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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

zehn Uhr, die Parade beginnt um Elf, da könnte man inzwischen noch ein Glas Bier trinken. Bon!“ Es wird vor einem Locale angehalten, Ihr steigt aus.

In dem Restaurationszimmer ist es ziemlich leer; Ihr nehmt an einem kleinen Tische Platz. Nicht lange, so treten zwei Herren ein, setzen sich höflichst grüßend an denselben Tisch und knüpfen ein Gespräch mit Euch an. Es stellt sich heraus, daß sie Gutsbesitzer aus Posen sind, daß sie ebenfalls zur Parade wollen, daß diese indessen erst um elf ein halb Uhr ihren Anfang nimmt. Ihr kommt in eine sehr warme Unterhaltung, und im Laufe derselben erzählt der eine Posener, daß er gestern mit seinem Freunde v. Pompowski in einem Vergnügungslocale gewesen sei, in welchem er ein eigenthümliches Spiel gesehen habe; wenn er Karten da hätte, würde er es wohl nachahmen können. Der Posener Nummer Zwei erbietet sich, solche zu holen; bald kehrt er mit einem Pasch Karten zurück – und nun entwickelt sich jene herrliche Blüthe des niedrigen Bauernfanges, das „Kümmelblättchen“.

Kümmelblättchen ist ein Spiel mit drei Karten, welche offen hingelegt werden. Der eine Spieler merkt sich eine Karte, worauf ein anderer sie sämmtlich umwendet und durcheinandermischt, bis er sie umgewendet endlich auf den Tisch fallen läßt. Hat der erste nun seine Karte genau verfolgt und findet sie heraus, so hat er das Spiel gewonnen, andernfalls sein Gegner. Der Bauernfänger versteht es nun, durch allerhand Kniffe, namentlich durch Einschmuggeln falscher Karten, den Mitspieler so zu täuschen, daß er regelmäßig die richtige Karte verfehlt. – Doch kehren wir zu Deinem Abenteuer zurück.

Du hältst das Spiel für kinderleicht und gehst scherzweise auf einige Taillen mit niedrigem Einsatze ein. Der Posener Nummer Eins stellt sich entsetzlich ungeschickt an, und Du gewinnst das erste, zweite, dritte Mal. Da wendet sich das Glück, die Einsätze werden vergrößert, die übrigen Herren betheiligen sich gleichfalls beim Spiel – das Kümmelblättchen ist in vollem Gange und bald haben Dir die drei Bauernfänger – denn das sind die Cumpane, in deren Hände Du gefallen bist – Dein Geld, Deine Uhr, vielleicht gar noch Wechsel, Schuld- oder Ehrenscheine abgelockt und verschwinden allmählich einer nach dem andern unter Zurücklassung eines entsetzlichen Deficits. Du siehst Dich betrogen, und die Parade, die natürlich eine Fabel ist, verwünschend, kehrst Du mit geleerter Tasche, aber vermehrter Erfahrung in Dein Hôtel zurück.

Oft wissen die Gauner ihre Opfer noch lange Zeit in Täuschung zu halten und auf alle Weise Geld von ihnen zu erpressen. Sie nehmen dem Geprellten beispielsweise das Versprechen ab, die Spielschuld in einigen Stunden zu tilgen oder Sicherstellung zu besorgen, und verabreden einen dritten Ort, wo das Geschäft geregelt werden soll. Es sind Fälle vorgekommen, wo Fremdlinge wirklich so befremdend naiv waren, darauf hineinzufallen. Mitunter aber passirt dies dem Bauernfänger selbst, indem der Geleimte hinter den Schwindel kommt und mit der Polizei am Orte des Rendezvous erscheint, welche alsdann die „Sicherstellung“ freundlichst übernimmt.

Auf der Anklagebank benimmt sich der Bauernfänger tactvoll und als gekränkte Unschuld. Bei den Worten „Kümmelblatt“ und „gewerbsmäßiges Hazardspiel“ macht er ein höchst harmloses Gesicht; er heuchelt die größte Unwissenheit und behauptet, von den Karten nur die Land- und Paßkarten zu kennen. Aber das Gericht hat ihm längst in die Karten geguckt und entzieht ihn auf einige Monde seiner spielenden Beschäftigung – von Rechtswegen. Seine Helfershelfer übrigens pflegt auch der verdonnerte Bauernfänger, wenn ihn nicht gerade persönliche Rache leitet, niemals anzugeben, was in der Kunstsprache „alle machen“ heißt.

Die geschilderte Fangart ist die häufigste; sie ernährt den größten Theil der Bauernfänger. Eine andere, die wiederum zum Specialstudium einer anderen Classe gemacht wird, charakterisirt sich durch folgendes Manöver: Es sitzt Jemand, dem man den „Grünen“ ansieht, harmlos bei Mutter Grün im Thiergarten. Ein Herr kommt des Weges daher, sieht sich nach einem Ruheplätzchen um, entdeckt die Bank, auf der der Grüne sitzt, und nimmt neben ihm Platz. Alsbald kommt er mit ihm in ein Gespräch und entpuppt sich als ein „wollhabender“ Oekonom aus Mecklenburg, der einige Zeit sich in der Hauptstadt nach Kräften amüsiren will. Er erzählt von seinen Irrfahrten durch die Nachtlocale Berlins, von der Scylla Orpheum und der Charybdis Ballhaus und von den verschiedenen Circen und Schürzen, die alldort sein Wohlgefallen erweckten. Seine Ausdrücke duften etwas nach der unreinen Atmosphäre jener Locale; der Grüne aber lacht darüber und erzählt wohl auch eine kleine, stark gewürzte Anekdote. Da taucht plötzlich ein Mann aus dem Gebüsch hervor und kommt auf die Beiden zu. Der Oekonom aus Mecklenburg erhebt sich, hält den Grünen fest und wendet sich an den Dritten mit den Worten: „Sie sind Polizeibeamter; dieser Herr hat mir unsittliche Anträge gemacht, verhaften Sie ihn! Ich bin der Polizeirath Preller!“ Der Dritte macht dem Pseudo-Oekonomen seine respectvolle Reverenz und ersucht den Grünen, mit ihm und dem Herrn Polizeirath zur Wache zu gehen. Der Beschuldigte ist höchlichst bestürzt und versichert seine Unschuld. Jener aber bleibt bei seiner Beschuldigung, und der Geheimpolizist läßt ihn nicht locker. Dem Grünen wird angst und bange; er bittet, er droht – vergebens. Auf dem Wege zur Wache führt der Geheimpolizist ihm die ganze Schwere seines angeblichen Verbrechens vor die Seele, erinnert an Corny, Zastrow und räth ihm, die Sache lieber in Güte auszugleichen. Das unschuldige Opfer ist zu Allem bereit, und endlich kommt man dahin überein, den Grünen gegen eine bestimmte Summe freizulassen. – Nicht selten gelingt es den Bauernfängern, ihre „Potsdamer“ so einzuschüchtern, daß diese ihr Schweigen noch durch weitere Geldversprechungen erkaufen. Ja, es ist vor nicht langer Zeit ein Fall vor Gericht verhandelt worden, wo ein so Geprellter Monate lang Geldzahlungen an seine ihm vollständig unbekannten Dränger geleistet hat. Es ist dafür gesorgt, daß die Dummen nicht alle werden.

Eine andere Species von Bauernfängern sind die „Stellenvermittler“ oder „Cautionsschwindler“ – ein Product der modernen Reclame. „Bei sehr bescheidenen Ansprüchen“ und „unter äußerst günstigen Bedingungen“ wird in einem Zeitungsinserat ein junger Mann als „Geschäftsführer“ für ein „großes Haus“ gesucht. Geschäftsführer! Großes Haus! – sehr günstig. Sofort melden sich zahlreiche Jünger Mercurs, welche der Stellenvermittler nach Einziehung verschiedener Gebühren und Empfangnahme eines Provisionsscheines an den eigentlichen „Macher“ weist. Dieser erklärt sich bereit, Den oder Jenen zu engagiren, aber der Umfang des Geschäfts und die Größe der von dem Geschäftsführer zu übernehmenden Verantwortlichkeit zwingen ihn, auf einer Caution von einigen Hundert Thalern zu bestehen. In Erwartung einer ganz besonders ausgezeichneten Stellung wird sie, oft mit den größten Opfern, geleistet – und nie mehr gesehen. Denn das Geschäft, wie der verlockende Geschäftsführerposten erweist sich als purer Schwindel. Der Cautionsbetrug steht gegenwärtig im höchsten Flor und bildet einen Hauptbestandtheil der Criminalfälle; glücklicher Weise pflegt aber meist dafür gesorgt zu werden, daß dem menschenfreundlichen Cautionär und dem dito Stellenvermittler eine unentgeltliche Stelle in „Nummer Sicher“ vermittelt wird.

Die einzelnen Abarten der Bauernfänger, sehen wir, unterscheiden sich lediglich durch die Fangmethoden von einander; soviel Methoden, soviel Classen. Da giebt es Bauernfänger, die auf Landsknecht und Pharao reisen, in den feinsten Hôtels ihren Tempel aufschlagen und die eleganteste Vollblutgesellschaft um sich versammeln – und ausplündern. Ferner bestehen Associationen – ich weiß nicht, ob auf Actien, aber jedenfalls auf Schwindel gegründet –, deren Zweck ist, Waaren auf Credit zu entnehmen, um sie auf schleunige Weise an die „Ramscher“ oder „Meziekäufer“ zu verschleudern und darauf spurlos zu verduften.

Aus einer verwandten Gauneridee sind die Clubs der „Pfandverschieber“, der „Nepper“ und „Flederer“ entsprossen. Die Thätigkeit dieser Ehrenmänner besteht darin, als „heruntergekommene Familienväter“, „bedrängte Kaufleute“, „in plötzliche Verlegenheit gerathene höherstehende Beamte“ sich Darlehen zu verschaffen „gegen drei- und vierfache Sicherheit“, welche selbstverständlich in ganz werthlosen Gegenständen, als Weinen, Gemälden, unechten oder vergoldeten Geschmeiden und falschen Hypothekendocumenten besteht. Ihre Kunst äußert sich darin, diese Nichtse als Werthträger einzuschmuggeln.

Ich muß verzichten, die gesammte Bauernfängerei durch Aufzählung und Charakterisirung aller ihrer concreten Gestaltungen zu erschöpfen. Ich will mich vielmehr damit begnügen, zu den bereits geschilderten noch eine hinzuzufügen, die sich zwar äußerlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_426.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)