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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

ist und an dessen Ende sich der Leuchtthurm erhebt, wurde dann begonnen, und von diesem Seitendamm die Einschiffung auf die draußen im See stehenden Dampfer bewerkstelligt.

Welch brillanter Vorwurf für den Maler würde nicht die Darstellung dieses Fährdienstes der „Magnolia“ sein! Rechts der westliche Seitendamm mit den ängstlich sich nach dem Wasser zu drängenden Menschenmassen, die vor dem Feuer so weit, als sie nur können, zurückzuweichen scheinen; links, durch den tausend Fuß breiten Wasserstreifen gedeckt, die bereits zur Einschiffung auf die gastlichen und Erfrischungen bereit haltenden Dampfer draußen im See sich anschickenden Uebergesetzten; westwärts und ostwärts nichts als Qualm, Flammen, der Himmel selbst vollständig unsichtbar durch die vom Sturm über den ganzen Horizont gejagten, von Feuer durchzogenen Rauchwolken. Dazu die Leuchtthürme, deren sonst so helles Licht in dieser unheimlich blendenden Helle matt und fahl erscheint wie eine Dämmerung der Götter, und dahinter der in Dunkel gehüllte unruhige See mit seinen kurzen, scharfen Wellen unmuthig an die Ufer und Steindämme schlagend, als beschwere er sich über diese durch Schuld der Menschen in Scene gesetzte Riesenstörung seiner nächtlichen Ruhe.

Erst am Montag Nachmittag war es möglich, vom Seeufer und See aus einen Weg zurück in die Welt aufsuchen zu lassen. Die „Magnolia“, welche die letzte gewesen war, die Mündung des Flusses zu verlassen, war die erste, den gefährlichen Weg flußaufwärts anzutreten und den draußen harrenden Fünfzehntausend Kunde über die Größe des Feuers und Rettung aus Hunger und Kälte zu bringen. Der brave Capitain, welcher seit dem Ausbruche des Feuers unausgesetzt thätig gewesen, ließ sich hiervon weder durch die noch immer furchtbare Hitze abschrecken, noch durch die Gefahr, von Zeit zu Zeit auf seiner Fahrt von den nach dem Flusse zu einstürzenden Mauern abgebrannter Lagerhäuser belästigt zu werden; er dachte nur an die fünfzehntausend hungernden und frierenden, theilweise von ihren Lieben getrennten, über ihre Zukunft in traurigstem Dunkel und Zweifel sich abquälenden Menschen.

Die Fahrt wurde glücklich zurückgelegt und Capitain Gilson fand zu seinem freudigen Erstaunen, daß die Westseite von Chicago sammt ihren Häusern noch da stand, wo sie vor dem Brande gestanden. Sofort wurde eine ganze Flotte von Schleppdampfern nach dem See und dem Seeufer auf der Nordseite aufgeboten. Bis zum Abend wurden viertausend Menschen vom See auf die Westseite geschafft, und am Dienstag Nachmittag (10. October), 5 Uhr, wurde vom Schleppdampfer „Little Giant“ (kleiner Riese) die letzte Ladung Unglücklicher wieder unter Menschen gebracht.

Während der edle Capitain sich um die Rettung von Tausenden solche Verdienste erwarb, während er zur Vertheidigung von Schiffen und Lagerhäusern seine Person und sein bestes Gut, die „Magnolia“, einsetzte, verbrannte seine Wohnung sammt seiner ganzen sonstigen Habe zu Asche. Ueberdies haben die ungeheuren Anstrengungen während des Feuers, das Einathmen der glühend heißen Luft, die Lunge Gilson’s in so hohem Grade angegriffen, daß ihm die Aerzte die äußerste Vorsicht empfehlen mußten. Hoffentlich wird seine Gesundheit nicht dauernd erschüttert sein.

Bemerkenswerth und die Verwirrung bezeichnend, welche noch wochenlang nach dem 10. October in den Gemüthern herrschte, ist der Umstand, daß erst im November eine Notiz in den Tagesblättern den heroischen Leistungen Gilson’s einigermaßen gerecht wurde, ohne sie jedoch in ihrer vollen Bedeutung zu erfassen.

Die vorliegende Skizze ist die erste, welche die Episode – wenn dies Wort überhaupt zulässig ist – in ihrer ganzen Vollständigkeit darlegt. Wir haben die Daten aus Gilson’s eigenem Munde geschöpft. Die Zeit wird nicht fern sein, wo die „Wunderstadt“ Chicago dem hellsten Sterne ihrer dunkelsten Nacht in einer ihrer würdigen Weise ihre Anerkennung zollen und ihn für die Verluste überreich entschädigen wird, welche er in ihrem Dienste freiwillig und großherzig erlitten.

Capitain Joseph Gilson ist, wie alle Männer der That, in seinem Auftreten anspruchslos und zurückhaltend; selbst das ihm schon im Jahre 1867 so reich von den Zeitungen, d. h. von der öffentlichen Meinung gespendete Lob hat ihn keineswegs eitel gemacht. Wenn er auch die Bedeutung seiner letzten Leistungen nicht unterschätzt, so ist er doch weit entfernt, davon besonderes Aufheben zu machen. Er gehört eben zu der Classe von Männern, welche keine Furcht kennen und bei deren Blick die Gefahr aufhört Gefahr zu sein. Seine Gesichtszüge tragen den Stempel einer concentrirten, aber gleichsam schlummernden Entschlossenheit, nur in seinen scharfblickenden braunen, von dichten Brauen überschatteten Augen hat sich eine Art Sprungbereitschaft in Permanenz erklärt, vor welcher eben jede Gefahr sich schleunigst in ihre Höhle zurückzieht. Während im länglichen und scharf ausgeprägten Gesicht der allgemein amerikanische Typus vorherrscht, weist sein kräftiger, ungemeine Schnelligkeit der Bewegung stets andeutender Körper auf seinen westlichen Ursprung hin. In seinen Gewohnheiten ist er mäßig; seine einzige Leidenschaft ist die Gefahr und zwar die mit dem Schleppdampferdienst auf dem Michigansee verbundene, einem See, dessen Stürme weit gefährlicher für die Schifffahrt sind als die des Oceans. Während des Winters (die Schifffahrt schließt gewöhnlich Ende November und beginnt wieder Mitte März) liegt die „Magnolia“ im einsamen Winterquartier, während ihr Herr und Meister, um doch nicht ganz aus dem Verkehr mit der Gefahr zu kommen, die schnellsten und wildesten Pferde vor seinem offenen „Buggy“ (leichtgebauter, mit einem Sitze für Zwei versehener vierrädriger Wagen) mit eiserner Hand und sicherem Blick bändigt. Wenn unser Capitain eine Schwäche besitzt, so theilt er sie mit der ungeheuren Mehrzahl der in der Oeffentlichkeit lebenden und dort ihren Mittelpunkt findenden Amerikaner: er sieht es nicht ungern, wenn die Zeitungen über ihn schreiben. Er erfreut sich an dem „Gruseln“ Anderer, obgleich er selbst das „Gruseln“ so wenig lernen wird, wie jener fabelhaft phantasielose Junge des Märchens, den sein Vater ausschickte, das „Gruseln“ zu lernen, und der von dieser seltsamen Wanderschaft die schönste Prinzessin nebst Thron mit nach Hause brachte.




Das vorzeitige Ergrauen des Haupthaares.


Von Stabsarzt Dr. J. Pincus, Docent an der Universität zu Berlin.


Das Ergrauen und sein Verhältniß zur Gesammtconstitution des Körpers. – Erbkrankheit. – Die Kunst des Arztes. – Das Ausziehen der Haare. – Färbemittel.


Das vorzeitige Ergrauen des Haupthaares beginnt gewöhnlich gleich dem Ergrauen im höheren Alter mit dem Auftreten einiger weißer Haare an den Schläfen – darauf vergehen entweder mehrere Jahre, ehe das Uebel weiterschreitet, oder es erfolgt diese Ausbreitung so rasch, daß nach Verlauf von einem bis zwei Jahren jedes zweite Kopfhaar weiß ist. In jedem dieser beiden Fälle kann es geschehen, daß mit dem Ergrauen ein vorzeitiger Haarschwund sich ausbildet.

Es muß in einem solchen Falle zunächst festgestellt werden, ob das Ergrauen das einzige Symptom abnormer körperlicher Entwicklung ist, oder ob sich neben ihm noch andere Erscheinungen einer vorzeitigen Schwäche oder einer allgemeinen Hinfälligkeit finden.

Ist das Ergrauen nur Symptom eines allgemeinen vorzeitigen Verfalls der Constitution, so gelingt es oft, seinem Vorschreiten allein dadurch Einhalt zu thun, daß der Gesammtkörper gekräftigt wird.

Allein in vielen Fällen ist das Ergrauen eine ganz für sich allein stehende abnorme Erscheinung: die Gesammtconstitution ist kräftig, alle Organe functioniren normal, der Teint ist rein, das Colorit frisch, die Züge sind jugendlich – das Ergrauen ist ohne wahrnehmbare Ursache entstanden, scheinbar unerklärlich. Von diesen Fällen will ich im Folgenden sprechen.

Ein solches vorzeitiges Ergrauen der Haupthaare ist stets Resultat einer örtlichen Erkrankung der Kopfhaut. Dieser Satz erscheint beinahe selbstverständlich, und doch ist es sehr wesentlich, ihn ausdrücklich hier an die Spitze der ganzen Erörterung zu stellen, weil aus ihm zwei wichtige Folgerungen sich ableiten lassen:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_374.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)