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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Beim Alten am Sulzberg.


(Schluß.)


7.


Es war ein schöner klarer Morgen. Die Wasser des Inns erglänzten im jungen Sonnenlicht und wie in Gold getaucht schauten die Häupter der Berge in’s Thal. Von den thaufrischen Matten läuteten die Herdenglocken herab, helle Jodler klangen wider von den Felsenwänden und in Wiese und Wald blitzten im Sonnenschein, von arbeitsamen Händen geschwungen, schon die Sense und die Axt.

Da that die Thür des kleinsten Häuschens in Brannenburg sich auf und hervor trat, stattlich herausgeputzt in seiner Sonntagsjoppe, das schmucke Sträußchen sammt der nickenden Feder am Hut, der Flößer-Franzl neben einem alten grauen Mütterchen. Sie schlugen den Fußweg durch’s Dorf ein, und unbekümmert um all die neugierigen Blicke der Dorfleute, die zu Feld oder Berge zogen, rief er Jedem einen lustigen guten Morgen zu, plauderte angelegentlich mit seiner Begleiterin und behielt unverwandt das Ziel seines Weges, das Wirthshaus, im Auge. Je näher sie demselben aber kamen, desto einsilbiger wurde die Unterhaltung zwischen Mutter und Sohn, und als der Franzl jetzt die steinernen Stufen am Wirthsgebäude hinter dem alten Weiblein hinanstieg, fühlte er sich unwillkürlich an den Hals, denn es war ihm nicht anders, als schnüre ihm das lose gebundene Halstuch plötzlich die Kehle zu.

Da erschien, recht wie ein Engel in der Stunde der Angst, seine Resei, winkte ihm mit ihren schwarzen Augen Muth zu, schüttelte dem Mütterchen eilig die Hände und zeigte stumm auf die Thür der guten Kammer, wo die Frau Godl die Vorstellung des Freiers erwartete. Tapfer legte der Franzl unter den Augen seines Mädchens die paar Schritte zurück, gerade vor dem Eingang aber fing er heftig zu schlucken an, die Halsbinde mußte wieder drücken, und so leicht und sicher der prächtige Bursche sich auf den höchsten Kuppen und Spitzen der Berge bewegte, so unbeholfen und ängstlich stolperte er jetzt hinter seiner alten Mutter in das Prunkgemach der Frau Wirthin.

Resei konnte sich bei aller Beklommenheit kaum des Lachens erwehren. Sie folgte ihm aber nicht, sondern blieb dicht vor der Thür stehen und hielt den Athem an, um kein Wort von der Entscheidung über ihr Schicksal zu verlieren. Dabei preßte sie die Hände fest auf ihr Busentuch, als ob sie fürchtete, das laut pochende Herz könnte die Lauscherin verrathen. Sie vernahm indeß nur ein undeutliches Gemurmel, die Godl saß zu weit von der Thür und ihr schneidiger Bub’ schien seine kräftige Stimme vor der wohlhabenden künftigen Schwiegermutter gewaltig zu dämpfen. Wohl eine halbe Stunde verbrachte sie so im Hausgange, und als endlich die Thür geöffnet wurde, suchte sie mit begierigen Augen in den Mienen der Heraustretenden zu lesen. Franzl riß sie bald aus allem Zweifel. Seine großen ehrlichen Augen strahlten in Wonne und hinter dem Rücken der zwei alten Frauen, die sich gegeneinander in Redseligkeit erschöpften, schleuderte er den Hut in die Höhe, daß er von der Decke zurückprallte. Das war gewiß ein gutes Zeichen!

„Resei, thu’ Dein Fürtuch ’runter, und geh’ mit in die Kirch’,“ sagte gleich darauf die Wirthin. „Sie läuten g’rad’ z’samm’ und Du hast es auch nöthig, unsern Herrgott um sein’ Segen zu bitten in Dein’ künftigen Stand.“

Dem Mädchen ging mit diesen Worten ein ganzer Himmel voll Seligkeit auf und in der nächsten Minute schon hatte sie ihren Buben zum Kirchgang bei der Hand gefaßt. Jetzt war ja die Einwilligung schon ausgesprochen, und wenn die Frau Godl am hellen lichten Tag mit dem Franzl und seiner armen Mutter durch das Dorf ging, konnte sie gewiß auch gar keine Einwendung mehr haben. Ihr heißer Händedruck sagte dem jungen Burschen, wie glücklich sie war.

Die beiden Matronen schritten feierlich langsam voraus, und Franzl, der jetzt wieder seine gewohnte stolze Haltung und die ungehemmte Bewegung seiner Glieder gewonnen, besprach sich auf dem ganzen Wege mit seinem Mädchen in flüsterndem Tone und theilte ihr die Zustimmung der Frau Godl und alle ihre guten Lehren und wohlgemeinten Warnungen wortgetreu mit. Daß er seine alte Mutter mitgebracht, hatte sie besonders wohlgefällig aufgenommen.

In der Kirche angekommen, nöthigte die Wirthin das darüber ganz verdutzte alte Mütterchen in ihren eigenen Betstuhl in der vordersten Reihe, und dem Franzl trat bei diesem Anblick die erste Thräne seit seinen Kinderjahren in’s Auge. In inniger Andacht knieten nun die vier Menschen vor dem Altare, und vielleicht noch nie hatte ein junges Paar so aufrichtig die Segnungen des Himmels auf eine gute alte Frau herabgefleht, als der Flößer-Franzl und die Wirths-Resei es in dieser Stunde thaten.

Als nach dem Gottesdienste sich die übrigen Kirchgänger allmählich zerstreut hatten, neigte sich die alte Wirthin den jungen Leuten zu und sagte mit leiser weicher Stimme: „So, Kinder, jetzt gebt Euch die Hand da vor unserm Herrgott – meinen Segen habt Ihr!“

Mächtig ergriffen legten Franzl und Resei die Hände ineinander, inbrünstiger falteten die alten Frauen die ihrigen und beteten mit der Innigkeit des Mutterherzens für das Glück der Kinder.

Nachdem sie die Kirche verlassen und eben das eiserne Gitter des Friedhofs passirt hatten, erblickte die glückliche Gruppe ein Mädchen, das von dem Hügel hinter dem Wirthshause mit einem Tuche nach der Landstraße winkte. Man sah nur noch die Staubwolken, die der Reisewagen aufwirbelte, dem diese Abschiedsgrüße galten.

„Das ist ja gar die Lene!“ rief Resei, die das Mädchen zuerst erkannte. „Der Jäger reist wohl gar schon heim, das muß ich gleich wissen! Godl, wir kommen im Augenblick nach,“ und rasch schlug sie mit Franzl einen Seitenweg ein, um dem Mädchen zu begegnen.

„Jetzt ist er fort!“ rief ihr Lene mit hervorstürzenden Thränen entgegen. Sie konnte vor innerer Bewegung nichts weiter sagen und Resei bot ihre ganze Beredsamkeit auf, sie zu trösten.

Nachdem sie selber in der Eile erzählt, wo sie eben herkamen und daß die gute Godl in Alles gewilligt hatte, reichte Lene, durch ihre Thränen lächelnd, ihr und dem Flößer glückwünschend die Hand und sagte wehmüthig: „Wenn wir nur auch schon so weit wären! Ich hätt’s nicht vermeint, daß ’s so schnell geht, aber der Forstner hat gesagt, er will ihn keine Stund’ von seinem Glück abhalten, und da hat’s ihm keine Ruh’ nimmer ’lassen. Er will mir schreiben, wie’s ihm geht, und in vier Wochen will er mich abholen, das hat er mir fest versprochen.“

„Und das wird er auch halten, der Karl, und wenn’s seinem Vater zehnmal nicht recht wär’!“ versicherte Resei mit aller Bestimmtheit, legte tröstend ihren Arm um den Hals des Mädchens und begleitete sie bis zum Hagengütchen.

„Nimm Dich nur zusamm’, Lene,“ sagte sie beim Fortgehen, „die paar Wochen sind bald ’rum, such’ mich fleißig heim, und jeden Brief, den er Dir schreibt, mußt mich gleich lesen lassen. Und jetzt, Franzl, laß Dir sagen,“ wandte sie sich auf dem Heimweg an diesen und faßte ihn unter dem Arm, „laß Dich nicht so viel nöthen (zwingen) und lang’ fleißig zu – die Godl wird Euch recht aufwarten – und leg’ das dalkete (ungeschickte) Wesen ab, red’, wie Dir der Schnabel gewachsen ist, das hat sie am liebsten.“

„Will’s schon recht machen, Resei,“ versicherte der Franzl treuherzig und lachte sie vergnügt an.

„Und nachher muß ich’s doch meinem Alten droben auch noch erzählen, der wird d’reinschauen, Bub’!“ jubelte das Mädchen, und im Uebermaß der Freude hätte sie gern Jeden umarmt, der ihr in den Weg kam. Mit leuchtenden Blicken zeigte sie nach dem waldgeschmückten Sulzberg, der so freundlich herüberschaute, und gedachte dankbar des muntern Alten droben, während Franzl im Geiste mit halber Wehmuth von all den herrlichen Jagdfreuden Abschied nahm, auf die er als „hausgesessener“ Mann fortan verzichten sollte.

Noch am Nachmittage desselben Tages setzte Resei auf einem Kahne über den Inn, und bald darauf hallte ein mächtig lauter, glückseliger Juhschrei durch die Berge. Der Heu-Anderl, der eben nach dem Wetter ausschaute, weil er leichtes Gewölk

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_341.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)