfeld ein fünfactiges, deutsches Original-Lustspiel von Ottomar Beta, dem Sohne unseres alten Mitarbeiters, mit Erfolg aufgeführt. Die Kritiken der dortigen Zeitungen rühmen den frischen Geist, feinen Witz und die scharfe, naturgetreue Charakterisirung der komischen Dichtung. Die eine aus Elberfeld schließt: „Bei der Armuth unseres Lustspiel-Repertoires, die uns oft veranlaßt, im Auslande zu borgen (und meist leider immer noch von den Franzosen!), können wir ein junges, für die Zukunft so viel versprechendes Talent, wie das des Herrn Beta, nur auf’s Freudigste begrüßen.“

Solche junge Talente bedürfen jedenfalls in dieser Richtung der Aufmunterung, damit sie selbst und durch ähnlich Strebende und Schaffende auf den Brettern, welche die deutsche Welt für uns bedeuten sollen, wohlthätig und entfranzösirend wirken können. Deshalb rufen auch wir ihm ein Vorwärts! und Glück auf! zu.




Zur Notiz. Wir bitten die Herren „Dichter“, von jetzt an ihre Einsendungen wenigstens nicht mehr zu recommandiren, damit uns die unvermeidlichen Enttäuschungen erspart bleiben. Namentlich aus Oesterreich erhalten wir alle Verse recommandirt.




Kleiner Briefkasten.

R. P. in G. Das ist komisch. Sie sind nun der Dritte, der den echten Trauring Luther’s besitzen will, und nach mündlichen Mittheilungen soll auch hier in Leipzig der echte Trauring des großen Reformators existiren. Ganz wie mit Gustav Adolph’s Lederkoller!


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_268.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)