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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

aufzusuchen, der mir schon durch sein mit allgemeiner Anerkennung aufgenommenes, auch in der „Gartenlaube“ unter der Ueberschrift „Immerfrisches Obst“ eingehend besprochenes plastisches Obstcabinet, das bis zu achtunddreißig Lieferungen gediehen ist, rühmlich bekannt war. Wußte ich nun doch, daß er jetzt auch eine Sammlung plastisch nachgebildeter Pilze herausgiebt, die für die Nationalwohlfahrt noch bedeutungsvoller werden kann, als jenes Obstcabinet. Gedacht, gethan.

Mit freundlicher Zuvorkommenheit zeigte mir Herr Arnoldi die zwei bis jetzt erschienenen Lieferungen eßbarer Pilze, deren jede zwölf Stück umfaßt und inclusive Beschreibungen und Carton zwei und einen halben Thaler kostet. Ich bewunderte die täuschende Aehnlichkeit dieser aus Papiermasse gearbeiteten Gebilde, die nicht blos in ihrer natürlichen Größe und Farbe, sondern auch in ihren verschiedenen Lebensstadien so meisterhaft dargestellt sind, daß sie allerdings, wie kein anderes Mittel, geeignet erscheinen, die genaue Kenntniß der Schwämme so zu verbreiten, daß auch den Kindern und den armen Leuten dieser herrenlose Reichthum der Mutter Natur, ohne Gefahr eines Mißgriffs, zugänglich werden kann. Zugleich begriff ich aber auch die Schwierigkeiten, womit gerade die naturgetreue Nachbildung dieser so mannigfach gestalteten, ebenso zarten wie vergänglichen Waldkinder zu kämpfen hat, und drückte dem Künstler, der keine Mühe scheut, im Vereine mit anerkannten Mykologen der Natur ihre Geheimnisse abzulauschen, im Namen des Volkes dankbar die Hand.[1]

Möge das zeitgemäße, wahrhaft verdienstliche Unternehmen, dessen dritte Lieferung die giftigsten der einheimischen Schwämme enthalten soll, vorzugsweise in unseren Volksschulen Eingang finden und als anschauliches Lehrmittel fleißig benutzt werden, damit schon den Kindern ein Feld erschlossen werde, das bisher in vielen Gegenden fast gänzlich brach gelegen!

Und wenn dazu diese Worte ein Scherflein beitragen, so werde ich reicher belohnt sein, als jener Dichter, der eine solche plastisch nachgebildete Pilzsammlung kaufte, um die unschädlichen Schwämme kennen zu lernen und sie für die wenigen Hühner, die er züchtete, als nahrhaftes Futter zu benutzen, damit sie viele Eier legen möchten. Ob sie es gethan, weiß ich nicht. Kostbare Eier sind es aber jedenfalls gewesen, die mein verehrter Freund dann verspeist hat – kostbarer, als jenes „Sonntagsmahl im Thüringerwalde“.

H. S.


  1. Ein früheres, von Professor Büchner in Hildburghausen begründetes Unternehmen, eine „Schwammkunde“ mit trefflich modellirten, ebenfalls in Papiermasse ausgeführten und auf’s Sorgfältigste illuminirten Proben von deutschen Pilzen jeden Art, je in drei Lebensaltern und mit der Bodenumgebung jeder Pilzart darf hier, der Gerechtigkeit wegen, nicht unerwähnt bleiben.
    D. Red.




Bauernfängerei.


Eine Warnungstafel für „Potsdamer“ und die es nicht werden wollen.


Von Julius Weil.


Ich weiß nicht, ob es die Gewerbefreiheit macht, oder ob es im Geiste unserer Zeit liegt – niemals, scheint mir, ist die Zunft der Bauernfänger so zahlreich gewesen, als gerade jetzt. Sie ist meines Erachtens zu einer socialen Großmacht ersten Ranges geworden, welche ihre Vertreter in allen Kreisen der modernen Gesellschaft hat. Ich glaube mir deshalb die Anerkennung der dankbaren Mitwelt zu erwerben, wenn ich den Versuch mache, eine Naturgeschichte der Bauernfänger zu schreiben.

Seinen Namen hat der Bauernfänger von seiner unberechtigten Eigenthümlichkeit, „Bauern“ zu fangen. Unter Bauern sind aber nicht blos die Bewohner des platten Landes, die „Knollenpropper“ und „Stoppelhopser“, zu verstehen; sondern der Bauernfänger begreift darunter alle, welche von der Cultur des großstädtischen Lebens noch nicht beleckt sind und welche dem Raffinement des modernen Schwindels die Naivetät einer harmlosen Vertrauensseligkeit entgegensetzen. Er bezeichnet sie auch als „die Dummen“, „die Grünen“ und „die Potsdamer“.

Die Heimath der Bauernfänger sind vorzugsweise die Weltstädte; doch trifft man sie auch in der Hochsaison an Orten, wo der Reichthum und die Blasirtheit aller Länder sich Rendez-vous geben, also in Luxus- und Spielbädern. Ueberhaupt lieben sie ein buntes und volkreiches Treiben, um unbeobachtet und ungekannt ihre Schlingen zu legen. Diese Localverhältnisse vorausgesetzt, gedeiht der Bauernfänger in den Sümpfen der Gemeinheit, des Lasters und der höheren Liederlichkeit und nährt sich von dem Ueberfluß Anderer.

Es giebt nun in dem großen Thiergarten der Menschheit verschiedene Spielarten von Bauernfängern. Am häufigsten ist wohl die Kartenspielart, das ist diejenige, welche die Bauern durch Kartenspiel in die Falle lockt. Der günstigste Boden für diese Species ist die neue Welt- und Kaiserstadt Berlin, weshalb wir hier ihrem Gedeihen und Verderben ein wenig nachspüren wollen.

Rusticifex communis, der gemeine Bauernfänger, lebt in „Kaffeeklappen“ oder „Bummsen“, wo er bei Kümmel und Kümmelblättchen von den gewiegten Altmeistern der Kunst, den echten „Penn-“ oder „Sonnenbrüdern“, in der Lehre des socialen Ausgleichs erzogen wird. Einige von diesen Kellerlocalen sind ausschließlich dem Dienst der „Mogelgöttin“ geweiht und zu Hochschulen der Bauernfängerei auserlesen. Da versammeln sich die Wissenden und berathen in geheimnißvollen Reden gemeinschaftliche Unternehmungen, theilen die Beute und berichten über neue Fangmethoden. Solche Tempel, in denen dem Cultus des „Tempelns“ gehuldigt wird, sind der Polizei wohlbekannt und werden von ihr scharf beobachtet. Oft, wenn sie durch Zufall oder Verrath von einem großen Putsch der Templer Wind bekommen hat, umstellt sie bei Nacht und Nebel ihre Höhlen, dringt plötzlich mit dem Schlachtruf: „Im Namen des Gesetzes!“ in dieselben ein und hebt die ganze Gesellschaft auf – nämlich in dem Prytaneum am Molkenmarkt.

Dies die Wiege des Bauernfängers. In ihr erblickt er das Licht der Verbrecherwelt etwa in seinem achtzehnten Lebensjahre. Erst dann nämlich wird er ein „geborener“ Bauernfänger, wenn er einmal wenigstens vor Gericht gestanden hat und auf ein paar Wochen dingfest gemacht ist. Das ist die Kettenprobe der Zunft, die Feuer-, oder, wenn man will, die Wasser- und Brodtaufe des „Hochstaplers“. Nun wird sein Name in das Rothbuch der Polizei und das schwarze Register der Staatsanwaltschaft eingetragen und bekommt ein großes Kreuz †, welches Gift! Gift! bedeutet. Dies das Geburtsregister der Bauernfänger.

Von diesem Moment ist der junge Gauner zünftig und widmet fortan sein Dasein dem großen Kampf gegen Gesetz und Eigenthum. Er beginnt seine Carrière mit dem gefährlichsten und schwierigsten Posten, dem des „Schlepper“ – und beendet sie im Zuchthause. Der „Schlepper“ aber ist derjenige, welcher den Bauer aufsuchen und in den Hinterhalt locken muß, wo ihn dann die Helfershelfer weidlich ausplündern.

Ich bitte Dich nun, lieber Leser, laß Dich einmal von einem Bauernfänger „leimen“ – natürlich nur in effigie.

Du stehst eines schönen Tages in dem Hofe des Berliner Zeughauses, versunken in die Betrachtung der erschütternden Todtenmasken. Da wirst Du plötzlich aus Deinen Kunstträumen durch die Worte aufgeschreckt: „Von wem sind wohl diese Masken, mein Herr?“ Neben Dir steht ein höflich den Hut ziehender, anständiger Herr, welcher diese Frage an Dich gerichtet hat; und Du bist artig genug, ihm Rede und Antwort zu stehen. Der Fremde ist von liebenswürdig bescheidenen Manieren; mit der größten Offenherzigkeit gesteht er Dir, daß er Dergleichen noch nie gesehen, da man in seiner Heimath – Kyritz – kein Zeughaus habe. Du erwiderst darauf, daß Du ebenfalls nicht „von hier“ seiest, und bei der gemeinschaftlichen Wanderung durch die Säle, auf welcher der Fremde Gelegenheit hat, sich ziemlich unbewandert in der Waffenkunde zu zeigen, werdet Ihr einigermaßen bekannt miteinander. Als Ihr wieder im Freien seid, macht er Dir den Vorschlag, da er hier ohne jeden Bekannten sei, mit ihm nach dem Tempelhofer Felde zu fahren, wo heute große Parade stattfinde. Du willigst ein, und bald sitzt Ihr in dem Schüdderump, den man Berliner Droschke nennt. Während der Fahrt zieht der Fremde eine goldene Uhr heraus und bemerkt: „Das ist ja erst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_425.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)