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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

ohne Gefahr zu veräußern, mußte der erfahrene alte Wilderer oft entfernte Thäler besuchen, wobei er die Beihülfe seines Glaasei nicht immer entbehren konnte, und ehe nicht ein Theil des Erlöses als Tirolerwein durch seine durstige Kehle geronnen war, kehrte er selten wieder heim.

Senkrecht sandte heute die Julisonne ihre Strahlen herab und Schutz vor der sengenden Gluth gewährte nur das Dunkel des Bergwaldes oder die erquickende Frische einer Felsschlucht. Kein Lerchensang drang durch die Luft; kein Flügelschlag, kein Laut der gefiederten Sänger belebte die Stille unter den herrlichen Baumkronen; kein frischer Luftzug bewegte ein Blatt in Busch und Wald. Verstummt war das Schellengeläute des weidenden Alpenviehs, Alles lechzte nach Kühlung und die Thiere ruhten unbeweglich im Schatten.

Da trat Anderl, von einer Geschäftsreise kommend, aus dem Gehölze gegen seine Behausung zu. Seiner Gewohnheit gemäß ließ der Wildheuer die schlauen Augen erst überall vorsichtig umherschweifen, ehe er sich an seinen häuslichen Herd begab, und als ihm nichts Verdächtiges aufstieß, hob er die hölzerne Thürklinke. Ueberrascht blieb er aber auf der Schwelle stehen, da er im Innern Stimmen vernahm. Wer mochte nur jetzt beim Glaasei sein, den er selber bei seinem versteckten Schützling droben eher vermuthet hätte als daheim? Eben wollte er durch das kleine, halb blinde Fenster in die Stube schauen, als es ihm in lautem kräftigem Tone entgegenklang: „Grüß’ Gott, Anderl!“

„Ja was, der Flößer-Franzl selber ist’s!“ rief der Alte verwundert, eilte in die Stube und lebhaft schüttelte er die ihm dargereichte Rechte des hochgewachsenen jungen Burschen, den er bei seinem Buben traf.

Daß die aufopfernde Treue und Liebe der Wirths-Resei an keinen unwürdigen Gegenstand verschwendet war, konnte man erst recht verstehen, wenn man die hohe prächtige Erscheinung betrachtete, die nun an der Seite des Heu-Anderl aus der Thür trat und diesen noch überragte.

Ein glückliches Lächeln, das zwei Reihen blendend weißer Zähne zeigte, lag auf dem offenen frischen Gesicht, der blonde Schnurrbart war leicht gekräuselt wie das Haupthaar, und herzgewinnend wirkte der freie treuherzige Blick des großen blauen Auges. Die kurze schwarze Lederhose mit den hellen Wadenstrümpfen bekleidete ein schöngeformtes sehniges Bein, und das am Halse offene Hemd, umspannt von dem schmucken grünen Hosenträger, ließ eine breite männliche Brust erscheinen. Aus jeder Muskel lachte Jugendkraft und Formenschönheit und die ganze athletische Gestalt mit dem hochgehaltenen Nacken und den entblößten straffen Kniekehlen machte den Eindruck eines echten kerngesunden Bergländers. Wie ein aus dem Käfig entsprungener Löwe reckte der Flößer-Franzl seine Glieder, und als er einen Blick in das Thal warf, wo die von leuchtendem Gewässer durchzogenen Wiesen im prächtigsten Grün schimmerten, setzte er unwillkürlich zu einem mächtigen Juhschrei an. Der vorsichtige Anderl kam ihm zuvor und legte ihm rasch die breite Hand auf den Mund.

„Hältst Du’s Maul!“ gebot er. „Willst g’wiß dem Jäger-Maxl schrei’n, daß er Dich geschwinder erwischt! Sag’ mir lieber, wie geht’s Dir mit Deinen Haxen (Beinen)?“

„O mei’, Alter,“ sagte der Flößer-Franzl mit lachender Miene, „ich weiß schon nimmer, was für Einer krank gewesen ist, d’rum hab’ ich’s auch nimmer länger droben ausgehalten. Ich sag’ Dir, mir ist so leicht, ich bin so voll Freud’, daß ich könnt’ die höchste Wand gerad’ hinauflaufen. Aber sag’ mir, mein guter Anderl, könnt’ ich nicht die Resei seh’n? Hab’s gerad’ mit Deinem Glaasei ausgemacht, daß er ihr Botschaft bringen sollt’.“

„Das braucht’s nicht, die kommt schon von selber,“ meinte der Wildheuer, „ich hab’ von der Schneid’ aus am Holzweg ein Madel geseh’n, die wird’s schon sein. Jetzt gehst herein in die Stube, da heraußen ist’s nicht rathsam,“ sagte er und der Flößer folgte ihm in’s Häuschen, wo der Glaasei eben daran war, einen einfachen Imbiß, aus Schwarzbrod und Ziegenkäse bestehend, gastfreundlich aufzutischen.

Der Alte hatte richtig gerathen. Den hellen Schweiß von der Stirn trocknend und heftig athmend von dem raschen Lauf, eilte das junge Mädchen trotz der brennenden Sonnenstrahlen schon den Berg hinan. Die fröhliche Erwartung trieb sie rastlos aufwärts und gönnte ihr keine Minute Ruhe, denn Glaasei, der sich gestern bei ihr eingefunden, hatte ihr versprochen, den Franzl heute auf jeden Fall in seines Vaters Häuschen zu bringen.

Der Flößer-Franzl hatte vom Hüttenfensterchen aus durch die Waldbäume hindurch kaum den Schimmer ihres Gewandes gesehen, als ihm sein ungestüm klopfendes Herz das Nahen seines Mädchens verkündete. Den Alten bei Seite schiebend, schoß er pfeilschnell zur Thür hinaus und breitete seine Arme der auf ihn zustürzenden Resei entgegen.

So groß die Sehnsucht nach ihrem Franzl und der Kummer um ihn gewesen, so stürmisch war die Freude des Wiedersehens. Immer umschlang sie den stattlichen Burschen auf’s Neue und hielt ihn mit beiden Armen fest, als fürchte sie, er werde ihr nochmal entrissen. Ein unbeschreiblich glücklicher Ausdruck leuchtete über ihre Züge, als sie den Kopf an seine Brust legte und zu ihm hinauf sah. Doch plötzlich, als wäre neue Besorgniß um ihn in ihr erwacht, riß sie sich von ihm los und mit der bangen Frage: „Ja, Franzl, hast Dir denn nichts ’brochen, ist Dir nichts ab, thut Dir nichts weh?“ betastete sie ängstlich seine Glieder.

„Ganz bin ich noch und verhungern haben sie mich auch nicht lassen, Madel, gelt, das spürst?“ sagte Franzl, faßte seine Resei plötzlich mit starkem Griff um den Leib und schwang sie hoch in die Luft. Als sie lachend wieder auf ihren Füßen stand, schaute er ihr tief in’s Auge, und sie immer noch festhaltend, sang er im Uebermuth der Freude:

„Ohni Hirsch, ohni Di’,
Ohni Gambs, ohni Bix (Büchse),
Da saget i’ scho’,
Mit der Welt, da is ’s nix,

Und waar na’ (nachher) scho’ (schon) lieber
Glei’ g’storb’n in der Wieg’n
Und that als an Eng’l
In Himmi ’rumflieg’n.“

Sie schüttelte ihn liebreich bei den Schultern und ihre schwarzen Augen blitzten ihn lustig an.

Ein warnender Pfiff tönte aus dem Häuschen. Die Liebenden achteten nicht darauf. Da erschien der Alte, ungeduldig mit den Händen winkend, unter der Thür.

„Franzl, der Jäger!“ rief er mit gedämpfter Stimme und fügte brummend hinzu: „Da steht er, hört nicht und sieht nicht, wie ein Spielhahn auf der Balz!“

Das junge Paar fuhr auseinander. Die Warnung kam aber zu spät, denn in geringer Entfernung von den Beiden tauchte plötzlich der Jäger-Maxl aus dem Gebüsch hervor. Eine dunkle Zornesröthe flog über Franzl’s Gesicht; schnell besonnen sprang er zurück und erfaßte die schwere Holzaxt, die neben der Thür des Häuschens lehnte. Hoch aufgerichtet schwang er sie mit nervigem Arme, und die wilde Drohung, die aus seinen funkelnden Blicken sprach, verhieß nichts Gutes. Das Mädchen aber stürzte, so wie sie den Jäger erblickt, zum Tode erschrocken an den Hals des Burschen und suchte ihn mit ihrem Körper gegen jede Gefahr zu decken.


(Fortsetzung folgt.)




Ein Zerstörer geistiger Zwingburgen.


Von F. A. Stocker.


Der allgemeine Ruf der Reformationszeit „Reform an Haupt und Gliedern“ ertönt gegenwärtig von Neuem durch halb Europa, aber es handelt sich nicht wie damals um die Reform der Glaubenssätze und eine organische Umwandlung in einer jeden der damals zur Trennung gelangten Kirchen selbst; die Reformpartei in beiden Kirchen strebt danach, aus der „Erlösungs- und Heilanstalt für den Himmel“, als welche die Kirche bisher gegolten, eine der Zeit und der Wissenschaft angepaßte Lehr- und Bildungsanstalt für die Erde zu machen. Wenn auf katholischer Seite diese Zielpunkte in den Congressen zu Heidelberg und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_304.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)