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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Hamlet’s Ausspruch: „es giebt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumen läßt,“ wird durch Lichtenberg’s Zusatz: „aber es giebt auch Vieles in der Schulweisheit, das sich weder im Himmel noch auf Erden findet,“ zu einem treffenden Pfeile gegen die Schulregulative.

Die kürzeste und treffendste Form dieser Witzart liegt im Epigramm, d. h. einer Aufschrift mit einer überraschend contrastirenden und lösenden Unterschrift. Darin war Lessing Meister.

„Die arme Galathee, man sagt, sie schwärzt ihr Haar,
Da doch ihr Haar schon schwarz, als sie es kaufte, war.“

Werden die Blitze des Witzes zum dauernd leuchtenden und Lüge niederbrennenden Geiste, so genießen wir die Schönheit der Satire oder der Ironie, und wenn sie in’s Fleisch einschneidet, des Sarkasmus. Geht es dabei anschaulich in Wort oder wirklichen Bildern zu, so haben wir die Carricatur, welche leider in gezeichneten und gedruckten Uebertreibungen vielfach zum Zerrbild ihrer selbst geworden ist. Mit Worten läßt sich noch sehr wirksam übertreiben, weil sie ganz rasch und vorübergehend über den lächerlichen Gegenstand hinwegblitzen, während das gezeichnete Zerrbild feststeht und jede Linie zu viel oder zu groß leicht selbst häßlich wird, statt das Häßliche der Vernichtung durch die Lächerlichkeit preiszugeben. Falstaff schildert die rothe Nase seines Bardolph übertrieben stark; aber wollte man die Wortbilder malen oder zeichnen, so käme nicht die rothe Weinnase, sondern ein gräßliches Ungethüm zur Anschauung.

Der dauernd leuchtende Blitz wird in einer höheren Stufe zur Ironie und erreicht endlich seine Vollendung im Humor, der „feinsten Blüthe der Bildung“, der vollen und wahren Selbsterkenntniß, welche uns allein auf die höchste Stufe ästhetischer Freiheit erhebt, von welcher wir bald mit mitleidigen Thränen, bald mit der reinsten Seligkeit auf die Gebrechlichkeiten und Lächerlichkeiten der Welt um uns herabschauen, weil wir auch in den Brüchen dieser Lebensgestaltungen einen berechtigten Theil des Ganzen, des ewig Wahren und Schönen erkennen und genießen.

Unsterbliche Proben dieses Humors verstecken sich in dem wilden Reichthum der Jean Paul’schen Muse. Kuno Fischer hat als lustigstes Beispiel den Anfang der „Flegeljahre“ gewählt. Sie beginnen mit der Eröffnung von Kabel’s Testament, dessen Haus dem unter seinen sieben Anverwandten zufallen soll, der in der ersten halben Stunde nach Verlesung des Testaments wenigstens eine Thräne vergießt. Der Testamentsvollstrecker sitzt mit der Uhr in der Hand und wartet auf das erste Wasser aus einer der sieben zum Weinen vereinigten trockenen Provinzen. Der erste Erbe, der listige Buchhändler Pasvogel, machte sich sofort still an die Sache selbst und durchging alles Rührende, das er theils im Verlag, theils in Commission hatte; dabei sah er aus wie ein Hund, der das Brechmittel, das ihm der Pariser Hundearzt Demet auf die Nase gestrichen, langsam ableckt. Der zweite Erbe, Hoffiscal Knol, verzog sein Gesicht wie ein Schuster, der Sonnabend Abends bei einem Dreierlicht von seinem Gesellen rasirt und radirt wird. Der eigentliche Wettstreit um den Preis des Hauses, die binnen dreißig Minuten zu vergießende Thräne, ist zwischen dem Kirchenrath Glanz und dem Frühprediger Flachs. Letzterer sieht zunächst aus wie ein reitender Betteljude, mit dem der Hengst durchgeht. Er erinnert sich an allen Haus- und Kirchenjammer und sammelt die besten, schwülsten Wolken; auch ist sein Herz nahe daran, wie eine Sonne vor schlechtem Wetter, das nöthigste Wasser aufzuziehen, aber das Haus kommt ihm als ein gar zu erfreulicher Anblick immer dazwischen. Da erhebt sich der Kirchenrath und spricht mit Würde:

„Jeder, der meine gedruckten Werke gelesen, weiß, daß ich ein Herz im Busen trage, das so heilige Zeichen wie Thränen eher zurückdrängen, um keinem Nebenmenschen etwas zu entziehen, als mühsam hervorzubringen nöthig hat aus Nebenabsichten. Dies Herz hat sie schon vergossen, der Kabel war mein Freund.“ Er sah umher und mit Vergnügen bemerkte er, daß Alle noch so trocken dasaßen wie Korkhölzer.

Blos Flachsen schlug es heimlich zu; er dachte an die grauen Haare seiner Zuhörerinnen des Frühgottesdienstes, an Lazarus mit seinen Hunden. In der Eile dachte er auch an seinen eigenen langen Sarg, an das Köpfen so mancher Menschen, an Werther’s Leiden, an seine eigene augenblickliche erbärmliche Lage: noch drei Stöße hatte er zu thun mit dem Pumpstiefel, so hatte er sein Wasser und Haus.

„O Kabel, mein Kabel!“ fuhr nun Glanz fort, fast vor Freude weinend, daß ihm die Trauerthränen so nahe waren, „einst wenn neben Deine mit Erde bedeckte Brust voll Liebe auch die meinige zum Vermod –“

„Ich glaube, meine verehrtesten Herren,“ sagte nun Flachs, betrübt aufstehend und überfließend umhersehend, „ich weine,“ setzte sich darauf nieder und ließ es vergnügter laufen, denn er war nun auf dem Trocknen.

Witz ist zugespitztes, blitzendes Wissen und als Humor in unserer Empfindungs- und Gemüthsweise ein nie versiechender leuchtender Strom, der immer wieder jene Muscheln und Tange, die uns umwachsen wollen, mit sich fortspült, nie duldet, daß wir verknechtet unten im Schmutze und Staube der Dinge kleben bleiben, sondern uns frei oben schwimmend erhält auf dem flüssigen Elemente der ästhetischen, uneigennützigen Freiheit.

Wir müssen erkennend, scharfblickend ohne Begehr und ohne Haß uns frei zu machen suchen und Alles um uns aus seiner Verirrung und Verunstaltung mit diesen scharfen Waffen des blitzenden und leuchtenden Wissens zu erlösen suchen. „Das ist der Humor davon.“

H. B.




Eine Mutter sucht ihr Kind: Agnes von Estorff. Am 1. November 1863 wurde einer Dame in Deutschland ihr einziges, damals drei und ein halbes Jahr altes Töchterchen entrissen und nach Bex im Canton Waadt in der Schweiz gebracht. Das Kind ist am 8. April 1860 geboren. Der Thäter wurde von der königlich hannoverschen, nunmehr preußischen Staatsanwaltschaft in Lüneburg sogleich steckbrieflich verfolgt. Der Staatsrath in Lausanne aber verweigerte seine und des Kindes Auslieferung an die hannoversche und später an die preußische Regierung, weil zwischen der Schweiz und den betreffenden deutschen Staaten keine Cartelverträge bestünden. Im Winter von 1864 auf 1865 wurde das Kind in dem Hôtel „Metropole“ in Genf noch gesehen; seitdem aber ist dasselbe für die Mutter spurlos verschwunden. Wer Auskunft über das Leben oder den gegenwärtigen Aufenthalt des Kindes zu geben vermöchte, wird im Interesse der schwergeprüften Mutter gebeten, seine Angaben bei der Redaction der Gartenlaube niederzulegen.




Druckfehler. In einem kleinen Theil unserer Auflage von Nr. 15 ist in dem Artikel „Erinnerungen an Bogumil Dawison“ auf Seite 250 statt Baison – Baccon stehen geblieben; ebenso ist in Nr. 16, Seite 261, das Alter von Karl Schurz zu 33 statt zu 23 Jahren angegeben. Wir bitten beide Satzfehler zu entschuldigen.




Bock’s Buch in Heften 9. Auflage.




Dieses schon bei seinem ersten Erscheinen mit allgemeinem Willkommen begrüßte, jetzt bereits in 90,000 Exemplaren verbreitete Werk:


Das Buch vom gesunden und kranken Menschen.


Von Dr. Carl Ernst Bock,
Professor der pathologischen Anatomie in Leipzig.


Mit gegen 120 feinen Abbildungen.


bedarf keiner Anpreisungen. Es hat in acht Auflagen selbst für seinen Werth gesprochen und wird das in der neunten durch seine zeitgemäßen wissenschaftlichen Verbesserungen und Vermehrung des Textes und der Abbildungen noch mehr können, besonders da ihm das neu aufgenommene Capitel über die „natürliche Entwickelungsgeschichte der Erdrinde mit ihren Bewohnern und die Abstammung des Menschen nach Darwin und Häckel“ ein besonderes Interesse verleiht. In ca. 9 Heften ist das Werk vollständig. Der Subscriptionspreis jedes Heftes von ca. 6–7 Bogen ist nur 7½ Ngr., wofür auch der weniger Bemittelte im Stande ist, sich diesen Helfer in der Noth nach und nach anzuschaffen. Das erste Heft ist soeben erschienen.

Die Verlagshandlung von Ernst Keil in Leipzig.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_300.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)