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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 23.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Diamanten der Großmutter.


Von Levin Schücking.


(Fortsetzung.)


„Das heißt,“ sagte Hartig trocken, „Sie wollen ringen nach diesem Ring … Sie sind bezaubert von Fräulein Valentine … wünschen aber nicht, daß man sich nach Ihrer Herkunft erkundige? Ist denn etwas dabei zu verbergen?

„Vor diesen Leuten,“ entgegnete Max, „ja!“

„Curios! Weshalb? Freilich, solch ein reicher Franzose giebt seine Tochter nur an Jemand, der just eben so viel hat wie er selbst. Es ist ein sehr einfaches Rechenexempel bei ihnen, die Ehe! Und nun wollen Sie, trotzdem Sie arm sind, dies Mädchen doch erobern! Wirklich, Daveland, Sie machen mir den Eindruck, als ob Sie plötzlich völlig den Kopf verloren! Diese hübsche Französin – hübsch ist sie, schön sogar, wenn Sie wollen, das ist nicht zu leugnen – aber wie ist es möglich, sich in diesem Grade von solch’ einer Schönheit sofort um den Verstand bringen zu lassen?“

„Habe ich ihn in der That verloren?“

„Wenn Sie es nicht übel nehmen, ja. Ich habe Sie in meinem Leben nicht so erregt gesehen, so beredt, so im Schwung, wie heute. Und darüber haben Sie natürlich nicht Zeit gehabt, irgend eine Beobachtung über unsere neuen Freunde anzustellen.“

„Ich verließ mich, was das betrifft, auf die Muße, die Ihnen dazu Ihre Schweigsamkeit ließ, Hartig.“

„Danken Sie Gott, daß ich diese Muße benutzt habe.“

„Und was haben Sie beobachtet?“

„Daß man uns anfangs mit sehr kühlen und feindlichen Gefühlen aufnahm; daß namentlich Herr Gaston von Ribeaupierre, der ein dem Herrn d’Avelon im Alter viel zu fern stehender ‚Freund‘ ist, als daß er nicht der Bewerber um die Hand der Tochter sein sollte, uns namentlich alle Todesarten an den Hals wünschte, die Osmin in der ‚Entführung aus dem Serail‘ auf seinem Register hat; daß man mit dieser Stimmung im Ganzen auch nicht hinter dem Rücken hielt, bis der Augenblick eines merkwürdigen Umschlags – eine Peripetie nennen wir Schulmänner das – eintrat. Man bemerkte plötzlich, daß Sie sich mit einer alles Glaubliche weit hinter sich lassenden Rapidität in Fräulein Valentine verliebt hatten. Darauf zog sich Herr d’Avelon in den Salon zurück, Miß Ellen – ich bemerkte es durch eines der Fenster – trat zu ihm, sie hielten einen Kriegsrath zusammen. In diesem ist ohne allen Zweifel beschlossen worden, Ihre Schwäche zu benutzen, durch Valentine Sie anlocken zu lassen und, wenn wir recht sicher gemacht sind, bei einer passenden Gelegenheit Herrn Gaston von Ribeaupierre mit seinen Franctireurs auftreten zu lassen – Sie hörten doch, wie Monsieur d’Avelon den Zusammenhang seines künftigen Schwiegersohnes mit den Franctireurs verrieth – also ihn mit seiner Bande auftreten zu lassen, um Deutschland um den am besten französisch redenden seiner Officiere und den vortrefflichsten seiner Philologen, die Welt um all die gerechtfertigten Hoffnungen, welche sie auf uns setzt, zu bringen – mit einem Wort, um uns elend zu ermorden und unsere Leichen in den tiefen See im Hintergrunde der Höhle der Jeanne d’Arc zu stürzen, wo uns kein sterbliches Auge wieder auffinden wird. Das habe ich beobachtet.“

Max lachte kurz und gezwungen auf.

„Können Sie leugnen, daß Fräulein Valentine eine wahre Sirenenrolle spielte?“ fuhr Hartig fort, „daß diese dringende Einladung, wieder zu kommen, sehr auffallend war?“

„Glauben Sie wirklich, daß dieser Herr Gaston ein Bewerber von Fräulein Valentine ist?“ war das Einzige, was Max entgegnete.

„Also das ist das Einzige von all dem, was ich warnend rede, was Eindruck auf Sie macht? Gewiß ist er ihr Bewerber, ihr Verlobter …“

Max ließ sein Pferd in einen scharfen Trab fallen, und darüber erstarb die Unterhaltung.




3.


Als Max am anderen Tage seinen Besuch auf der Ferme des Auges zu wiederholen ging, war er allein. Hartig hatte ihm rundweg die abermalige Begleitung nach dem „dangerous castle“, wie er sich ausdrückte, abgeschlagen. Auch Sontheim, auch Merwig. Sie neckten ihn nur, Hartig hatte am Morgen in dem Garten des Kaffeehauses genug von der gestrigen Partie erzählt, um ihnen hinreichenden Stoff zu Neckereien zu geben. Max hatte das Alles mit großer Ruhe angehört und sich entschlossen, allein zu gehen, nur von seinem Burschen begleitet, dem Hartig wenigstens sein Pferd lieh.

Es war ein trüber Tag, in der Nacht war Regen gefallen, jetzt hatte es sich aufgehellt, aber in dem breiten Maasthal, das Max von seiner Wegeshöhe aus weit überschaute, hingen schwere Regenwolken. Auch auf der Stirn unseres Reiters lag heute eine düstere Wolke; und eine schwere Gedankenarbeit, etwas wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_367.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)