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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Sie meinen, er würde dann erst recht beginnen? Allerdings keine besonders angenehme Aussicht für mich, indessen ich will es einmal darauf hin wagen. Die Hauptfrage ist nur: wollen Sie mich, Franziska?“

Die mit diesem lakonischen Antrag Beehrte war anfangs noch immer ziemlich entrüstet über die Idee, ihr mitten im Zanke einen Heirathsvorschlag zu machen, ließ sich aber doch schließlich überzeugen, daß es wirklich „das Vernünftigste sei“, und Lucie war nicht wenig überrascht, als ihr der Bruder die Erzieherin, die sie eben noch in der hitzigsten Debatte mit ihm verlassen, zehn Minuten später als seine Braut und ihre künftige Schwägerin vorstellte. Drei Monate später hatte Franziska das Regiment in Dobra angetreten, wie es Günther spottweise nannte, indessen war es Thatsache, daß er und ganz Dobra sich nicht schlechter befanden unter diesem Regiment, obgleich die neue Herrin auch als Frau ihr früheres resolutes Wesen nicht verleugnete.

Augenblicklich befand sich der Gutsherr in seinem Zimmer und hatte sich dort in die Zeitungen vertieft, als seine Frau eintrat, sehr erhitzt, sehr eifrig, und fast erdrückt von der Last und Wichtigkeit all der Geschäfte, welche Luciens morgen bevorstehende Trauung nothwendig machte, obgleich diese Trauung in aller Stille und nur vor wenig Zeugen stattfinden sollte.

„Es ist vier Uhr, Bernhard!“ sagte sie mahnend, „Du wirst Dich wohl jetzt fertig machen müssen, um nach der Bahnstation zu fahren.“

Günther ließ etwas überrascht die Zeitung sinken. „Ich nach der Bahnstation? Weshalb?“

„Nun, Du weißt doch, daß wir den Herrn Pastor aus der Residenz heute Abend erwarten. Oder willst Du vielleicht einen der Stiftsherren von drüben zu dem feierlichen Acte morgen herüberholen lassen? Das würde einen schönen Lärm geben, wir erlebten statt der Hochzeit eine neue Auflage der Excommunication!“

„Liebes Kind, das Abholen ist Bruno’s Sache,“ erklärte Bernhard sehr gleichmüthig. „Er hat den ihm befreundeten Geistlichen gebeten, die Trauung zu vollziehen, also schickt es sich auch wohl, daß er ihn bei der Ankunft in Empfang nimmt.“

Franziska zuckte die Achseln. „Bruno? Als ob der im Stande wäre, jetzt irgend etwas Anderes zu sehen und zu denken als nur seine Lucie, oder auch nur eine Viertelstunde von ihrer Seite fortzugehen, nachdem er heute Morgen erst angekommen ist! Du wirst wohl selbst hinfahren und den geistlichen Herrn empfangen müssen, er thut es bestimmt nicht und ein Bräutigam ist ja auch immer entschuldigt.“

„Ja, Bruno ist jetzt wirklich etwas sehr langweilig für alle Anderen!“ meinte Günther trocken, indem er seine Blätter zusammenlegte.

„Ich weiß nicht, ob es gerade langweilig ist, wenn Jemand seine künftige Frau anbetet – es giebt mehrere Männer, die sich ein Beispiel daran nehmen könnten!“ sagte Frau Franziska höchst anzüglich.

„Ich hoffe, Du sprachst nur im Allgemeinen! Oder sollte mir vielleicht diese freundliche Bemerkung gelten?“

„Wie Du es nehmen willst! So viel steht fest, daß ich mich während meines Brautstandes über eine ähnliche ‚Langweiligkeit‘ Deinerseits nicht zu beklagen hatte.“

„Ja, beste Franziska, verzeih’, aber Du bist auch nicht –“

„‚Du bist auch nicht darnach, um angebetet zu werden!‘ willst Du wohl sagen?“ unterbrach ihn Franziska neckend.

„Bewahre! Wie Du mir die Worte auslegst! Ich meinte nur, ich bin nicht darnach, solche ‚Langweiligkeiten‘ zu begehen, und das wirst Du wohl selbst zugeben müssen. Stelle Dir einmal vor, ich wäre Dir zu Füßen gefallen und hätte Dir eine ideal-romantische Scene, so etwa in Bruno’s Stil, vorgespielt, ich glaube, Du hättest mir in’s Gesicht gelacht.“

Franziska wandte sich ab, um das verrätherische Zucken ihrer Mundwinkel zu verbergen, als sie sich ihren Gemahl in der eben geschilderten Situation vergegenwärtigte, wenn sie auch um keinen Preis zeigen wollte, wie unendlich komisch sie ihr vorkam.

„Du weißt nichts als spotten!“ entgegnete sie ärgerlich. „Und sogar der Landrichter sagt –“

„Schweige mir von dem Landrichter! Er vergilt die Gastfreundschaft, die er so oft hier in Dobra genießt, auf höchst abscheuliche Weise, indem er überall Verleumdungen, zumal über Dich, ausstreut. Er behauptet öffentlich, Du commandirtest ganz Dobra, mich mit eingerechnet.“

Franziska, die bei den ersten Worten sich sehr kampfbereit aufgerichtet hatte, ließ jetzt beruhigt den Kopf wieder sinken.

„So? Das ist also die ganze Verleumdung?“

„Ich hoffe, Du bist äußerst entrüstet darüber.“

Die Gefragte stieß einen kläglichen Seufzer aus. „Ich wollte, er hätte Recht! Du lieber Himmel, ich einen Mann commandiren, der mit jedem Tage unserer Ehe den Despoten mehr herauskehrt! Wenn ich sehe, wie Lucie diesen starren eigenwilligen Bruno mit einem einzigen Blicke lenkt –“

„Ich finde, es wird wirklich Zeit, daß Lucie jetzt heirathet!“ unterbrach sie Günther lächelnd. „Bruno verdirbt mir sonst mit seiner überspannen Leidenschaft noch den ganzen Hausfrieden. Du ziehst fortwährend Vergleiche, und wenn es auch fraglos ist, daß dieselben stets zu meinem Vortheil ausfallen müssen, so sind sie doch bisweilen etwas unbequem.“

Frau Franziska schien diese letzte Bemerkung ihres Gatten überhören zu wollen. „Ich habe es nie für möglich gehalten, daß Lucie sich so entwickeln könnte, wie es in diesen drei Jahren der Fall gewesen ist!“ sagte sie ernster. „Es ist kaum zu glauben, was er aus ihr gemacht hat und mit welcher Hingebung sie an diesem düstern Manne hängt. Freilich, sie vermag Alles über ihn, und er wird ja jetzt überall als etwas Großartiges und Unerreichbares gepriesen, aber –“

„Aber Dein Geschmack wäre er nicht!“ ergänzte Bernhard wieder neckend. „Sehr begreiflich, da Du mich vorher kanntest. Also gönne ihn Lucien immerhin und tröste Dich mit der unumstößlichen Thatsache, daß Du jedenfalls den besten Mann von Euch Beiden besitzest.“

Das war für Franziska zu viel, sie sprang heftig auf. „Bernhard, ich glaube, Du bist im Stande, Dir im vollen Ernste Dergleichen einzubilden! Uebrigens wollte ich Dich bei Gelegenheit des morgenden Festes doch einmal fragen, wer von uns Beiden damals Recht hatte in Bezug auf Luciens sogenannte Liebe zu dem Grafen, die Du so bestimmt behauptetest und die ich so entschieden in Abrede stellte.“

„Du hattest Recht, liebe Franziska, wie Du ja überhaupt immer Recht hast – wohin willst Du denn auf einmal?“

„Aus Deiner Nähe! Wenn Du anfängst, Complimente zu machen, kann ich stets auf irgend eine kleine Bosheit gefaßt sein. Aber ich wiederhole es Dir, Bruno ist heute zu nichts Vernünftigem fähig; also mache Dich fertig und fahre an seiner Statt nach E. hinüber. Ich kann nicht all die Last und Sorge auf mich allein nehmen; Du kannst mir auch dabei helfen!“

Mit diesen etwas dictatorischen Worten eilte Frau Franziska hinab in die Wirthschaftsräume, während Bernhard wirklich aufstand, seine Zeitungen im Stiche ließ und sich als gehorsamer Ehemann anschickte, den Anordnungen seiner Frau Gemahlin nachzukommen. –

Es war am zweiten Tage nach der soeben geschilderten Scene, noch sehr früh am Morgen, als ein leichter offener Wagen auf dem Fahrwege hielt, der nach dem Gebirgsdorf N. hinaufführte. Die Insassen des Wagens waren ausgestiegen, um den Rest des Weges zu Fuße zurückzulegen und unbemerkt das Pfarrhaus zu erreichen, wo sie schon erwartet zu werden schienen, denn Pfarrer Clemens empfing sie bereits an der Thür.

Der Greis war noch müder und hinfälliger geworden während dieser letzten Jahre, und sein ganzes Aussehen verrieth, daß ihm die fernere Lebensdauer nur auf Monate, vielleicht nur auf Wochen noch zugemessen war. Er hatte schon längst sein Amt in die Hände eines Caplans niederlegen müssen, und wenn man ihn dem Namen nach noch im Besitze seiner Pfarre ließ und ihm noch einige leichte Amtshandlungen gestattete, so verdankte er diese Vergünstigung nur seinem langjährigen Wirken und der Anhänglichkeit seiner Gemeinde, die von ihrem alten, treu bewährten Seelsorger nicht lassen wollte, vielleicht auch dem Umstande, daß es nicht Viele gab, die sich zu dieser dürftigen Stellung gedrängt hätten.

Es war wohl nicht bloßer Zufall, daß dieser Besuch gerade jetzt stattfand, wo der Caplan auf einige Tage abwesend war. In dem Studirzimmer, wo sich sonst täglich die kleine, runde und wohlgenährte Figur dieses Herrn bewegte, dem gutes Essen und Trinken über Alles ging, und der jedesmal seufzte, wenn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_270.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)