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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Ottilie durch ihre glänzenden Tugenden die väterliche Zuneigung, welche jedoch nicht lange dauerte. Der Herzog wollte seine Tochter verheirathen, die heilige Ottilie fühlte sich aber mächtig zum Dienste Gottes hingezogen und, um die Drohungen ihres Vaters nicht wahr werden zu lassen, wollte sie auf’s Neue fliehen. Endlich sah Jener ein, daß es Gottes Wille sein müsse, da seine Tochter in dem Vorsatze, Nonne zu werden, unerschütterlich beharrte. Er billigte schließlich denselben und machte ihr das Schloß Hohenburg und dessen Güter zum Geschenk. Auf dem Platze, wo sich das Schloß befand, gründete die heilige Ottilie im siebenten Jahrhundert das Kloster, welches ein Asyl für arme, adelige Töchter des Landes wurde. – In den alten hohlen Lindenstamm, welcher vor unserem Kloster steht, soll, der Legende nach, die Amme mit der heiligen Ottilie sich geflüchtet haben.“

Als ich mich in meinem Zimmer befand, sah ich zum Nachtgruße der Landschaft noch einmal aus dem Fenster. Aus der Nähe und Ferne, namentlich in jener Gegend, wo Straßburg liegen mußte, leuchteten große Freudenfeuer, Raketen und Feuergarben stiegen auf und erhellten kurze Zeit das schlummernde Thal. Auf der Terrasse des Klostergartens standen die Nonnen und sahen dem Schauspiele zu. Ich hielt die Feuer für einen patriotischen Ausdruck meiner Landsleute, obgleich ich keine specielle Veranlassung dafür wußte, später erfuhr ich jedoch, daß die Feuer in den katholischen Städten und Ortschaften des Elsaß zu Ehren des – fünfundzwanzigjährigen Dienstjubiläums des Papstes angezündet wurden.

Am anderen Morgen um halb vier Uhr wurde ich von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne geweckt, die in aller himmlischen Majestät über dem Rheinthale emporstieg. Die grünen Ebenen da unten waren in den feinen Silberton des Morgens getaucht, in ihnen glitzerten vergoldete Kuppeln und Kreuze der Kirchthürme. Später tönten aus zahlreichen Gemeinden die Morgenglocken herauf, denen unsere Klosterglocke in dem kleinen Thürmchen die Antwort thalwärts sandte.

Im Klostergarten ging eine hübsche junge Nonne, welche ich gestern nicht gesehen hatte. Sie begoß die Blumen und pflückte eine Rose. Gar ernst und gedankenvoll sah sie aus. Die Blumen sahen traurig zu der schwarzen, ernsten, schlanken Frauengestalt empor.

Verlornes Leben, verlorne Liebe –
Unheilbar ist dein Herzeleid.

Ich habe die Gestalt später nur noch selten gesehen; einmal draußen, als ich im dichten Haidekraut saß und das Kloster zeichnete, ging sie einsam in der Ferne vorbei. –

Das Klosterleben der Nonnen hatte ich mir ganz anders gedacht. Sie sind hier oben wohl einsam, jedoch nicht ausschließlich mit ascetischem Dienst beschäftigt. Zum Gebet in die Kirche gehen sie zu bestimmten Stunden, dann kommen aber häufig Feld- und Gartenarbeiten. Diese letztere Beschäftigung werden die Nonnen wohl als Abwechselung mit Freuden aufnehmen, zumal sie bei der sonst geringen Bewegung ihnen körperlich nothwendig ist. Den Ausdruck des „Lasset alle Hoffnung zurück“ sah ich auch nur selten auf ihrem Gesicht, das meistens einen freundlichen Ernst zeigte. Die Nonnen kannten mich bald, ohne daß ich – mit Ausnahme der Schwester Sabine, welche in jener Zeit meines dortigen Aufenthaltes den Dienst für die Gäste besorgte – mich mit ihnen zu unterhalten Gelegenheit hatte. Die Frau Mutter, welche mit Liebe und Milde dem Kloster vorsteht, brachte Abends den Schwestern meine Skizzen aus den Capellen des Klosters und dessen Umgebung, und dadurch mag ich ihnen wohl bekannt geworden sein. „Unser Hahr!“ (Herr) hörte ich öfters leise sagen, wenn ich im Felde an ihnen grüßend vorbeiging.

Von all’ den Sehenswürdigkeiten, welche das Kloster birgt, war mir in architektonischer Hinsicht die Kreuzcapelle das Interessanteste. Sie stammt aus dem zehnten oder elften Jahrhundert und ist der älteste Bau des Klosters. Die Capelle ist im romanisch-byzantinischen Stil ausgeführt, das Schiff besitzt Tonnengewölbe, welche in der Mitte von kräftig gedrungenen Säulen mit schönem, für die damalige Zeit sehr fleißig ausgeführtem Capital und breiter Säulenbasis mit Eckblättern getragen werden. Das Grabmal der heil. Ottilie und ein Reliquienschrein mit ihren Gebeinen, die beiden größten Heiligthümer des Klosters, befinden sich hier ebenfalls.

Sehr verlockend sind die Ausflüge vom Kloster, deren es eine Unzahl giebt und die so den Aufenthalt zu einem äußerst lohnenden machen. Hauptsächlich interessant ist die Heidenmauer, welche in größerer Entfernung vom Kloster sich weit ausdehnt. Sie ist für die Alterthumsforscher ein bisher ungelöstes Räthsel. Ohne Zweifel war sie ein altes Festungswerk, wahrscheinlich keltischen Ursprungs. Durchschnittlich beträgt ihre Höhe anderthalb Meter, ihre Dicke zwei Meter. Sie läuft in einer Linie auf dem Vogesenkamme entlang, nur am Ottilienberge hat sie einen dreifachen Mauerkranz um eine Oberfläche von mehr als einer Million Meter im Quadrat. Diente die Heidenmauer früher als verschanztes Lager, oder als Zufluchtsort, oder sollte sie einer Hauptstätte heidnischen Gottesdienstes Schutz gewähren? Wahrscheinlich ist das Letztere der Fall, zumal die Verlegung der Ottiliensage auf diesen Berg dem Grundsatze der ältesten Geistlichkeit entspricht, heidnische Opferstätten zu christlichen Wallfahrtsorten zu machen. Der Volksglaube in jener Gegend schreibt auch diesen Steinen der Heidenmauer besondere Wirkungen zu, denen Dürrbach in dem Gedicht Ausdruck giebt:

Wer in der Gegend bauet,
Der nimmt zu seinem Haus
Von der zerfall’nen Mauer
Sich einen Stein heraus,
Und glaubt, der Stein ertheile
Dem Hause Festigkeit
Und Allen, die ’s bewohnen,
Noch Heil in jeder Zeit.

R. A.




Das Sicherheitsventil Italiens.


Neapel, 1. Mai 1872.     

Wenn diese Zeilen den Lesern der Gartenlaube im Abdrucke zu Gesicht kommen, hat der Telegraph schon längst das große Naturereigniß selbst und viele Einzeltheile desselben in alle Welt hinausgetragen; durch eine eigenthümliche Fügung der Dinge war ich jedoch wochenlang theils in der Nähe des Vesuves, theils auf demselben, habe den Berg in allen Theilen und namentlich in seinen einzelnen Entwickelungsphasen kennen gelernt und glaube deshalb im Stande zu sein, ein treues Bild der Vorgänge der letzten Tage entwerfen zu können. Daß ich die sonst übliche Art der Berichterstattung, die unpersönliche, wegließ und die Mittheilungen deshalb an manchen Stellen eine etwas subjective Färbung erhalten, wird der billig denkende Leser aus dem Doppelgrunde entschuldigen, daß ich nichts von bloßem Hörensagen Erfahrenes, sondern nur Selbstgesehenes mittheilen wollte, und daß ich die Vesuvstudien nicht aus allgemeinen, sondern aus Berufsinteressen machte, wodurch der Standpunkt der Schilderung nothwendig ein persönlicher werden mußte.

Im Sommer des Jahres 1863 erstieg ich zum ersten Male den Berg; die wild zerrissenen Formen der Lavafelder, die bizarren Felswände des mächtigen Kraters und die noch abenteuerlichere Färbung derselben, sowie die Lage an dem herrlichen Meere und in der paradiesischen Landschaft riefen den festen Entschluß in mir hervor, dem interessanten Unhold einmal wochenlang von verschiedenen Seiten her fest in’s Gesicht zu sehen und seine ungeschlachten Formen im Bilde festzuhalten.

Neun Jahre vergingen, ehe meine Verhältnisse gestatteten, daß ich zum zweiten Male über die Alpen und dem süditalienischen Ruhestörer zueilen konnte; es war am Morgen des 18. März, als ich von Resina aus in Begleitung zweier Landsleute und des in Resina gemietheten Dieners Vincenzio, der die Malgeräthe trug, den Berg hinauf-, dem Observatorium zustieg; in der Eremitage miethete ich mich ein, und nun ging’s rasch weiter über die klirrenden Lavafelder dem Aschenkegel zu. Der Lavaausbruch des Vorjahres hatte einen großen Theil des Atrio di Cavallo verschüttet, sowie den früher zur Spitze führenden Weg, weshalb nun an einer viel steileren Stelle aufgestiegen werden mußte. Ueber eine Stunde lang geht es in der Steigung einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_324.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)