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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 21.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Diamanten der Großmutter.

Von Levin Schücking.


1.

In den letzten Septembertagen des Jahres 1870 saß eine Gesellschaft deutscher Officiere, ein Hauptmann und drei Lieutenants – just so viel, wie zur Führung einer Compagnie genügen, wenn ein intelligenter Vicefeldwebel sie mit seiner Einsicht unterstützt – in dem kleinen, terrassenförmig angelegten Garten eines Restaurants in einem französischen Städtlein, das den Namen Void führt und im obern Maasthal liegt. Die Maas ist hier noch ein sehr bescheidenes Gewässer, sie ist eben aus dem wasserreichen Schooß der Sichelberge entsprungen, um an ihrem linken Ufer das berühmte Vaucouleurs zu bespülen; eine Strecke weiter abwärts schlägt sie nach Nordost einen Bogen, an dessen Ende, am Fuß ansehnlicher Höhen Void liegt, und wendet sich dann wieder dem Norden zu, um zunächst Commercy, die alte Residenz der Herzöge von Lothringen und Bar, zu berühren, dessen schönes Schloß mit seinen Erinnerungen an den guten König Stanislaus, an Voltaire und an die „divine Emilie“, die Marquise du Chatelet, jetzt eine große Caserne ist.

Commercy selbst war damals ein wichtiger Etappenplatz für die deutschen Heere, die auf der großen Straße von Nancy nach Paris zogen – zur Sicherung des Punktes hatte man in das hier sich öffnende Maasthal aufwärts hinein, und zwar in den nächsten bedeutenderen Ort, unser Void, eine Compagnie Truppen gelegt, die aus norddeutscher Landwehr bestanden und die Aufgabe hatten, die Thalstraße zu bewachen und die von Langres her durch das Thal abwärtsführende Eisenbahn im Auge zu halten, nachdem man sie unfahrbar gemacht hatte.

Es war ein ziemlich leichter Dienst, der unsrem kleinen Corps zu Theil geworden; das Einzige, was eine gewisse Wachsamkeit nothwendig machte, war der Umstand, daß sich Haufen Franctireurs in den Vogesen gebildet hatten und von dort oder von der Festung Langres her einen Handstreich wider die große Heerstraße der Deutschen ausführen konnten; aber auch das war in diesem Augenblicke nicht wohl mehr denkbar, weil das vierzehnte Armeecorps unter dem General von Werder sich eben zu seinem Marsch auf Epinal rüstete, um jene Banden zu zerstreuen; seine Vorhut unter dem General Degenfeld war bereits auf dem Marsche, der sie zu dem Gefechte von Raon l’Etape führte – und diese Bewegungen sicherten unser Commando jetzt eben ziemlich vollständig gegen die Gefahren, welche ihnen vom Süden her drohen konnten.

Es war also ein ruhiger Garnisondienst, den sie zu üben hatten – mit Exercitien wurden die biederen Landwehrmänner verschont; wenn die Streifpatrouillen ausgesendet, die regelmäßigen Rapporte nach Commercy abgeschickt, die Posten revidirt waren, so blieb den Officieren nichts übrig, als sich die Zeit zu vertreiben, so gut wie möglich, und als Schauplatz ihrer auf dieses Ziel gerichteten vereinten Thätigkeit hatten sie den hübschen Garten des Restaurants gewählt, der, durch eine sehr hohe Futtermauer von der Hauptstraße des Ortes getrennt, so hoch lag, daß man aus dem Billardsaale in der Beletage des Hauses durch eine Glasthür hineintrat. Alte Kastanienbäume beschatteten ihn; am Ende auf einer Erhöhung lag ein von Reben umsponnener Pavillon, aus dem man eine sehr hübsche Aussicht auf das reizende, offene und fleißig angebaute Thal der Maas, seine Wiesen, Rebenhügel und waldgekrönten Bergzüge hatte.

Die Officiere saßen in dem Pavillon um einen runden Tisch, der mit Flaschen und Gläsern bedeckt war; sie spielten Karten, Whist, aber mit dem Blinden, denn Einer aus der Vierzahl hatte vorhin ermüdet die Karten weggeworfen und war auf die Gartenterrasse hinausgegangen; er stand, mit den Armen sich auf die Mauerbrüstung lehnend und sich über sie beugend, und blickte wie zerstreut und in Gedanken verloren in das Thal hinaus.

Es war ein schlanker junger Mann von etwa dreißig Jahren, mit einem feingeschnittenen aristokratischen Kopfe; er hatte dunkles Haar, große, ein wenig vorliegende blaue Augen, die von breiten Lidern halb verschleiert waren, und einen zwar hoffnungsvollen, aber jetzt noch struppigen, häßlichen Ansatz zu einem Vollbart, ein Product des Feldlebens, das noch zu jung war, um nicht in seinem jetzigen Stadium der Entwickelung seinen Eigenthümer mehr zu entstellen als zu schmücken. Der einsame Stern unter der Regimentsnummer auf seiner Epaulette bezeichnete ihn als den Premierlieutenant bei seiner Truppe.

Max von Daveland, so hieß unser Unterbefehlshaber über die Schaar gesetzter Männer, welche Void occupirt hatte, war stets ein fleißiger und thätiger Mensch gewesen und schon seit ein paar Jahren an angestrengte amtliche Thätigkeit gewöhnt. Der Müßiggang in dem kleinen fremden Garnisonsorte drückte ihn – um eine Beschäftigung für seine Gedanken zu haben, hatte er etwas gethan, wozu er daheim bei seinen Studien und Arbeiten noch nie ernstlich Zeit gefunden – er hatte sich verliebt, aber freilich in mehr als platonischer Weise, in partibus infidelium, würde sein Freund Hartig, der Vicefeldwebel, mit Beziehung auf die Französin gesagt haben; verliebt in eine Fremde,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_333.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2020)