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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

er nach dem Beispiel der alten Buccanier plündern wollte. Ungezählte Millionen lagen dort in den Gewölben der Kaufleute, silberne Apostel standen in den Kirchen und schwere goldene Weihgefäße auf den Altären; die spanischen Dons hatten den Ertrag der nahen ergiebigen Silberbergwerke schon seit Jahren des Krieges halber nicht nach Hause schaffen können – genug, es waren in der friedlichen Stadt unermeßliche Reichthümer mit Leichtigkeit zu erobern. Während vier Tagen und Nächten praßten und schlemmten die Piraten in der Stadt, bis die Einwohner, welche jene gastlich aufgenommen hatten, die wahre Absicht ihrer Besucher merkten. Eliza war allein an Bord der Brigg zurückgeblieben, als einige aus einem benachbarten Hort im Geheimen von der Stadtbehörde zu Hülfe gerufene spanische Militärcompagnien unversehens über die zechenden Piraten herfielen. Während des Blutbades gelang es Welsh, in einem Boote die Brigg zu erreichen, mit Eliza zu flüchten und sich in einem nahen Walde so lange verborgen zu halten, bis der Kampf vorüber war, die Seeräuber wurden bis auf den letzten Mann niedergehauen, ihr Schiff verbrannt. –

Was Welsh während der nächsten dreißig Jahre nach dem so dramatisch von ihm beschriebenen Untergange der Piratenbande getrieben hat, möchte schwer festzustellen sein. Wie er behauptet, heirathete er seine theure Eliza in New-York, machte viele Seefahrten und war lange Zeit auf Neu-Seeland. In den fünfziger Jahren tauchte das Abenteurerpaar in San Francisco auf, wohin das californische Goldfieber sie gelockt hatte, und hier erfuhr die Welt zuerst von dem riesigen Schatze auf Cocos-Island. Welsh sprach von weiter nichts als von den fünfundsechszig Millionen, die er gern holen wollte. Aber ohne Hülfe war er nicht im Stande dies zu thun. Er allein von allen Menschen in der Welt wußte genau, wo der Schatz lag, hatte ihn mit eigenen Augen gesehen und konnte so zu sagen die Hand darauf legen. Wem jedoch sollte er trauen, außer seiner Eliza? und sie beide allein konnten den Schatz nicht heben. In San Francisco fanden seine kolossalen Räubergeschichten bei Vielen ein gläubiges Ohr. Bereits im Jahre 1855 segelte eine Expedition nach der Cocosinsel, um die Millionen zu holen, kehrte aber leider ohne dieselben zurück; und mehreren anderen ihr folgenden erging es nicht besser. Im Jahre 1867 wurde in San Francisco die „Actiengesellschaft von dem verborgenen Schatze in der Südsee“ gebildet, und Welsh übernahm das Commando des von der Gesellschaft ausgerüsteten Schooners „Petrel“ nach der Cocosinsel, auf welcher abenteuerlichen Fahrt ihn Eliza begleitete. Welsh behauptete damals, unterwegs eine Verschwörung, ihn und Eliza vergiften zu wollen, entdeckt zu haben, und daß er deshalb das Schiff nach Panama gesteuert hätte, wo er dasselbe verließ. Mir liegt eine Anzahl von aus Panama datirten Briefen vor, welche von einem gebildeten Deutschen, der sich in San Francisco auf dem Schooner „Petrel“ als Matrose hatte anwerben lassen, an hiesige Freunde geschrieben wurden, und worin die Cocos-Island-Geschichte als der größte Schwindel, der je dagewesen sei, gebrandmarkt wird.

Diese Reise des Schooners „Petrel“ von San Francisco nach Panama war eine ganz schreckliche. Es würde hier zu weit führen, diese Seefahrt, welche volle fünf Monate währte, ausführlich zu beschreiben; bald ward das Schiff von wüthenden Regenstürmen umhergeschleudert, bald kam es in Windstillen wochenlang kaum von der Stelle; die gänzliche Unfähigkeit des Capitains machte die Fahrt zu einer wahren Jammerreise. Zuletzt waren die Segel alle in Fetzen und kein Segeltuch da, um neue zu machen, als glücklicher Weise ein Vereinigten-Staaten-Kanonenboot in Sicht kam und den Schooner nach Panama schleppte. „Der verrückte Capitain“ – so schreibt unser Landsmann – „hatte sich um achthundert Meilen im Cours verrechnet und versteht besser eine Schneidernadel zu führen, als ein Schiff zu commandiren. Statt direct nach Cocos-Island zu fahren, kroch er förmlich an der Küste herum. Er ist der ungeschliffenste Mensch, den ich je sah. Daß er früher ein Seecapitain war, ist eine kolossale Lüge“ etc.

Ein anderer im April 1868 aus Panama datirter Brief enthält noch Folgendes:

„Die Herren Repräsentanten von der ‚South-Pacific-Prospecting-Company‘ sind noch immer hier und wissen nicht, was sie anfangen sollen. Der alte Capitain mit seinem Weibe (der holden Eliza!) geht von einem Kosthause in’s andere und bettelt sich durch. Sollte es in San Francisco noch Narren geben, welche Cocos-Island-Stock (Actien) laufen wollen, so weisen Sie dieselben an mich. Ich verkaufe meine buntbedruckten zwanzig Actienscheine zum Kostenpreise – für hundert Dollars.“

Das Ende vom Liede war, daß der Schooner „Petrel“ in Panama öffentlich versteigert wurde, damit die Matrosen, welche seit acht Monaten keinen Cent Geld erhalten hatten, ihre rückständige Löhnung ausgezahlt bekommen konnten. Trotz dieses glänzenden Fiascos der Fahrt des „Petrel“ und anderer Expeditionen zur Hebung des Schatzes fehlte es sowohl in San Francisco als in Centralamerika nicht an Leuten, welche an das Vorhandensein der fünfundsechszig Millionen auf der Cocosinsel glaubten. Im Jahre 1870 ging Welsh als Passagier mit einer unter den Auspicien der Regierung von Costa Rica ausgerüsteten Expedition von Punta Arenas nach Cocos Island. Diesmal gelangte er wirklich dorthin, er sah den Berg wieder, in dem die fünfundsechszig Millionen schlummerten. „Einmal“ – so erzählt er – „standen mehrere Schatzsucher dicht vor dem verdeckten Eingange der Höhle; aber sie entdeckten dieselbe nicht und noch weniger den in ihr verborgenen Schatz.“ Man beschwor Welsh auf den Knieen, die Höhle zu zeigen, wo der Schatz verborgen liege, man bat und drohte, man versprach ihm die Hälfte davon – Alles umsonst! Er weigerte sich standhaft, den Ort anzugeben, denn er wußte, daß die Abenteurer ihn hinterdrein doch todtgeschlagen hätten, damit er nichts bekäme – und so hatte auch diese Expedition keinen Erfolg.

Währen der letzten Jahre lebten Welsh und Eliza, Letztere als Wahrsagerin, in San Francisco. Vielen Hunderten hat diese hier als magnetisches Medium von den Schätzen auf der Cocosinsel erzählt: daß die Juwelen (meistens Rubinen und Diamanten) dort noch immer haufenweise in den eisernen Truhen glitzern, daß die Dublonen und Piaster in Säcken und Fässern an der einen Wand der Höhle stehen, die Gold- und Silberbarren daselbst zu Bergen aufgestapelt liegen und die massiven silbernen und goldenen Gefäße, Candelaber etc. gar nicht zu zählen seien.

In San Francisco, wo es mehr professionelle Wahrsagerinnen als vielleicht in irgend einer Stadt der Welt giebt, die hier ein gewinnreiches Geschäft treiben, in allen Zeitungen ihre Kunst anzeigen und als „Clairvoyants“ mit goldenen Lettern an den Hausfronten in den Hauptstraßen der Stadt die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden erregen, hat Eliza viele Gläubige gefunden, und namentlich unter den Negern schwören Hunderte auf den Fünfundsechszig-Millionen-Dollars-Schatz auf der Cocosinsel. Auch von anderen „Mediums“ wurde das Vorhandensein des unermeßlichen Schatzes bestätigt, und die in San Francisco oft citirten Geister der ehemaligen Piraten lieben es, davon zu reden. Es war daher Welsh ein Leichtes, hier eine neue Gesellschaft zu bilden, welche unter seiner Leitung diesmal die Millionen sicher holen will. Die Gesellschaft hat sich unter dem volltönenden Namen „South Pacific Hidden Treasure Prospecting Company“ (die Gesellschaft zum Auffinden des verborgenen Schatzes im südlichen stillen Ocean) nach den Gesetzen des Staates Californien geschäftsmäßig incorporirt und die Brigg Laura auf Actien angekauft. Welsh und Eliza haben sich freiwillig erboten, das Commando der Expedition zu übernehmen und sind als Befehlshaber des Schiffes installirt worden, welches, wie schon bemerkt wurde, am 29. Februar dieses Jahres direct von hier nach der Cocosinsel abgesegelt ist. Beide zusammen verlangen für ihre Mühe nur so viel von dem kostbaren Schatze, als man mehr als dreißig Millionen Dollars antrifft; sollte derselbe gegen Erwarten weniger als dreißig Millionen Dollars betragen, so bekommen sie nach den Statuten der Gesellschaft keinen Cent. Acht Mitglieder der Gesellschaft sind mitgefahren, und die Brigg Laura zählt außer den Actionären noch sechs Matrosen. Das Schiff ist mit allem Nothwendigen auf’s Beste ausgerüstet und mit Lebensmitteln auf acht Monate versehen; aber Welsh und Eliza glauben in weniger als vier Monaten nach der Abreise, also im Monat Juni, von der Cocosinsel zurückzukommen, d. h. wenn das Anbordnehmen der fünfundsechszig Millionen nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen sollte. Aber im August dieses Jahres wird der Piratenschatz sicher in den Gewölben der „Bank of California“ in San Francisco niedergelegt sein.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_389.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)