Seite:Die Gartenlaube (1872) 330.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

geworden war; der Alte scheint aber mit dem Auskehren seiner seit ein paar Tagen überheizten Esse fertig zu sein und sich allmählich zur Ruhe begeben zu wollen, nachdem die ebenfalls aus seinem Schlunde gestiegenen Massen von Elektricität sich gestern Nacht in einem heftigen Gewitter über Neapel entladen haben.

Ueber die Menschenopfer, welche die Krisis gekostet hat, ist man noch immer nicht ganz im Klaren; leider weiß man es von etwa Zwanzigen gewiß, darunter sind zwei tüchtige deutsche Aerzte und mein einstiger treuer Führer Vincenzio. Die Unglücklichen waren in der Nacht vom 25. zum 26. April vom Observatorium aus in das Atrio gestiegen, um den in der Nacht vorher niedergegangenen Lavastrom zu sehen, als ohne alle Vorzeichen dicht hinter ihnen ein Schlund sich aufthat, einen Lavastrom ausspie, der sie umzingelte und die meisten sofort tödtete, verbrannte und in seinen Fluthen begrub; diejenigen, welche sich, über die noch heiße Lava der Vornacht wegspringend, nach dem Observatorium zu retteten, wurden hierbei so jämmerlich verbrannt, daß sie in den Spitälern von Neapel nach und nach Alle starben.

Dem sichern Tode schien der Director des Observatoriums, Prof. Palmieri, und die zwei dort wachehabenden Gensd’armen entgegenzugehen. Den Ersten hielt die Pflicht auf seinem Posten, da er durch den Telegraph stets über den Fortgang des Ausbruches nach Neapel zu berichten und seine meteorologischen Instrumente zu beobachten hatte. Die Letzteren, eben frisch auf die Wache gezogen, weigerten sich, der Aufforderung, sich zu retten, Folge zu leisten, und erklärten, lieber mit ihm sterben zu wollen. Statt des Todes ernten nun alle Drei die Bewunderung ihrer Zeitgenossen.

Ueberblickt man nun die Gesammtergebnisse der letzten fünf Tage, so muß man zu dem Ergebniß kommen, daß eine der größten Gefahren in erster Linie für Italien, dann aber auch für das übrige Festland vorüber ist; denn wenn jene wilden Naturkräfte, welche in dem Ausbruche des Vulcans sich entluden und dadurch machtlos wurden, diesen Ausgang nicht gefunden hätten, dann wäre ein furchtbares Erdbeben die nothwendige Folge gewesen, und anstatt zweier Dörfer, etwa eines halben Hunderts Menschen und einiger Millionen Grundcapital wären ganze Länderstrecken erschüttert und verwüstet worden.

Darum, so traurig das Auge über die sonst so schöne Stadt und die umliegenden Gaue streift, muß das Herz doch von Dank und Freude erfüllt sein, daß diese Tage nicht größere Opfer gefordert haben.*

Robert Heck.


* Selbstverständlich war es wegen der Ueberzeichnung und des Schnittes nicht möglich, die zu diesem Artikel gehörigen Illustrationen schon heute beizugeben; doch werden wir sie sobald als möglich folgen lassen.
Die Redaction.




Eine deutsche Studentenburg.


Von Friedrich Hofmann.


(Mit Abbildungen.)


„Guten Morgen, Samiel! Noch Niemand da?“ – Es saßen und standen nicht wenige Gruppen von Männlein und Weiblein bei Kaffee, Bier und Aussicht ringsumher, und dennoch antwortete der Angeredete mit einem bestimmten: „Nein!“ Ganz natürlich! Der Anredende war ein Bruder Studio, die Anwesenden waren nur Philistervolk, wenn auch zum Theil gar vornehm und anmuthig unter Zylindern und Federhütchen.

„Hurrah! Wir sind die Ersten!“ rief der Student, zum Thor zurückeilend, den Schaaren zu, die den Weg vom Rittergut Kreipitzsch singend und jubelnd herankamen. Das waren die Jenenser, die von Camburg her die Straße über den Berg eingeschlagen hatten. Denn man feierte Pfingsten auf Erden, und das Thor, durch welches nun die fröhlichste Jugend in den Burghof einzog, war das der Rudelsburg, und die hier erwartet wurden, waren die Genossen von Leipzig und Halle. In Thüringen, Meißen und Osterland ist es männiglich bewußt, daß zur Pfingstzeit die Studenten der drei genannten Hochschulen, besonders die verwandten Verbindungen derselben, in den Ruinen der Rudelsburg unweit Naumburg eine große gemeinsame „Naturkneiperei“ begehen, zu welcher sich auch viele akademische Zugvögel anderer deutscher Lande einstellen. Da öffnet sich den jungen Herzen ein gar schöner Himmel, Freundschaften für’s ganze Leben werden geknüpft, auch kleine Feindschaften für die Mensur angezettelt – es wird in der lachenden Natur zwischen Trümmern der Vorzeit die seligste Gegenwart genossen, und Jedem, dem Leipziger, dem Jenenser, dem Hallenser wird die Rudelsburg zu einer geweihten Stätte seiner akademischen Herrlichkeit. Ich bin, Gott sei Dank, auch ein Jenenser gewesen, und noch heute stehen die Pfingsttage der Rudelsburg auf einem immergrünen Blatte meiner Erinnerungen.

„Guten Morgen, Samiel!“ riefen wohl so ein halbhundert Stimmen. Es wird nun doch nöthig, diesen Mann von solchem Ruf dem Leser vorzustellen, ehe ich ihn noch ferner citire. Es ist das alte, unverwüstliche Hausmöbel der Burg, dieser Herr Gottlieb Wagener von dem nahen Dorfe Schieben, wo er, wie der Hamster im Bau, den Winter zubringt; kaum kleidet die Erde sich wieder neu, so schüttelt er den Winterschlaf von sich, zieht mit Bierfässern und Kurbelchen (eine Art hölzerner Seidel), mit Körben voll Brod und Eiern, auch Schinken und sehr scharfen Messern zum Schneiden derselben, in die Keller und Gewölbe der Burg ein, wo er nun, bis der kalte Herbstwind das letzte Blatt vom Baume gejagt hat, als treuer Burggeist Jedermann zu Hülfe kommt, der sich an ihn mit dem Rufe Kaspar’s im Freischütz wendet: „Samiel, hilf!“

Ein Spaziergang um die Burg und in die nächste Umgebung derselben auf dem Berge lohnt sich allemal. Wir stehen auf einem Kalksteinfelsen etwa zweihundertsechzig Fuß hoch über dem Spiegel der Saale, die hart am Fuß des Burgfelsen anschlägt, nachdem sie, begeistert von dem poetischen Wasser der Ilm, das sie kurz vorher zu sich genommen, einen so kühnen Bogen durch das grüne Thal gezogen hat, daß Raum genug zu einem niedlichen, vom Fels der Rudelsburg nur durch die Schlucht des sogenannten Kesselgrabens geschiedenen Hügel für die kleine Nachbarburg Saaleck mit ihren zwei wohlerhaltenen Thürmen geschaffen wurde. Die Rudelsburg gehörte zu den größten Bergschlössern Deutschlands. Das stattliche Mauerviereck mit seinen drei runden Eckthürmen, dem hohen Bergfried und den ragenden Giebeln der Paläste war nur ein Theil der Bergbefestigung, war nur das „castrum“, vor welchem das „oppidum“ (die ebenfalls stark befestigte Vorburg, welche die Wohnungen der Burgmannen, die Stallungen, Vorrathshäuser nebst einer Kirche enthielt) sich wenigstens noch sechshundert Schritte weit ausdehnte, wie die Mauer- und Thurmtrümmer des äußersten Thores dort beweisen.

Schon die Größe der „Veste“ spricht dafür, daß die Rudelsburg ursprünglich eine Reichswehr gegen die Slaven (Sorben und Wenden) war, wie deren viele der Saale entlang bis nach Franken hinein gestanden. Die Zeit ihrer Gründung kennt man nicht.[1] Seltsamer Weise bildet eine an der Nordseite der Burg in ein Fenster verkehrt, mit dem Capitäl nach unten, eingesetzte Säule insofern einen bestimmten Zeitweiser, als die Form derselben auf die Baukunst vor 1100 hindeutet. Die Burg ist mehrmals, auch als Raubrittersitz, zerstört worden, zuletzt, und die große Vorburg völlig, im dreißigjährigen Kriege. Das verhältnißmäßig noch sehr gut erhaltene Castrum, das, was man heutzutage Rudelsburg nennt, kam Ende des vorigen Jahrhunderts an die Herren v. Schönberg, die ihren Wohnsitz nach Kreipitzsch verlegten, aber in den zwanziger Jahren gestatteten, daß in den Burgruinen Samiel seine Sommerresidenz aufschlug.

Es ist keine Frage, daß mit Samiel ein neuer Abschnitt der Geschichte der Rudelsburg beginnt, denn nun erst ward sie ein

  1. Mit dem Namen Rudolph hat die Rudelsburg nichts zu thun, weder ein Kaiser noch ein Ritter dieses Namens hat sie gebaut. Ihre älteste Bezeichnung (im zwölften und dreizehnten Jahrhundert) ist Ruteleibisberg und noch in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts heißt sie die Veste zu Rottelsberg. Die Stätte soll vorher ein wendischer Opfer- und Begräbnißplatz gewesen sein. Das älteste Mauerwerk der Burg läßt in seiner Aehnlichkeit mit der römischen Constructionsweise eher auf slavischen, als germanischen Ursprung schließen, wie O. Mothes darthut. Eine fleißige Zusammenstellung des Geschichtspersonals giebt Johannes Stangenberger im „Gedenkbuch der Rudelsburg“ (Hildburghausen, Kesselring).
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_330.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)