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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

steilen Bühnentreppe aufwärts über lauter Lavablöcke und Lavagerölle; endlich ist der Rand des früheren Kraters erreicht. In leichterer Steigung führt der neue Aschenkegel, welcher sich allmählich im früheren Schlunde anhäufte, aufwärts, und nach weiteren zehn Minuten ist die höchste Spitze erstiegen und vor dem erstaunten Auge entrollen sich alle die sonderbaren mächtigen Bilder dieser Riesenwerkstätte der Natur. Neunmal stieg ich während der Zeit meiner Studien den Berg auf und ab, malte und zeichnete die einzelnen Krater und Schlünde von verschiedenen Seiten und will nun versuchen, ein kurzes Bild seiner Grundform zu geben, damit die spätere Schilderung des furchtbaren Ausbruches am 26. April hierdurch verständlicher werde.

Am Ostsaume des Meerbusens von Neapel erhebt sich aus der fruchtbaren Ebene der Vulcan, welcher zu verschiedenen Zeiten mit schrecklicher Hand sein Walten in die Geschichte einschrieb. Seine frühere Form war, wie aus der ganzen Grundanlage zu erkennen ist, wesentlich anders; der Berg war niedriger, der Krater aber breiter und mächtiger. Der große Ausbruch im Jahre 79 nach Christus, welcher Pompeji mit Asche und siedendem Wasser überschüttete, Stabiä (das jetzige Castellamare) verwüstete und Herculanum mit einer eisenfesten Steinmasse übergoß, änderte die Form wesentlich; vom alten Krater stehen noch die senkrecht aufragenden Felswände nach Norden, jetzt Somma genannt; diese Felswände, ohne Luftröhren aus dem Erdinnern, daher nie feuerspeiend, umschließen in riesigem Halbkreise ein weites, fast ebenes Lavafeld, welches etwa in halber Höhe des Berges hinter dem Observatorium beginnt, als Eisengürtel sich schon in etwas engerem Ringe um den eigentlichen Vesuv legt, den größeren Theil des ehemaligen alten Kraters ausfüllt und in seiner Richtung nach Neapel zu Atrio di Cavallo, nach Pompeji zu Campo di Somma genannt wird. Die Hauptabzugsröhre des Berges scheint jedoch mehr am Südkraterrande nach Pompeji zu gelegen zu haben, denn wie eine Schmarotzerpflanze[WS 1] an einem Baume mehr und mehr die Kraft desselben aufsaugt, so hier der immer mehr durch den eigenen Auswurf sich erhöhende Vesuv, welcher immer neue Aschen und Laven meist in der Richtung der Somma zu auswarf und im Laufe der Jahrhunderte allmählich zu dem Berge anwuchs, der er heute ist. Doch „alle Schuld rächt sich auf Erden“, – was er seinen Vorfahren anthat, das geschieht nun voraussichtlich ihm selbst; denn abgesehen von den vier Schlünden auf seiner Spitze, die man insgesammt den großen Krater nennt, arbeitet nun in rastloser Hast gleich dem Kamin einer ruhelosen Dampfmaschine der sogenannte kleine Krater an seinem eigenen Aufbau. Am Saume des Kraterringes, wie er etwa vor neun Jahren war, öffnete sich nämlich ein Loch, spie glühende Lavafetzen aus, welche sich um die speiende Stelle lagerten, aneinander sich kitteten, allmählich einen kleinen Kamin bildeten, in die Höhe und in die Breite wuchsen und so den achtzig Fuß hohen, immer noch gleich rastlos arbeitenden zuckerhutförmigen „kleinen Krater“ bildeten.

In der fast kreisförmigen Oeffnung des großen Kraters erzeugten die verschiedenen Ausbrüche zwei sich kreuzende, leicht geschwungene Scheidewände, welche denselben in vier ungleiche Theile trennen. Der größte der Kreisabschnitte ist nur eine leichte wiegenartige Einsenkung und speit in der Regel nicht. Der nächstgroße zeigt schroffe Felswände, von Schwefel in allen Farben bedeckt; aus Hunderten von Felsrissen dampfend und rauchend, doch gleichfalls ohne zu speien; die zwei kleineren dagegen suchen sich durch fortwährendes kanonenschußartiges Getöse, sowie durch Auswerfen von Lava und Bimssteinblöcken bemerklich zu machen und jagen durch ihren Donner, welcher die Bergspitze zittern macht, und durch das Speien der großen glühenden Lavafetzen manchem Besucher des Vesuv keinen gelinden Schrecken ein, während die rastlose Hetze des kleinen mit seinem flintenschußartigen Geknatter eher eine lustige Erscheinung ist.

Zum Studiren der Ausbruchsart der Krater hatte ich am 18. März aus dem Grunde eine sehr günstige Gelegenheit, weil ein scharfer Westwind blies, der den Rauch und die auffliegenden Fetzen nach Osten jagte, so daß ich mich auf die höchste Stelle der nach Norden liegenden Scheidewand setzen und ganz mit Muße malen und beobachten konnte. In den Zwischenpausen lag, etwa vierzig Fuß unter meinem Standpunkt, die Sohle des Kraters so ruhig da, wie wenn unter ihr keinerlei schlimme Macht verborgen wäre; je nach zwei oder drei Minuten hob sich aber der Boden leise, sank wieder zurück, hob sich brummend abermals höher und sank noch einmal zurück, um im Augenblick nachher mit einem mächtigen Donnerschlag die ganze Decke von Steinen und Asche wüthend gen Himmel zu schleudern; hierbei schossen aus einer Masse nun aufgedeckter, aus dem Innern des Berges kommender Röhren Gluthstrahlen senkrecht in die Höhe; zehn Secunden vielleicht dauerte der Aufruhr, dann schloß sich die Fläche wieder, weiße Dampfwolken lagerten sich einen Augenblick über dieselbe und zogen wieder weg, Alles schien wieder still und friedlich, aber nur, um einen Augenblick später denselben Spectakel zu machen.

Vier Stunden lang genoß ich den wilden, berauschend schönen Anblick, und suchte denselben auf meiner Studie festzuhalten; dann sank die Sonne hinter Camaldoli, und ich stieg hinunter zur Eremitage auf mein Strohlager. Zweimal schüttelte in der Nacht unter heftigem Donner ein Erdbeben das alte Gebäude, und am folgenden Morgen war die Kuppe des Berges von dichten, sich jagenden Nebelwolken bedeckt. In Begleitung eines deutschen Arztes, der schon in aller Morgenfrühe von Resina her eingetroffen war, und meines getreuen alten Vincenzio lootste ich mich durch Sturm und Nebel hinauf zur Spitze; oben sachte vorwärts dringend, fiel uns neben dem zeitweisen Donner des großen Kraters das völlige Schweigen des kleinen auf, wogegen ein sonderbares Zischeln und Rieseln sich bemerklich machte, auch einzelne rothe Strahlen durch die Nebelrisse drangen; am Fuße des kleinen Kraters, nicht weit unter der Spitze, war ein großes Loch in die neugepappten Wände gebrochen, und aus demselben schoß zischend und wirbelnd ein rothglühender Lavastrom hervor, der sich nach kurzem Laufe wie eine Schlange bog und an dem steilen Bergabhange dem Atrio di Cavallo zueilte. Am Quell war der Bach fast weißglühend, nach zehn Schritten orange, nach weiteren zehn zinnoberroth, um dann allmählich in dunkeln Carmin, zuletzt mit einer grauen Kruste bedeckt, überzugehen; die Kruste wurde im weiteren Verlauf schwarz, borst, zeigte an den Bruchstellen die rothe Gluth im Innern, drehte sich um die eigene Achse, bildete die so sonderbar anzuschauenden Ringe und Spitzen und erstarrte endlich, von immer neuem Nachschub gleich wieder überwälzt und bedeckt.

Hinter einem Bimssteinblock knieend, gegen den Wind mich rückwärts anstemmend, konnte ich das wilde Bild in etwa einstündigem Schaffen festhalten; die Hitze der zu unseren Füßen vorbeizischenden Lava verbrannte uns freilich die Lippen, daß sie aufsprangen, während der eisige Sturm von hinten her mit langen Schneenadeln uns den Rücken spickte; aber „Alles nimmt ein End’ auf Erden, selbst das Malen am Vesuvius,“ riefen wir uns lachend zu, und stiegen an den Rand des großen Kraters, uns gegenseitig am wagerecht gelegten Bergstock haltend, denn vor dem Dampf und Nebelqualm konnten wir keine drei Schritte weit sehen; genau bekannt mit dem Boden machten wir oben die Runde, und schickten uns erst wieder zum Abwärtssteigen an, als dicht neben uns eine Ladung des großen Kraters in die Lüfte krachte und wir bei dem dicken Nebel keine Möglichkeit einsahen, uns gegen die niederfallenden Steine zu schützen. Etwa in der Hälfte des Aschenkegels traten wir plötzlich aus der Wolke heraus, und zu unseren Füßen lag weithin im lachenden Sonnenschein der Busen, die Stadt Neapel mit dem weißleuchtenden Perlenkranz ihrer Villen und Vorstädte und ihren herrlichen Ausläufern, den Inseln Procida, Ischia und dem farbenduftigen Capri.

Am dritten Tage war der stürmische Unhold in etwas besserer Stimmung, und gestattete vergleichende Studien zwischen den einzelnen Schlünden und namentlich den einzelnen Lavaströmen, diesen gefürchtetsten Gesellen des alten Vulcans. Die tollste Fieberphantasie kann keine abenteuerlicheren Gestalten erzeugen, als hier die wildschaffende Natur; verstümmelte Menschenrümpfe, oder Fratzen von Köpfen bärtiger Männer, von Ungeheuern, von Nilpferden, Krokodilen; dann Schlangen, ungeschlachtes Gewürm, drohend gen Himmel gestreckte Riesenfinger, Formen von Unrath, und starre, einförmige, im schnellen Dahinrinnen erkaltete Flächen wechseln hier mit zerbröckelndem braunem Gerinnsel.

Und dennoch erliegt auch dieser Zerstörer der noch gewaltiger wirkenden Macht der Zeit; schon beim Erkalten bilden sich viele Risse und Schründe; die springenden Wasserblasen und Gase lassen kleine halbkreisförmige Ränder zurück, und in denselben, wie auch zwischen den feinen nadelförmigen Spitzen sammeln sich die Wassertropfen des Thaues und

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schmarotzerflanze
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_325.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)