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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

eine Art Ausgleichungsproceß geübt, daß sie dem Unglück eine gewisse Glorie, dem Ruhm aber eine trübselige Rückseite gegeben, um so auf der einen Seite der Größe ihre menschliche Abstammung, auf der andern der Erniedrigung und Demüthigung den Trost göttlicher Erhebung in Erinnerung zu bringen.

Wahrhaft elend sehen wir nur notorisch von Lastern und Schandthaten erdrückte Monarchen zu Grunde gehen. Die Mehrzahl stirbt mit quälender Angst vor der Verantwortung jenseits und nur wenige mit unerschütterter Hingebung in das Geschick. Immer aber sprechen wir natürlich nur von mit klarem Bewußtsein Sterbenden.

Fassen wir zunächst einige gekrönte Häupter des Alterthums in’s Auge, so weilen unsere Blicke wohl zunächst auf dem römischen Augustus.

Die letzten Worte desselben sollen gelautet haben: „Klatschet, Ihr Freunde!“ und man hat diese Worte sich angelegen sein lassen so zu deuten, als ob er selbst damit in seiner Sterbestunde sich als der Schauspieler bekannt habe, als welchen ihn viele Historiker angesehen wissen wollen. „Es wird indeß kaum einer Beweisführung bedürfen, daß in dieser Form die Ansicht unhaltbar ist,“ sagt Karl Peter im dritten Bande seiner ‚Geschichte Roms‘, „und daß es nicht nur eine große Unbilligkeit, sondern wenigstens für unsere menschliche Beurtheilung eine völlige Unzulässigkeit sein würde, eine vierundvierzig Jahre in Wort und That nach allen Seiten und ohne Ausnahme mild und wohlwollend ohne Ostentation geführte Regierung einer bewußten Heuchelei zuzuschreiben. Dagegen ist insofern in dieser Auffassung etwas Wahres enthalten, als allerdings zu sagen ist, daß das Bessere bei ihm, wie auch das Schlechtere, nicht der unmittelbare Erguß einer auf das Eine oder das Andere gerichteten constanten Gemüthsstimmung, nicht die Wirkung durch Natur und Bildung in ihm vorhandener sittlicher Triebe und Ziele, sondern daß es Berechnung war. Augustus war eine kalte, Alles nach Verstandesgründen abwägende, vorsichtige, selbstsüchtige Natur, nicht ohne ein gewisses Wohlwollen, welches sogar mit der Zeit durch das Gelingen seines Werkes und durch die zahlreichen Beweise von Dankbarkeit und Verehrung zu einiger Wärme gedieh, welches aber im Grunde und von Haus aus auch von jener selbstsüchtigen Art war, die sich gegen Andere freundlich und gefällig erweist, um Unbequemlichkeiten und Unannehmlichkeiten zu vermeiden und ihre Zwecke desto besser zu erreichen“ etc.

Diese Charakterschilderung ist nicht glänzend, aber sie dünkt uns richtig und wohl geeignet, damit nur das Ende und die letzten Worte des Augustus zu erklären, dies umsomehr, wenn wir noch erwähnen, wie Karl Peter dem Augustus einen gewissen Humor, eine „Beimischung von jenem leichten, gemüthlichen Witz“ einräumt, „wie er klaren, verständigen Naturen eigen zu sein pflegt.“ Augustus sah in seiner letzten Krankheit, die ihn auf der Reise ergriff, seinen Tod mit Bestimmtheit voraus und bestellte mit der ihm eigenen Besonnenheit sein Haus. Daß diese Bestellung ihm eine Art Genugthuung bereitete und ihn in eine heitere Geistesverfassung versetzte, ist erklärlich, und ebenso erklärlich ist, daß in dieser ihn jene scherzhafte Laune ergriff, die ihm immer zu kommen pflegte, wenn ihm etwas geglückt oder zu gutem Schlusse zu bringen gelungen war. In dieser guten Laune mochte es ihm wohl anstehen, kurz vor dem Momente des Sterbens seine Freunde zu fragen, ob er auf der Schaubühne des Lebens seine Rolle gut gespielt, und auf ihre bejahende Antwort sie verscheidend aufzufordern, ihm Beifall zu klatschen.

Das Seitenstück zu den letzten Worten des Augustus bieten diejenigen, die man dem ausschweifenden und verrückten Nero zuschreibt, der, als er, vom Throne gestoßen und von seinen Feinden verfolgt, sich selbst den Tod gab, ausgerufen haben soll: „Welch ein Schauspieler geht in mir zu Grunde!“

Nero, der bekanntlich nichts als ein grausamer Narr war, hatte unter anderen thörichten Einbildungen auch die, ein großer Künstler zu sein. Er hielt sich für einen ausgezeichneten Rhetor und Sänger und spielte deswegen mit Leidenschaft große Rollen in tragischen Stücken, wofür er sich mit Beifall überschütten ließ.

Sollten seine letzten Worte nun auch nur eine historische Erfindung sein, so bleibt nichtsdestoweniger zu bekennen, daß sie für Nero’s Wesen Zutreffendes und Charakteristisches haben. Sie kennzeichnen auf höchst frappante Weise das Scurrile und Lächerliche seines in sich verwaschenen, ganz haltlosen und abgeschmackten Naturells, das ebenso kindisch wie widerwärtig erscheint.

Der Gegensatz zu Nero ist Vespasian, ein Herrscher von strengem militärischem Geiste, der mit außerordentlichem Verstande und geregelter Willenskraft regierte. Seine von dem Gedanken der Regentenwürde ganz erfüllte, männlich stoische und etwas rauhe Kriegerseele bekundet sich schlagend dadurch, daß er bei dem Herannahen des Todes seiner Umgebung befahl, ihn aus dem Bette zu heben und auf seine Füße zu stellen, weil, wie er verscheidend erklärte, ein römischer Kaiser nur stehend sterben dürfe.

Ein qualvolles Ende fand Ludwig der Elfte von Frankreich, ein Mann, dem jeder Zeit Macht vor Recht ging und welcher auch die verworfensten Mittel nicht scheute, wenn er glaubte, durch diese seine Zwecke erreichen zu können. Er ist das französische Seitenstück zu dem englischen Richard dem Dritten. Seine Regierung ist eine fortlaufende Kette von Gewaltsamkeiten, Hinterlisten und Verbrechen. Als er sein Ende kommen fühlte, ergriff ihn eine ungeheure Angst, die ihn weder ruhen noch rasten ließ. Eine Zeitlang reiste er unruhig von Ort zu Ort, und da ihn besonders Nachts böse Träume folterten, ließ er häufig Musikanten, wohl hundertzwanzig an der Zahl, rufen, die ihm durch lärmende Musik den Schlaf fern halten mußten. Zuletzt, weil er überall rächende Hände vermuthete, schloß er sich in die Veste Plessis-les-Tours ein, die von zahlreichen Bogenschützen und mit spitzen Eisengittern und Fußangeln umgeben war. Da sah und hörte man ihn Tag und Nacht durch die Gemächer rumoren und mit sich selber reden. Oft irrte er, in Schweiß gebadet, ein Panzerhemd auf dem nackten Leibe und ein bloßes Schwert in der Hand, keuchend und schreiend, wilde Verwünschungen und Flüche ausstoßend, auf den Zinnen und Wällen zwischen doppelten Reihen von Bogenschützen umher, die ihm den Tod abwehren sollten, den er außerordentlich fürchtete. Vor seinem Arzte lag er oft auf den Knieen, um ihn anzuflehen, ihm das Leben zu erhalten. Nach einer Volkssage soll er zuletzt sogar das warme Blut von Kindern getrunken haben, weil ihm Wunderthäter und alte Weiber dadurch Verjüngung verheißen hatten. Allen angewandten Mitteln zum Trotze mußte aber auch er schließlich erliegen. Sein Tod soll grauenvoll gewesen sein. Er starb mit Schaum vor dem Munde und mit Gebeten, die sich in seinem Schrecken in haarsträubende Verwünschungen verwandelten.

Heinrich der Achte von England, ein gleichfalls ziemlich tyrannischer und mit manchen Schandthaten behafteter König, hat ein nicht minder mürrisches und ziemlich trostloses Alter gehabt. Auch er mochte vom Tode nichts wissen und hatte seiner Umgebung verboten, dieses Wort vor ihm zu nennen. Als er in seinen letzten Augenblicken die besorgten Mienen seiner Aerzte sah, rief er zornig: „Ich lasse Euch köpfen, wenn Ihr nicht erklären könnt, mich zu retten.“ In demselben Momente jedoch war er todt.

Karl der Fünfte hat ein allerdings gefaßteres, aber nicht eben ein glücklicheres Ende gefunden, ein Ende, über das uns die genauesten Mittheilungen aufbewahrt worden sind und welches William Stirling in seinem Buche über des Kaisers Klosterleben bis in seine kleinsten Einzelheiten beschrieben. Nach Allem, was daraus ersichtlich, gab Karl der Fünfte seinen Geist gleichsam nach spanischem Ceremoniell und mit dem ganzen Pomp der katholischen Kirche auf. Man weiß, daß seine Unmäßigkeit im Essen und Trinken an seinem frühen Tode nicht ohne Schuld gewesen ist. Obgleich immer leidend, wollte er sich doch nichts versagen. Als er im August 1558 wohl sein Ende kommen fühlen mochte, wandelte ihn die Lust an, gleichsam eine Generalprobe von seinem Begräbniß machen zu lassen. So oft während seines Aufenthaltes in Juste irgend einer seiner Freunde fürstlichen Standes oder von den Rittern des Vließes gestorben war, hatte er nie vergessen, von den Mönchen eine Leichenfeier veranstalten zu lassen, und diese Trauerfeierlichkeiten waren gewissermaßen die Feste und Schauspiele des düstern Klosterlebens. Nun wollte er ein solches auch von seinem eigenem Begräbniß haben. Dasselbe fand am 30. August des eben angeführten Jahres mit aller dabei üblichen Pracht statt. Nachdem dies geschehen, speiste er zu Mittag – diesmal weniger, als er es gewohnt war. Nachdem er eine Weile dann noch in der Sonne gesessen, besah er das Bild seiner ihm vorangegangenen Gemahlin Isabella, später, als ob er die weltlichen Regungen hätte verwischen wollen, Heiligenbilder.

So kränkelte er fort bis tief in den September hinein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_310.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)