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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

treffen, und so fochten die Braven wie mit dem Pariser auf der Mensur, daß bei diesem Anblick den Kreußlern, den alten weltberühmten Jenaischen Fechtmeistern, das Herz im Leibe gelacht hätte. Jeder Sieg ward vom Trompeter angeblasen und vom Herold verkündet, und als sämmtliche Schüsseln geliefert waren, hatten alle Ritter gesiegt, stiegen von den Rossen und beugten vor den Burgfräuleins die Kniee, des „Dankes“ gewärtig. Da aber weder Mütter noch Töchter an diese Rittersitte gedacht, so nahmen die Sieger die Fräulein selber als Preis mit zu den Studententischen, und jetzt folgten nothgezwungen auch die Mütter nach.

Nun ward’s für Alt und Jung erst wunderschön, die Anmuth hielt die Wildheit leicht im Zügel, die Gesänge wurden rücksichtsvoll gewählt, Gambrinus zur Vorsicht ermahnt, und wenn ja hie und da Kurbelchen ein schelmisches Triumphklappern wagten, so deutete dies immer nur auf eine „Seligkeit im Anstand“. – So kam die Dämmerung herbei, die sich die Mütter eine kurze Weile gefallen ließen; aber sie hören doch gar zu fein! Kaum drang ihnen so etwas wie Süßholzraspeln in die Ohren, so erhoben sie sich zum Aufbruch, und selbst die alten Herren, an’s Commando gewöhnt, versöhnten sich mit dem Scheiden. – Wie das geschah, kann sich Jedermann selbst ausmalen. Auch der Abschied war für uns eine Lust; nur Manchem der „Alten“! wurden die Augen feucht, wenn die Frage ihn bedrängte: „Wirst Du Das noch einmal erleben?“ –

Als wir um Mitternacht diesen Festtag der Rudelsburg schlossen und zum Schluß mit Holzfackeln noch einen Fackelzug um die Ruinen hielten, um uns dann Lebewohl zu sagen und auf verschiedenen Wegen die bestellten Nachtquartiere zu beziehen, war Mancher darunter, dem’s erging wie den Alten: er war heute zum letzten Mal hier Student gewesen. Ich habe später Keinen wiedergefunden, der nicht aus tiefster Seele mit mir aufgeseufzt hätte: „Ach, es war doch schön auf Hochschulen!“ –

Der Rudelsburg widerfuhr in den vierziger Jahren die Ehre und das Schicksal, vom König Friedrich Wilhelm dem Vierten besucht und wegen der noch heute stehenden, ihm zu Liebe errichteten hölzernen Halle in der Ecke des Ritterhauses und ehemaligen Stallbaues einem „Raubritter mit Vatermördern“ verglichen zu werden.

Schlimmer erging es ihr im December 1867: ein Sturm riß den schönsten Schmuck vom Rest des Frauenflügels, welcher die rechte Seite der Burg von der innern Thormauer bis zum Ritterhause einnahm, fast die Hälfte des hochragenden Giebels herunter. Zwar übernahmen sofort angesehene Männer in Kösen und Naumburg die Sorge, durch Geldsammlungen die Wiederherstellung des Giebels (durch den Bau-Inspector Werner in Naumburg) zu ermöglichen. Eine genaue Untersuchung der inneren Räumlichkeiten der Burg führte jedoch zu der Einsicht, daß für die oft so zahlreichen Gäste ein Schutz gegen plötzliche Unbilden der Witterung mit verhältnißmäßig geringen Kosten dadurch herzustellen sei, daß man vom Ritterhause die Gewölbe, Keller und unteren Stuben und darüber die Vorhalle und Kemenate restaurire und durch eine neue Freitreppe (den alten Gradus) wieder zugänglich mache, ohne das äußere Ruinenbild der Burg zu beeinträchtigen. Zu diesem Behufe trat mit Genehmigung des dermaligen Besitzers der Burg, Freiherrn v. Schönberg, in Leipzig ein Centralcomité mit Localcomités in vielen Städten Deutschlands zusammen und übertrug die Ausführung der Restauration dem den Männern der Baukunst auch als hervorragender Schriftsteller des Fachs bekannten Baurath Dr. O. Mothes in Leipzig. Die Mittel flossen anfangs leidlich, der Bau begann, aber der große Krieg legte ihn lahm. Was bereits vollendet ist, zeigt unsere Illustration vom Burghof, welche uns zugleich die Portraitfiguren des Burgherrn, des Bauraths Mothes, der Naumburger Baumeister, einiger Leipziger Comitémitglieder und Samiels vorstellt; bei dieser Gelegenheit darf wohl auch die Bitte um neue Hülfe für den Ausbau allen alten und jungen Gästen und Verehrern der Rudelsburg an’s Herz gelegt werden. Das Comité besteht noch und sein leerer Opferstock steht weit offen!

Eine neue Zierde wird das Pfingstfest dieses Jahres auf dem Berge der Rudelsburg erhöht sehen: ein Ehrendenkmal für gefallene Helden unseres großen Kriegs.

Wenn auch die Rudelsburg als eine allgemeine deutsche Studentenburg betrachtet werden kann und wenn namentlich hinsichtlich der beiden Verbindungs-Hauptrichtungen von ihr gilt, was Heine vom Halleschen Markte singt:

„Die Burschenschaft und die Landsmannschaft,
Die haben da Platz zum Beten“ –

so hat die Burschenschaft für ihre ernsten Feste und Versammlungen doch stets den Blick nach Eisenach und der Wartburg gerichtet; für die Landsmannschaften (Corps) aber hat in jüngster Zeit die Rudelsburg dieselbe Bedeutung erhalten durch die Gründung eines sogen. „Senioren-Convents- (S. C.) Verbandes“, der jetzt alle Universitäten Deutschlands und der Schweiz umfaßt, in Kösen seine jährlichen Pfingstversammlungen hält und auf der Rudelsburg seine Feste feiert. Dieser „Allgemeine deutsche Corps-Verband“, der schon für die Restauration der Rudelsburg ansehnlich beigesteuert, hat die Stätte der Vorburg, auf welcher einst der Thurm der Kirche gestanden haben soll und welche später die auch längst verschwundene Windmühle einnahm, erkoren, um hier allen ihren im französischen Kriege gefallenen und an ihren Wunden gestorbenen Commilitonen die Ehrensäule zu errichten, welche unsere Abbildung darstellt. – Seltsamer Weise ist viel Soldatenarbeit daran: der Entwurf von Baurath Mothes, früher sächsischem Lieutenant, die Maurerarbeit von Werner in Kösen, einst Unterofficier in Schleswig, die Zimmerarbeit (Gerüst) von Töpfer in Kösen, der mit vor Straßburg, und die Steinmetzarbeit von Einsiedel in Leipzig, der als Lieutenant mit vor Schlettstadt lag. Den Adler auf der Säule modellirte Bergk, der Guß ist von Götjes, Bergmann u. Comp. in Leipzig. Der Schaft der romanischen Säule besteht aus Rochlitzer Porphyr, an der Capitäldeckplatte sind die Wappen der Staaten und freien Städte des Reichs angebracht, am Postament Embleme des Eisernen Kreuzes. Die Höhe des Denkmals beträgt 49 Fuß.

Und so entspricht denn dieses Denkmal, das nicht blos die Trauer um die Gefallenen, sondern zugleich der Stolz des Sieges aufgerichtet, als nahe erfüllt aus, was Robert Prutz noch als klagenden Wunsch in demselben alten Gedenkbuch der Rudelsburg niedergelegt, von welchem aus Franz Kugler’s „An der Saale hellem Strande“ in alle Welt gegangen. Mit jenem, damals Tausenden aus der Seele gesprochenen Wunsche aus trüber Zeit wollen wir von der Burg scheiden:

„In den altersgrauen Räumen
Unter Trümmergraus und Wust,
Jugendhoffen, Jugendträumen,
Zieh’st noch einmal durch die Brust.

Da die Becher lustig klangen
In der Freunde munter’m Kreis,
Da wir Jubellieder sangen,
Vaterland, zu deinem Preis!

Und ein Echo geht noch heute
Durch die tiefste Seele mir,
Sei es Fest-, sei’s Grabgeläute,
Vaterland, es gelte dir!

Daß noch einst in fernen Jahren
Deutsche Burschen jubeln hier
Frohen Muths, wie wir es waren,
Aber – glücklicher als wir!




Kleiner Briefkasten.

Herrn Ernst Witter in Sonneberg besten Dank für die Einsendung des Stammbuchblattes von Karl Sand für seinen Jenaischen Studiengenossen Lotz aus Coburg. Wir theilen den Inhalt des werthvollen Blättchens unseren Lesern hier sofort mit:

„Ehre die stille That, wo Du sie findest, und verkenne nicht guten Willen; – traue, wo man thätig ist und nicht blos dem eigenen Wanste fröhnt; und verdamme nichts, dessen Urgrund Du nicht als wirklich schlecht selbst gesehen hast.

Jena, den 11. September 18.

Lebe wohl, und lasse uns treu bleiben dem Vaterland und der Sache der Menschheit.
Dein 
Teutscher Bruder Karl Sand
aus dem Fichtelgeb.“     

L. R. Curorte werden grundsätzlich in der „Gartenlaube“ nicht besprochen.

O. G. Oliver zu Vallejo in Californien. Ein Schlossermeister Petri wohnt in Alt-Schöneberg bei Berlin, Bahnstraße, neben dem Schulhause.

Ch. Kr. in Dr. Viel zu lang und deshalb nicht aufnehmbar.




Notiz. Leider ist der uns aus Straßburg angekündigt gewesene Artikel bis zur Stunde nicht eingetroffen, und wir sind deshalb genöthigt, die Nummer zu schließen, ohne unseren Lesern, wie wir beabsichtigt hatten, einen Bericht über die Eröffnungsfeier der dortigen Universität geben zu können.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_332.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2016)