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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

über Eis und glatt gefahrenen Schnee ging es in die Tiefe. Ich krallte mich mit der Rechten fest in die Schulter eines stämmigen kroatischen Treibers und glitt so mehr, als ich ging, die treue Büchse hoch emporhaltend, um sie bei einem Sturze nicht zu beschädigen, in überraschend kurzer Zeit in das Thal hinab. Nach etwa einstündigem Wege erreichten wir wohlbehalten Schloß Severin und hatten unter dem frischen Eindruck der Gastfreundschaft, welche uns wiederum in der anspruchslosesten Weise geboten wurde, bald alle Mühsale und Beschwerden des Tages vergessen.

Am nächsten Morgen schieden wir dankerfüllt aus dem gastlichen Hause, in welchem länger zu bleiben uns nicht vergönnt war. Es handelte sich jetzt für uns darum, so schnell als möglich wieder nach Agram zu kommen, weil auf der entgegengesetzten Seite der Hauptstadt, etwa zwei Meilen von ihr entfernt, für die nächstfolgenden Tage große Wolfstreiben angesagt waren. Diesmal verließen wir Agram zu Wagen und fuhren auf einer leidlichen Straße im Thale der Save entlang nach dem in der Nähe von Dugosello gelegenen Edelhofe Bozjakovina des Herrn v. Tomekovitsch. Derselbe und seine hochgebildete Gemahlin, eine Polin, empfingen uns mit derselben Gastlichkeit und Freundlichkeit wie Vranyczany, so daß es schwer zu sagen sein würde, in welchem der beiden Edelhäuser wir mit größerer Zuvorkommenheit und Liebenswürdigkeit aufgenommen worden sind. Ersterer machte uns nicht allein aus seinem ereignißvollen Leben, sondern auch über Land und Leute und deren Verhältnisse Mittheilungen, welche uns aus dem Grunde in hohem Grade fesselten, weil in ihnen das Urtheil des gereiften, viel erfahrenen Mannes sich bekundete.

Der Stuhlrichter des Ortes war zugegen und erzählte uns, daß er zu der morgenden Jagd dreihundert Treiber und etwa hundert Schützen aufgeboten hätte, die Leitung der Treiber aber Herrn v. Tomekovitsch, dem erfahrenen Jäger, übertragen habe. An Wölfen sei, so versicherte er und bestätigte Tomekovitsch, kein Mangel; auch würden jedes Jahr mehrere von ihnen erlegt, manchmal unter absonderlichen Umständen. So kam der Bauer Belletz aus dem Dorfe Cernetz eines Tages auf eine umhegte Weide und an die dort vom Hirten errichtete Hütte, warf zufällig einen Blick in das Innere und sah in ihr zwei Wölfe liegen. Beide Theile, der Bauer und die Raubthiere, maßen sich mit gleich erstaunten Blicken; da aber ersterer den Wölfen den Ausweg vertrat, war die Verlegenheit auf Seiten Isegrims größer als die des Bauern, und die Feigheit der Raubthiere bekundete sich auf das Deutlichste in jeder ihrer Bewegungen, in ihrem ganzen Wesen. Zum Glück für die Gegend war der Bauer mit einem Doppelgewehre bewaffnet und erlegte mit zwei rasch aufeinanderfolgenden Schüssen beide Wölfe.

Ein anderer Bauer, Fundec, aus dem Dorfe Gratschetz bestand ein ebenso glückliches Abenteuer in einer von ihm errichteten Wolfsgrube. Diese war im Winter in der üblichen Weise gestellt worden; unser Bauer fand aber mitten im Sommer zu seiner nicht geringen Ueberraschung Herrn Isegrim auf dem Boden der Grube sitzend. Ohne Waffen, wie er war, versuchte er das Raubthier mit einem rasch herbeigeholten Knüppel zu erschlagen, verlor dabei das Gleichgewicht, stürzte in die Grube hinab und kam hier auf Hände und Füße zu liegen. Noch ehe er sich aufgerichtet, hatte der Wolf den günstigen Augenblick ersehen, nicht um ihm an die Kehle, sondern um auf seinen Rücken zu springen und so das Freie zu gewinnen, während der Bauer sich lange Zeit abmühen mußte und nur mit Hülfe des besagten Knüppels überhaupt im Stande war, aus der Grube herauszukommen.

Auf einer von Tomekovitsch veranstalteten Wolfsjagd ereignete sich ein anderer Fall, welcher ebenfalls der Erwähnung verdient. Ein Schreiber des Gutes, welcher schon längst mit Neid auf die Jäger geblickt hatte, faßte sich am Abend vor der Jagd den Muth, Herrn v. Tomekovitsch zu bitten, ihn doch auch unter die Zahl der Jünger Diana’s einreihen zu wollen. Zwar habe er bisher immer nur die friedliche Feder, nicht aber die mordende Waffe geführt; doch sei er vollkommen überzeugt, daß er wohl auch seinen Wolf fällen könne, denn an Muth fehle es ihm nicht. Der Bitte wurde willfahrt, der Schreiber mit einem Doppelgewehre bewaffnet und beim Treiben an einen verlorenen Posten gestellt. Die Jagd beginnt, und ehe man noch die Treiber vernimmt, erscheinen drei Wölfe und gehen schnurstracks auf den unerfahrenen Schützen zu. Diesen packt das Jagdfeuer, vielleicht auch eine gelinde Angst vor den Raubthieren; er verscheucht durch sein Gebahren zwei von letzteren; der dritte Wolf aber läßt sich nicht beirren und setzt seinen Weg in der einmal begonnenen Richtung fort; der Schreiber giebt auf fünf Schritte Entfernung Feuer, verwundet auch den Wolf erheblich, tödtet ihn aber nicht. Jetzt bemächtigt sich seiner die Sorge, die ruhmbringende Beute zu verlieren; er vergißt alles Gehörte, stürzt auf den Wolf los, ergreift ihn bei der Ruthe und versucht ihn festzuhalten. Der Wolf strebt mit aller Kraft sich frei zu machen, der Schreiber hält um so fester; jener aber ist stärker und schleppt den Mann hinter sich her. Nun kommt die Reihe ängstlich zu werden an Tomekovitsch; denn der erfahrene Jäger weiß sehr wohl, was es bedeutet, mit einem verwundeten Wolfe anzubinden. Daher befiehlt er dem Schreiber, doch um Himmelswillen die Bestie loszulassen, worauf die klägliche Antwort folgt: „Ja, ich möchte wohl, wenn ich nur könnte!“ Tomekovitsch eilt zur Stelle, schießt dem Wolfe einen wohlgezielten Schuß in den Leib und fordert nunmehr den Schreiber auf, doch endlich vom Wolfe abzulassen, da dieser nicht mehr entrinnen könne. Aber noch immer hält jener die Beute fest, und es ergiebt sich bei genauerer Untersuchung, daß sich seine Hände verkrampft haben, und er allerdings beim besten Willen nicht im Stande ist, sie zu lösen. So bleibt nichts übrig, als mit dem Jagdmesser die Lunte des Wolfes abzuschneiden und dem auf’s Höchste erregten Manne Zeit zu lassen, bis endlich der Krampf vorübergeht.

Ich wiederhole diese Erzählungen unseres Jagdfreundes hauptsächlich, um den Beweis zu führen, daß der hiesige Wolf zu den feigsten aller Raubthiere zählt.

Das Schauspiel, welches sich uns am nächsten Morgen bot, war wirklich großartig. In Dugosello herrschte ein Leben wie auf dem Jahrmarkte. Von allen Seiten waren Schützen und Treiber herbeigeströmt und unser Stuhlrichter mit seinen Unterbeamten bei unserer Ankunft gerade beschäftigt, die Aufgebotenen zu verlesen, um die Fehlenden zur Strafe zu ziehen. Aber sie waren alle erschienen, die würdigen Männer, und zogen nun in geordneten Haufen, geleitet und beaufsichtigt durch die Waldhüter unseres Jagdherrn, einem in der Ebene gelegenen Walde zu, um dort sich aufzustellen. Wir folgten bald darauf in Gesellschaft der von Agram herbeigekommenen und aus den benachbarten Dörfern zusammengeströmten Schützen. Mitten im Walde wurde dann, ganz wie bei unserm Fuchstreiben, eine Kette gebildet, nur daß sie fast eine halbe Meile weit sich ausdehnte. Ich stand auf dem Wechsel, neben mir die Reisegenossen. So lautlos, wie ich es gewünscht haben mochte, ging es bei dem Treiben nicht zu; auch hatten einzelne Treiber es sich nicht nehmen lassen, dem Verbote entgegen, im Walde Feuer anzuzünden; auf dem Wege, längs dessen unsere Schützenlinie sich hinzog, verkehrten Bauern nach wie vor, und aus dem Walde tönten uns die Schläge der Holzfäller entgegen. Drei Schüsse gaben das Zeichen zum Beginne des Treibens. Wir standen lange Zeit, laut- und regungslos, wie es guten, erfahrenen Jägern geziemt, ehe wir von dem Treiben etwas vernahmen. Erst dumpf und verhallend, dann deutlicher und endlich vollkommen klar vernehmlich kamen sie heran, rufend, schreiend, jauchzend, heulend, auf Pfeifen blasend und die Trommeln rührend. Letztere verliehen dem Ganzen einen eigenthümlichen Reiz. Die taktmäßigen Schläge der Trommel, welche der Wolf mehr fürchten soll als alles Schreien, belebte das Treiben in außerordentlicher Weise: es war, als ob ein Regiment zum Sturme heranrückte. Da warnte eine Amsel, für mich verständlich genug. Jetzt mußte er kommen. Und in der That vernahm ich bald darauf die Schritte eines größeren Thieres, welches gerade auf mich loszugehen schien. Lange harrte ich vergebens, da zeigte sich ein Fuchs, zwar nur für einen Moment, indem er auf einen abgehauenen Baumstumpf sprang, und doch viel zu lange für ihn; denn einen Augenblick später lag er zuckend am Boden. Sollte ich mich so geirrt haben? Sollte der Fuchs es gewesen sein, welcher so derb aufgetreten war? Unmöglich! Und doch konnte die Amsel ihn gemeint haben. Oben und unten knallte es ebenfalls; wahrscheinlich waren es Füchse gewesen. Die Treiber kamen heran, und Reden war jetzt gestattet.

„Ich habe einen mächtigen Wolf gesehen,“ rief mir der junge Gerlich zu, welcher seinem Vater nachgereist war und links

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_295.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)