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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

nur selten einmal am Herdenvieh vergreift. Denn der Stoff regiert nicht blos den Menschen, sondern auch den Bären, und so lange Freund Braun milchige Maiskolben, noch nicht gehärteten Hafer, saftiges Gras, frische Pilze und Beeren zur Verfügung hat, begnügt er sich gern mit solcher ihm sehr zusagenden Speise, denkt friedlich und schlägt blos dann, wenn ein Herdethier ihm gar zu bequem sich bietet, dasselbe nieder. Auf den ernährenden Herbst folgt der Winter, welchen unser Raubthier bekanntlich größtentheils verschläft, und da Derjenige, welcher schläft, nichts Böses thut, so bleibt während dieser Zeit der Mensch von allen ihm lästigen Besuchen seines behaarten Landsmannes verschont.

Ganz anders verhält es sich mit den Wölfen, diesen ewig hungrigen, im Winter geradezu gierigen Räubern, welche in ganz Kroatien die trefflichsten Schlupfwinkel haben und deshalb, aller Jagd und Jäger ungeachtet, noch überall in Menge sich finden und der Landwirthschaft ganz bedeutende Verluste zufügen. Ich nahm die günstige Gelegenheit wahr, von einem so tüchtigen Jäger, wie Baron Vranyczany es ist, Zuverlässiges über den Wolf zu erfahren, und unser Wirth war auch so artig, keine einzige meiner unzähligen Fragen für unnöthig zu halten.

In früherer Zeit waren die Wölfe in hiesiger Gegend noch weit häufiger als gegenwärtig, weil die Bebauung des Landes doch Fortschritte macht und die Waldungen in eben demselben Grade sich verringern, als sie ihr Urwaldsgepräge verlieren. Schloß Severin selbst war in den vierziger Jahren der Schauplatz eines Abenteuers absonderlichster Art. Es war im Winter und ziemlich kalt; die Gebirgswaldungen lagen unter einer hohen Schneedecke fast vergraben, und auch im Thale hatte der Schnee den Wölfen die Tafel auf weithin zugedeckt. Da tritt eines Abends ein Diener des Schlosses aus seinem im Erdgeschosse gelegenen Zimmer und strauchelt über ein vor der Schwelle liegendes Thier, welches er selbstverständlich für einen der starken Hunde des Hauses hält. Ein aus der zufällig geöffneten Nebenthür fallender Lichtstrahl belehrt ihn jedoch, daß er es nicht mit einem Hunde, sondern mit einem Wolfe zu thun hat. Augenblicklich stürzt sich der beherzte Mann auf das Raubthier, packt es mit sicherem Griffe an den Ohren, springt rittlings auf seinen Rücken, klemmt sich mit den Schenkeln fest und reitet so den auf’s Höchste erstaunten Wolf in den Hof hinaus, woselbst dieser, nachdem Jenes Hülferuf die andern Diener herbeigelockt, unter dem Leibe des muthigen Reiters erschlagen wird.

Derartige Besuche sind gegenwärtig allerdings selten geworden; aber noch alljährlich kommen die Wölfe in die Dörfer herein, in der Absicht zu rauben, und in dem Gemüsegarten des Schlosses spürt man sie während des ganzen Winters. Ihre Jagd gilt um diese Zeit vorzugsweise den Hunden, welche überhaupt in ihren Augen ein sehr beliebtes Wild zu sein scheinen und im Winter die einzige Jagdbeute sind, welche sie in und um die Dörfer finden. Zwar verabsäumt der Wolf es keineswegs, auch eine andere Gelegenheit sich bestmöglichst zu Nutze zu machen, schleicht sich ohne Bedenken in einen Stall ein, dessen Thür der Besitzer nicht gehörig verschlossen, springt sogar, wie es erst im vorigen Jahre im Dorfe Bosilgevo geschah, durch ein offen stehendes Fenster in denselben und würgt dann, d. h. wenn er seinen Rückzug gedeckt sieht, alles vorhandene Kleinvieh ohne Gnade und Barmherzigkeit, während er, wenn der Zufall ihm den Rückweg verlegte, sich feige in eine Ecke kauert, dem Kleinvieh nichts zu Leide thut und angsterfüllt der Dinge wartet, die da kommen sollen. Doch gehören Einbrüche des frechen Räubers in Viehställe immer zu den Seltenheiten, während alle Dorfbewohner ringsum allwinterlich einen guten Theil ihrer Hunde einbüßen, und auch der Jäger im Laufe des Sommers regelmäßig mehrere seiner treuen Gehülfen verliert, wie beispielsweise Vranyczany selbst im Laufe eines Jahres vierzehn Jagdhunde durch die Wölfe verlor. Zwar erheben diese, wenn mit Hunden getrieben wird, sich beim ersten Lautwerden der Bracken, um sich fortzustehlen, geben aber genau darauf Acht, wie viele Hunde ihnen folgen, und überfallen, wenn ein einzelner sich durch das Jagdfeuer verlocken ließ, von den übrigen sich zu trennen, diesen ohne weiteres, erwürgen ihn und fressen ihn während der Jagd selbst auf. Ja sie verfahren, wie Pfarrer Kaliman zufällig beobachten konnte, mit ausgesuchter und schändlicher List, um einen Hund zu übertölpeln.

Genannter Beobachter, ein nach Versicherung unseres Wirthes durchaus zuverlässiger Gewährsmann, sah einmal an einem Bergabhang drei Wölfe lauernd stehen und auf das Gekläff einiger Hunde lauschen, welche sie wahrgenommen hatten. Nach einiger Zeit zogen sich zwei von den Wölfen in das nahe Dickicht zurück, während der eine den drei oder vier Hunden, mittelgroßen Bracken, entgegenging und sie förmlich herausforderte, ihn zu verfolgen. Die Hunde stürmten ohne Besinnen auf den verhaßten Gegner los und folgten ihm mit um so größerem Eifer, als er sich bei ihrem Erscheinen sofort wandte und auf die Flucht machte. Kaum hatten sie die Stelle, von welcher aus die beiden anderen Wölfe weggelaufen waren, übersprungen, als diese wieder erschienen, die Fährte ihres Cameraden und der Hunde aufnahmen und nun ihrerseits die Hunde verfolgten. Von diesen kam kein einziger in das Dorf zurück. Aehnliche Ränke und Listen mögen sie im Winter auch in unmittelbarer Nähe der Dörfer oder im Dorfe selbst anwenden, um die Hunde aus dem sicheren Schutze des Hauses wegzulocken; denn gar nicht selten geschieht es, daß ein Dorfhund Abends in voller Angst in das Innere eines Hauses stürzt, um in der Nähe des sichernden Feuers Schutz zu suchen, und man bald darauf das langgezogene Heulen Isegrims vernimmt.

Während des Sommers reißen die Wölfe hauptsächlich Kleinvieh, namentlich Schafe und Ziegen nieder; doch ist der Schaden, welchen sie um diese Zeit anrichten, nicht so bedeutend, als man denken sollte. Der Wald selbst bietet ihnen in den warmen Monaten gar Mancherlei, namentlich Hasen, Füchse, Igel, möglicherweise auch Mäuse und andere freilebende Säugethiere, außerdem Haselhühner, deren Eier und Junge, ein Aas etc. Wenn aber der Herbst kommt, umschleichen sie das draußen noch weidende Vieh ununterbrochen und schonen weder große noch kleine Herdenthiere. Nur an Schweine wagen sie sich selten, nämlich bloß dann, wenn ein Stück der borstigen Herde sich von den übrigen verliert, und mehrere der Raubthiere zusammen sind, um es niederzureißen. Eine größere, geschlossene Schweineherde dagegen bleibt, wie in Spanien, wo ich genau dasselbe erfuhr, regelmäßig von Wölfen verschont, wird sogar von diesen ängstlich gemieden. Denn die tapferen Hausthiere stehen muthig ein für das Wohl der Gesammtheit, alle für einen, und bearbeiten den bösen Wolf, welcher sich erfrechen sollte, unter ihnen einzufallen, mit den Hauzähnen so wacker, daß er alle Räubergelüste vergißt und nur daran denkt, sein auf’s Höchste bedrohtes Leben in Sicherheit zu bringen. Versäumt er den rechten Augenblick, so wird er von den erbosten Schweinen unbarmherzig niedergemacht und dann mit demselben Behagen verzehrt, welches ein Schweinebraten bei ihm erwecken mag. So erklärt es sich, daß man da, wo Schweine im Walde weiden, fast nie einen Wolf spürt, und andererseits wird es verständlich, daß der Jäger, welcher mit seinen Hunden zufällig in die Nähe einer Schweineherde geräth, nicht minder ernste Gefahr läuft als die Wölfe. Denn die Schweine sehen in den Hunden so nahe Verwandte der von ihnen gefürchteten Raubthiere, daß sie sich eben so gut auf jene stürzen wie auf diese und, einmal wüthend geworden, auch den zum Schutze seiner treuen Gehülfen herbeieilenden Jäger nicht schonen.

Aeußerst selten kommt es vor, daß Wölfe sich an einen Menschen wagen. Alle die schauerlichen Geschichten, welche in unseren Büchern erzählt und von unserer Einbildungskraft möglichst ausgeschmückt werden, finden in Kroatien kein Echo. Viel eher als durch Wölfe verliert ein Mensch durch Schweine das Leben; denn jene sind hier trotz ihrer bedeutenden Größe unglaublich feig und lassen sich schon durch das Geschrei der Kinder abhalten und in die Flucht treiben. Freilich treten in Kroatien auch nur ausnahmsweise Nothstände ein, wie die Wölfe der russischen Steppen sie erleiden. Selbst der arme Winter, welcher die Raubthiere anderwärts durch Hunger stachelt und zu kühnen Thaten treibt, bietet ihnen hier immer noch verhältnißmäßig reichliche Nahrung, weil das Vieh nur bei sehr hohem Schnee nach den Ställen getrieben wird. Andererseits rudeln sich die Wölfe auch nicht in so starke Rotten zusammen, wie es in jenen Steppen der Fall ist. Während der Fortpflanzungszeit begegnet man ihnen paarweise und nimmt deshalb allgemein an, daß der Wolf eben so gut wie die Wölfin für die Nahrung des Gewölfes oder Geheckes Sorge trage. Im Herbst sieht man Trupps von vier bis sechs Stück und hält einen solchen Trupp

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_279.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)