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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

kommt und mit Preußen zusammenhängt. Der Gedanke der „Preußenseuche“, an dem ein bekannter deutscher Schriftsteller der Gegenwart laborirt, spukt schon in Durchlaucht Friedrich Christian’s von Brandenburg-Culmbach Kopfe.

In diesem eigenthümlichen Wandsbecker Stillleben erreichte ihn die ministerielle Benachrichtigung vom plötzlichen Hinscheiden seines Neffen Friedrich, und kurz danach, an einem sonnigen Tage des Vorfrühlings, die Baireuther Huldigungsabordnung. Hohe Culmbacher Würdenträger sind es, welche in imposanter Auffahrt, in der Galacarosse des neugebackenen Freiherrn v. Schimmelmann, Commerzdirectors und stimmführenden Gesandten am niedersächsischen Kreistage, Hüte und Arme beflort, den Prinzen aufsuchen, um ihn zum Antritt der Regierung des ihm in rechtmäßiger Erbfolge zugefallenen Markgrafenthums aufzufordern: der Hofmarschall Geheimrath Wilhelm v. Treskow, der Directeur der fürstlichen Parforcejagd und Oberforstmeister Theodosius Christoph Adam v. Reitzenstein, ein donnerwetternder alter Haudegen mit kriegerischem weißen Knebelbart, und der Minister des Auswärtigen und des markgräflichen Hauses, zugleich Gesandter zu Wien und am Reichstage zu Regensburg, Friedrich Reichsgraf v. Ellrodt.

Der Letztere, auch der Held des Gutzkow’schen Romans, ist ein Liebling der Götter; an Leib und Geist vor Tausenden gewöhnlicher Sterblicher begünstigt, von unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit, gemahnt er an Goethe, gleich dem Frankfurter Poeten, vor dem er nur ein Dutzend Lebensjahre voraus hat, eine Apolloerscheinung, welcher alle Herzen entgegenschlagen, wo sie sich zeigt; von so seltsamen Körpervorzügen, daß er in Wien allgemein nur „der schöne Ellrodt“ heißt und Kaiserin Maria Theresia, „in der ihr eigenen Offenherzigkeit im Besprechen ähnlicher Dinge“, den Wunsch äußert, sie möchte ihn täglich ein-, und wenn sie in der Hoffnung sei, des Tages zweimal sehen. Während andere von den Universitäten Erlangen und Jena und von Reisen durch Holland, Frankreich, Italien und die Schweiz kaum zurückgekehrt, ihre Laufbahn erst mühsam beginnen, sieht er sich, ohne sein Dazuthun, mit fünfundzwanzig Jahren bereits zum Minister seines Heimathlandes und zum wichtigsten diplomatischen Posten desselben befördert.

Freilich ist er der Sohn seines Vaters, des schon früher erwähnten Premierministers Philipp v. Ellrodt, der dreißig Jahre hindurch das Ruder des Fürstenthums geführt und durch seine geschickte Administration in den schwierigsten Zeiten für den unerhörten Luxus des Markgrafen Friedrich die Mittel flüssig zu machen verstanden hat – ohne sich selber darüber zu vergessen. Hat er sich doch in der Nähe Baireuths einen Herrensitz, Schloß Drossenfeld, geschaffen, welcher mit den fürstlichen Zauberpalästen den Vergleich nicht zu scheuen braucht. Daß das Volk den Mann, der es für den immer bedürftigen landesherrlichen Säckel und für seine eigenen kostspieligen Neigungen ausbeutet, nicht eben mit gewogenen Augen betrachtet, ihm im Gegentheil die Noth, in welcher es schmachtet, mehr zur Last legt als dem Markgrafen selbst – ja, daß die Ellrodt’sche Verwaltung in ganz Deutschland verrufen ist, kann nicht Wunder nehmen. Bürgerlicher Herkunft, einer süddeutschen Theologenfamilie entsprossen, wird Ellrodt Vater, nach absolvirten akademischen Studien, Pagenhofmeister in Baireuth, später markgräflicher Secretär, geheimer Referendar, endlich dirigirender Minister und fast unumschränkter Regent des Landes. Früher schon baronisirt, ist er später von der Kaiserin mit der Reichsgrafenwürde beliehen worden.

Wer sich übrigens einbildet, der im Exile lebende arme Prinz Christian habe mit beiden Händen nach dem ihm dargebotenen Markgrafenhute greifen müssen, der irrt gewaltig. Allem Erdenglanze abhold, weigert sich der Vergrämelte vielmehr auf das Unzweideutigste, die ihm gewordene Erbschaft anzunehmen. Einmal hat er ja verschworen, sich je im Leben wieder in Baireuth blicken zu lassen, und sodann, was soll er in der Residenz, wo er nichts als „französische Windbeutel und verdorbene Schöngeister“ findet; wo auf der Kammerherrenliste und unter den Rittern vom rothen Adler nur noch Fremde verzeichnet stehen; wo er sich alle Tage in Gala und Etiquette zur Tafel setzen muß, er, der blos kalte Speisen genießt und der Fleisch am liebsten mit den Fingern aus der Schüssel nimmt? Nein, rundheraus erklärt er den drei Huldigungsdeputirten, „er sei entschlossen, den Kelch an sich vorübergehen zu lassen, und bitte dahero die Herren Ministres, anderweitige Fürsorge zu treffen und ihn ein- und für allemal zu präteriren.“ Erst der Ermahnung des Pastors Hasse von Wandsbeck, der ihm bedeutet, daß „ein Eid nur dann Werth habe, wenn man sich dabei feierlich auf die Zeugenschaft des Herrn berufen hat“, und der unermüdlichen Beredsamkeit Ellrodt-Apollos, welcher in die pietistischen Grübeleien des Sonderlings einzugehen weiß, gelingt es, die Abneigung des Prinzen gegen den ihm so unerwartet winkenden Thron zu überwinden. Er unterzeichnet endlich das bereitgehaltene Protocoll und verheißt, binnen vier Wochen als Landesherr in Baireuth Besitz zu ergeifen. Alle Beamten, Hofstaatsdiener sollen im Genusse ihrer Stellen und Befugnisse belassen werden, nur die Franzosen und Italiener, „die Schmarotzer und Nimmersatts“, das Feld räumen. Blos Deutsche erwarte er bei seiner Ankunft vorzufinden.

Und als er einzieht in seine Hauptstadt – zur Bestreitung der Reisekosten Seiner Durchlaucht hat der Rothschild des Landes, der Kammerresident Moses Seckel, Hofbanquier und Münzpächter zu Baireuth, die beträchtliche Summe von achttausend Thalern, darunter fünfhundertundsechszig Ducaten in funkelnagelneuem Golde, beschaffen müssen – sind sämmtliche Fremde, auch die Mitglieder der von Friedrich gestifteten Akademie der Künste, längst über alle Berge. Die Angst vor Friedrich Christian’s wohlbekanntem Bambus hat ein allgemeines Sauve qui peut bewerkstelligt. In die ihm bestimmten Zimmer des Schlosses geleitet, wandert er nachdenklich durch die weiten Räume, streift dann seinen Brillantring vom Finger und kritzelt in eine Fensterscheibe die Worte ein: „Eile und errette Deine Seele! denn hier auf dieser Welt ist für Dich kein wahres Gut zu finden.“ Gewiß, eine ungewöhnliche Betrachtung für einen Mann, dem soeben eine Krone dieser Erde, oder doch ein diamantenbesetzter Markgrafenhut, zu eigen geworden ist! Im Uebrigen rechtfertigt er vorerst die Besorgnisse nicht, mit welchen man seinem Kommen entgegengebangt hat. Er zeigt sich in seiner trübseligen Weise huldvoll gegen Jedermann. Zwar scheucht er die zumeist längst verabschiedeten Diener seines Bruders aus ihrer Ruhe wieder auf, um sie in seinem Hofhalte von Neuem anzustellen, allein ohne deshalb irgendwen sonst seiner Stelle zu berauben. Sogar die vier Kammermohren und Hoftürken und Hofkosaken dürfen in ihren Würden verbleiben, und muß der eine von den Erstgenannten, der zu Durchlaucht’s Schrecken noch nicht getauft ist, sich schleunigst dieser Ceremonie unterwerfen. Blos die Parforcejagd wird unerbittlich vom Etat gestrichen – seit ihm in den Neustädter Wäldern das Unglück begegnet, dessen Gedächtniß er nicht aus der Seele wälzen kann, seit er im Zorne jenen Jagdburschen aus Creussen in Franken getödtet hat, ist ihm das Waidwerk ein Gräuel, vor Allem das „Halloh, das Peitschengeknall und Rüdengebell“ der Hetzjagd.


(Schluß folgt.)




Drei Weltverbesserer.


Aus früherer Zeit. Von Arnold Ruge.


Mazzini’s Tod hat ihm mehr Lob eingetragen, als sein ganzes Leben von vierundsechszig Jahren. Daß man so etwas nicht erleben kann! Und doch, wenn Einer recht Vielen ein Dorn im Auge ist, so sollt’ er sich für todt ausgeben lassen, um diese merkwürdige Probe zu machen. Mazzini hätte es möglich zu machen gewußt, war er doch sogar sterbend incognito in Pisa; aber es hätte mehr als sein Lob mit einer solchen Täuschung der Welt erreicht werden müssen, zum Beispiel die italienische Republik. Einen Ruhm ohne so wesentlichen Inhalt kannte er nicht; und weßwegen er so Viele hinriß, das war gerade diese uneigennützige Hingabe an sein Ideal, wozu dann noch seine liebenswürdige gescheidte Persönlichkeit kam.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_405.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)