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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

der That wunderbar, in welch gute Stimmung die Gelegenheit, sich deutsch zu unterhalten, den Hausherrn gesetzt haben mußte … wenn es nicht, wie sich im Stillen Miß Ellen sagte, die Erregung war, die eine glücklich vorübergegangene Gefahr oder ein Schrecken zurückläßt. Die Unterhaltung – jetzt wieder französisch – spann sich während des ganzen nun folgenden Diners, welches in einem einfachen Speisezimmer neben dem Salon gehalten wurde, so fort – viel zu lebhaft für Daveland’s Wünsche eigentlich, der so wenig Zeit dabei fand, sich zu seiner Nachbarin Valentine zu wenden. Desto aufmerksamer hörte diese seinen Reden zu; ihr anfänglicher Ton von spöttischer Ueberlegenheit war vollständig geschwunden, und Max, den ihre jetzt mit einem Ausdruck rückhaltlosen Wohlwollens auf ihn gerichteten Blicke zu elektrisiren schienen, sprach desto mehr, desto fließender und fesselnder.

„Wie gut und gewandt Sie französisch reden!“ sagte Herr d’Avelon mit einem wahren Blick der Zärtlichkeit.

„Finden Sie das? Ich muß Ihnen gestehen,“ versetzte Max, „daß mir heute beim Sprechen zu Muthe ist, wie einem Reiter, der lange gebraucht hat, um sich ein störriges Pferd zu unterwerfen, und plötzlich fühlt, daß er seiner völlig Herr geworden und nun eine Freude daran findet, es in allen möglichen Lançaden und Courbetten zu tummeln … Kunst ist Können, und das Bewußtsein des Könnens kommt uns immer nur in einem Augenblick der Inspiration. Mir wird dabei,“ setzte er, Valentine in’s Auge blickend, hinzu, „offenbar, weshalb man behauptet, daß jede Kunst ihre inspirirende Muse haben müsse.“

„Ah,“ fiel Valentine leicht erröthend ein, „was Sie da sprechen, ist nicht mehr gutes modernes Französisch, sondern Rococo, Siècle de Louis quinze, vollständig veraltet!“

„Möglich,“ antwortete Max heiter, „doch habe ich immer gefunden, daß das Französisch aus jener Zeit klarer, ehrlicher, verständlicher als das heutige ist – ich bitte also um Nachsicht, wenn ich wieder darein verfalle!“

„Doch muß die Mythologie ausgeschlossen bleiben,“ entgegnete Valentine.

„Apropos von Mythologie,“ fiel hier Herr d’Avelon ein „Sie haben sich gestern nach der Entfernung von Domremi erkundigt. Wir haben von hier nach Vaucouleurs noch eine, von dort nach Domremi vier Stunden. Wenn Sie einverstanden sind, werden wir Sie hinfahren.“

„Wir werden leider diese Güte ablehnen müssen,“ versetzte Hartig hier, „von Void aus betrüge also die Entfernung sechs Stunden – für eine so lange Tour würden wir keinen Urlaub erhalten.“

„Es wäre doch auch wohl nicht ohne Gefahr für die Herren,“ meinte Miß Ellen, „Sie wissen, daß Neufchateau, welches zu passiren wäre, von unseren Leuten besetzt ist …“

„Ah,“ rief der Hausherr achselzuckend aus, „von Franctireurs – ich denke, Gaston würde ein Wort mit ihnen reden können. Aber wenn es zu weit bis Domremi ist, so werden Sie wenigstens die Grotte der Jungfrau sehen wollen – die Grotte der Jungfrau ist nur eine Viertelstunde von hier entlegen …“

„Und was ist die Grotte der Jungfrau?“

„Eine in der That sehr sehenswerthe Höhle mit Stalaktitenbildung,“ antwortete Valentine; „im Hintergrunde, in großer Tiefe steht ein kleiner See, an den sich mancherlei Sagen des Landvolks knüpfen. Wenn man an bestimmten Tagen und Stunden Fragen da hinabruft, sollen Geisterstimmen Antwort geben und Jeanne d’Arc soll zu diesem Orakel der Tiefe gewandert sein und es befragt haben … es ist eine der Merkwürdigkeiten der Gegend, die Sie sehen müssen.“

„Ich wünsche nichts mehr als das – ich habe nie größeres Verlangen gefühlt, als eben jetzt einem Orakel eine Schicksalsfrage vorzulegen,“ rief Max aus.

„Wir werden Sie hinführen – die Grotte liegt auf einem Terrain, das zur Ferme des Auges gehört, und wir sind also die besten Führer,“ sagte d’Avelon.

„Für heute würde es zu spät sein – die Dämmerung ist da, und wir müssen heimkehren,“ fiel Hartig ein.

„So bleibt nichts übrig, als daß Sie morgen zu früherer Stunde zurückkehren, damit wir vor Tische den Spaziergang bis dahin machen. Versprechen Sie es, meine Herren?“

Max Daveland suchte Valentinens Auge und da er nichts als eine offene Einladung darin las, antwortete er: „Wenn ich nicht die Furcht hegte, durch solch eine rasche Wiederholung eines Besuchs Ihnen lästig zu werden, würde ich nichts lieber thun als dies Versprechen zu geben.“

„Es ist gegeben und angenommen,“ rief der Hausherr aus, indem er, da Miß Ellen, die überhaupt die Honneurs zu machen schien, eben die Tafel aufgehoben hatte, sich erhob und Max die Hand schüttelte.

Eine Viertelstunde später saßen unsere beiden jungen Männer wieder im Sattel und ritten aus der kleinen Landbucht der Ferme des Auges der Straße zu, welche als Sehne des weiten Bogens, den hier gen Nord-Osten hin die Maas schlägt, schnurgerade über einen Bergrücken nach Void führt. Hartig hatte längst, schon als sie den Hof hinter sich gehabt, ausgerufen:

„Aber nun, bei allen von Ihnen verrathenen Göttern der Cherusker, sagen Sie mir, weshalb haben Sie unser altes Sachsenblut verleugnet und diesen Franzosen vorgelogen, wir wären daheim da irgendwo ganz hinten in der Geographie?“

Max antwortete nicht gleich. Dann sagte er: „Wollen Sie mir versprechen, den Grund auf’s Tiefste verschwiegen zu halten?“

„Gewiß.“

„Nun wohl denn, so sollen Sie ihn einst erfahren. Heut kann ich Ihnen nur sagen, daß er mit einem kleinen und unscheinbaren Ringe in Verbindung steht, den ich am Finger von Fräulein Valentine erblickt habe.“

„Ach, wie geheimnißvoll das lautet … mit einem Ringe?“

„Mit einem Ringe!“


(Fortsetzung folgt.)




Untreue vor Gericht.

Von Hermann Oelschläger.

Wahrlich, weit ist’s nun gekommen,
Denn nun wirst Du vom Gericht
Selber in’s Gebet genommen
Und Du, Hans, Du schämst dich nicht?
Ist von Deiner Lieb’ und Treue
Dies der Schluß? Proceß und Streit?
Hans, zuletzt kommt doch die Reue,
Hans, ich bitt’ Dich, sei gescheidt.

Denk’ doch jener holden Stunde,
Da im blüthenreichen Hag
Die Geliebte Dir am Munde,
Weinend Dir am Herzen lag,
Sie, der längst auf Feld und Wiese
Du gefolgt warst; denn nicht gleich
Und nicht leicht ward Dein die Liese:
Sie war arm und stolz, Du reich.

Doch noch reicher sollst Du werden,
Deine Mutter weiß genau,
Müller’s Wittib sei auf Erden
Und für Dich die beste Frau.
Hier sei Alles zu gewinnen,
Ihr gehören Wald und Feld,
Ihre Schränke sind voll Linnen,
Und die Kasten sind voll Geld.

Daß sie schielt? Wie darf Dich kränken,
Was sie nicht verschuldet hat?
Daß sie keift? Geh’ in die Schenken,
Wie ihr erster Mann es that.
Und wie sparsam ist sie! Butter
Streicht sie nie auf’s Brod und drum
Dreht sie auch wie Deine Mutter
Jeden Groschen sechsmal um.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_352.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)