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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Sie schritt herzhaft voran, ihr Licht in der erhobenen Rechten – auch Miß Ellen trug ihr Licht.

Unten im Flure angekommen, hörten sie an der Hauptthür, die vom Hofe her hier hereinführte, ein Reißen und Rütteln am Schlosse – Miß Ellen wollte dahin eilen, wie um es zu öffnen, Valentine aber winkte ihr und flüsterte: „Kommen Sie zur Glasthür drüben, wir können dort durch die Scheiben sehen, wer Einlaß verlangt …“

Im Salon eilte Valentine ihr Licht hinzusetzen, den Laden von der Glasthür zurückzuschlagen und dann, das Gesicht dicht an die Scheiben gedrückt, in die Nacht hinauszuspähen. Sie sah mit einem leisen Aufschrei des Erschreckens unmittelbar in die sie anfunkelnden Augen Gaston’s, der sein Gesicht eben an die andere Seite der Scheibe gedrückt hatte, um in’s Innere zu spähen. Valentine fuhr zurück, wie von einer Natter gestochen. …

„Es ist Gaston!“ rief neben ihr im selben Augenblicke Miß Ellen – „es sind Leute bei ihm – aber öffnen wir ihm …“

„Ja, öffnen Sie ihm,“ athmete Valentine kaum hörbar – „es ist besser, als daß dieser Haufe dunkler Männer hinter ihm mit Gewalt einbricht, wie er vorzuhaben scheint.“

Miß Ellen öffnete die Salonthür – Gaston trat herein, ihm nach drängten sich vier oder fünf Männer in schmutzigen Blousen, ein paar mit Revolvern, die sie in der Hand trugen, bewaffnet, die anderen mit Stöcken; ihre geschwärzten Hände und Gesichter ließen sie auf den ersten Blick als Eisenarbeiter erkennen.

Gaston’s erstes Wort war ein zorniger Ausruf:

„Was thun Sie hier, Valentine? Wer rief Sie? Miß Ellen, Sie hielten Ihr Wort nicht …“

„Mein Gott, Gaston – sind Sie Anführer einer Räuberbande geworden?“ rief Valentine ihm entgegen. „Was bedeutet dies, wozu kommen Sie, was sollen diese Menschen hier?“

„Etwas, das Sie in aller Welt nicht angeht; gehen Sie, hinauf, Valentine, ich bitte Sie – es ist besser für Sie, gehen Sie hinauf!“

„Merkwürdiger Befehl! Ich soll gehen, während Sie hier von unserem Hause Besitz nehmen?“

„Ihr lautes Schelten wird nur Ihren Vater wecken und herbeirufen,“ fuhr Gaston dazwischen, „und wir brauchen ihn so wenig wie Sie – es ist auch für ihn besser, wenn er diese Nacht ruhig verschläft.“

„Kommen Sie in der That, um uns auszuplündern?“

„Nein, um dem Vaterlande einen Dienst zu erweisen, um einen seiner Feinde unschädlich zu machen!“

„Also Sie kommen nicht als Räuber, sondern nur … als Mörder …“

„Valentine, ich bitte Sie, mäßigen Sie Ihre Ausdrücke! Sie sind in einer Aufregung, worin Sie nicht wissen, was Sie reden. Sie werden uns aber nicht hindern, zu thun, was unsere Pflicht gegen Frankreich gebietet.“ …

„Wollen Sie mit solchen Phrasen diese ehrlichen Männer zu einer abscheulichen Handlung verleiten?“

Gaston schob in aufwallendem Zorn Valentine zur Seite und schritt weiter in den Salon; Miß Ellen, die athemlos horchend hinter Valentine gestanden, eilte ihr auf einen der Tische niedergestelltes Licht zu nehmen, wie um sich zu flüchten – die Arbeiter, die, ohne viel auf die Verhandlung zwischen Gaston und Valentine zu achten, sich erst neugierig nach allen Seiten in dem Salon umgeschaut hatten, drängten sich, einzelne Ausrufe wechselnd, nach – die ganze Gruppe nahm den Weg durch das Eßzimmer und den Flur, wo Gaston jetzt rasch die eigentliche Hausthür aufschloß, und dann zu der Thür des Fremdenzimmers, in welchem Max untergebracht worden war. Gaston klopfte an dieselbe; er rüttelte am Schloß – es kam keine Antwort von innen; die Thür widerstand den Versuchen, sie zu öffnen; sie war von innen verriegelt und keine Hand kam, den Riegel fortzuziehen.

Valentine war dem eingedrungenen Haufen gefolgt – als Gaston jetzt flüsterte: „Wir werden uns zu helfen wissen,“ und einem der Arbeiter Platz machte, der sich mit einem kurzen starken Stemmeisen, das er unter der Blouse hervorgezogen hatte, herandrängte, fiel sie ein:

„Sie können es leichter haben und es ist nicht nöthig das Schloß zu sprengen und uns die Thür zu verderben. Steigen Sie doch vom Hofe aus ein – das Fenster steht offen, die Läden ebenfalls …“

„Das Fenster und die Läden stehen offen!“ riefen jetzt mehrere der Leute, die eben durch die von Gaston geöffnete Hauptthür vom Hofe her in den Flur drängten.

„So laßt die auf dem Hofe hineinsteigen!“ gab Gaston zur Antwort. „Oder,“ fuhr er hastig sich zu Valentine wendend fort, „ist der Vogel ausgeflogen und danken wir es Ihnen, Valentine?“

Er wurde abwechselnd bleich und roth bis über die Stirn vor Zorn und Aerger bei diesen Worten.

„Sie danken es nur der Wachsamkeit und Vorsicht Dessen, den Sie suchen, Gaston – diese Art Leute, scheint es, lassen sich nicht überlisten von – Ihnen!“

Sie sprach das mit einer Bitterkeit und einem Sarkasmus, dem gegenüber Gaston Mühe hatte, sich zu beherrschen.

„Erbrechen Sie die Thür!“ rief er mit einem Fluche dem Arbeiter neben ihm zu. „Wir wollen doch sehen, ob dies wahr ist.“

Der Mann setzte sein Brecheisen ein – aber es war kaum geschehen, als die Thür sich wie von selbst öffnete; sie wurde von innen aufgeschlossen, von den Leuten Gaston’s, die schon vom Hofe her durch das offene Fenster gestiegen waren.

„Es ist Niemand d’rin – er ist entwischt – er ist zum Teufel, dieser schlaue Preuße – welcher Verrath!“ schrieen die Leute durcheinander und zeigten sich in einer wüsten Aufregung, als ob sie nicht übel Lust hätten, sich an den Bewohnern der Ferme des Auges und an Allem, was sie um sich her sahen, mit ihren gewaltigen schwarzen Eisenhammerfäusten zu rächen. In der That begannen sie, wie unter dem Vorwande des Suchens, sich in beunruhigender Weise in die nächsten Räume zu verbreiten. Zum Glücke kamen vom Hofe her die durch den Lärm aufgeschreckten Dienstleute herbeigestürzt, und von oben, rasch und schwer die Treppe herab, kam jetzt eben auch Herr d’Avelon, der, auf dem Perron stehend bleibend, auf’s Aeußerste überrascht die merkwürdige nächtliche Scene da unten anstarrte, diese dunklen, unheimlichen, in der spärlichen und doch grellen Beleuchtung doppelt dräuend und räuberhaft aussehenden Gestalten, die seine furchtlos ihnen Trotz bietende Tochter und die ängstlich sich an sie drängende Miß Ellen umringten – im nächsten Augenblicke erkannte er auch Gaston, kam die letzten Stufen herab, und sich hastig durch die den Flur füllende Schaar Bahn brechend, eilte er auf ihn zu:

„Gaston – zum Henker, was geht hier vor? was wollen diese Menschen hier? – es sind Ihre Arbeiter – was wollen Sie hier? – was überfallen Sie mitten in der Nacht mein Haus? – werden Sie mir Rede stehen oder nicht?“


(Fortsetzung folgt.)




Aus deutschen Lustschlössern.


2. Der vorletzte der fränkischen Hohenzollern.


Die Mitte und das Ende des achtzehnten Jahrhunderts war die Zeit der Nachäffung französischen Wesens. Wenn einerseits jeder unserer zahlreichen Duodezmonarchen einen Ludwig den Vierzehnten spielen wollte, sich Schlösser erbaute, die oft größer waren als seine ganze Hauptstadt, und Hof und Höfchen mit einem Pomp und Ceremoniell à la Versailles umgab; wenn die Copie unserer westlichen Nachbarn das allgemeine Merkmal dieser Kreise bildete – so hatten und pflegten daneben doch die Meisten noch ihre speciellen Absonderlichkeiten und Narrheiten. Die Tollheit aber ward wiederum gehörig in System und Methode gebracht und so die Carricatur vollendet. Ist denn nicht Carricatur jener Herzog Moritz von Sachsen-Merseburg, der nur für die Baßgeige lebt und seiner Tochter als Wiegengeschenk eine kleine Baßgeige einbindet? Nicht Carricatur jener schlesische Graf Hoditz, welcher auf seinem Gute Roswalde das Alterthum leibhaftig in Scene setzt, seine Hörigen und Bauern in griechische Gewänder hüllt und als Auguren und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_402.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)