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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Eine neue Thalwindung, neue Wald- und Felspracht und ein viel engerer Kessel, rings düster abgeschlossen, in den der Himmel nur um so herrlicher hereinlacht. Aber vorwärts drängt es, denn es winkt über alle Wipfel herüber der höchste Schmuck des Thals. Je mehr wir um die Biegung herumkommen, desto herrlicher breitet es sich aus und da steigt es empor, Schritt um Schritt mächtiger, überwältigender – bis wir endlich vor der wundervollen Majestät des anderthalbtausend Fuß hohen Kirchenfelsen in Staunen und Andacht stehen bleiben. Ja, das ist ein Dom, den die Gottheit sich selbst in gothischem Lapidarstil aufgebaut. Kuppeln und Thurmzacken leuchten im Sonnengold, aber die Orgel liegt unten im Wasser: das steinerne Wehr, ein Felsenkamm, der sich quer über das Thal gelegt und die Schwarza zwingt, mit den schäumenden Wellen sich Orgelpfeifen in das Gestein zu wühlen und den Grundbaß zu brausen zu dem Rauschen und Flöten und Singen des Waldes.

Neben dem Kirchfelsen erhebt sich ein kleinerer, aber durch die Sage interessanter Koloß: der Adafelsen, denn hier oder auf der gegenüberliegenden Hünenkoppe soll eine Hünenfürstin gehaust und vor vielen tausend Jahren schon die schöne Aussicht genossen haben.

Imposanteres bietet das Thal nun nicht mehr bis zum Trippstein, obwohl wir noch sechs Thalwindungen vor uns haben. Das nächste Felsbild gewährt die hohe, zackenreiche Wand des „Fuchsstein“. Weiterhin erinnert uns der „Floßrechen“ daran, daß die Schwarza auch der Arbeit der Holzbeförderung dienstbar ist. Gleich dabei labt sich das Auge am köstlichen immer quellerfrischten Grün einer kleinen Wiese, die der dunkle Fichtenwald beschattet. Eine Einsiedelei aus rohen Baumstämmen ladet zur Ruhe ein. Aber wir suchen diese lieber in der sogenannten „Oppelei“, einem Wildwärterhäuschen im Schweizerstil, das uns nicht blos daran erinnert, daß wir uns längst in dem großen fürstlichen Wildpark von Schwarzburg befinden, sondern das uns auch mit Speise und kühlem Trank erfrischt, und zwar beim Rauschen eines lustig herabstürzenden Gießbachs. Von da an steigt das Thal, den „Kienberg“ zur Rechten, der Laubwald wird vorherrschend, die Wiesen dehnen sich aus, bis endlich links die Schwarzburg hellleuchtend von ihrem Fels herüberschaut.

Ehe man auf dem bald von den ehrwürdigsten Tannen überdachten Wege zum Schwarzburger Gasthof eilt, setzt man lieber der Wanderung die Krone auf durch die Besteigung des Trippstein. Diese sechshundert Fuß über dem Spiegel der Schwarza emporragende Felsklippe trägt einen einfachen Pavillon, aber jedes Fenster desselben bietet ein interessantes Bild, das seines Gleichen sucht. Man schwimmt hier in der reinsten Waldwonne. Und tief unten, die helle Perle im dunklen Kranz, thront die Schwarzburg mit ihren Zinnen, Thürmen und Dächern und um sie her die Hütten und Häuser der „Männer im Thale Schwarzburg“, wie seit alten Zeiten sich die Bewohner des Dorfes Schwarzburg nennen. Auf lieblich verschlungenen Parkwegen gelangt man zu all diesen Herrlichkeiten hinab.

Zum Schlosse Schwarzburg wie zum Greifenstein führt uns in der Gartenlaube wohl eine andere Gelegenheit. Das Eine ist aber hier dem Schwarzathal zum Preise noch nachzusagen: es verliert nicht beim Vergleich mit vielem später Gesehenen, und auf dem Gange zum Chrysopras zurück bleiben uns vor jedem der Naturbilder, die uns herwärts entzückt haben, die alten Gefühle treu. Sind wir aber aus den Wald- und Felswindungen wieder da angekommen, wo der Blick frei wird über das weite Thal und vor uns die fruchtbare Ebene bis zu der künftigen Saal-Eisenbahnstation Schwarza und in’s breite Rudolstädter Thal sich erstreckt, so eilen wir in den lieblichen Winkel, wo die Gesundheitspflege sich ein Asyl gegründet und gerechter Weise dazu den Schweizer Stil gewählt hat. Wir stehen vor der „Klimatischen Curanstalt“ des Medicinalraths Dr. J. Schwabe.

Diese schon durch ihre Lage und ihr geschmackvolles Aeußere außerordentlich anmuthende Curanstalt enthält zweiunddreißig Zimmer, die sämmtlich herrliche Aussicht haben. Sowohl klimatische Curgäste (die eigentlichen „Luftschnapper“) als auch an Rheumatismus, Blutarmuth, Nervosität etc. Leidende und Reconvalescenten beiderlei Geschlechts bilden das Contingent der Besucher. Die Hauptcurmittel sind hier gesunde und reichliche Kost, die herrliche milde Waldluft, Bäder aller Art in der zum Hause gehörigen Badeanstalt, Elektricität, Heilgymnastik etc. Besonders heilkräftig bewährten sich bisher gegen rheumatische Leiden Kiefernadelextract- und Dampfbäder. Ein heiteres geselliges Leben herrscht im Hause. Bei gutem Wetter lockt von selbst die reizende Umgebung zu gemeinschaftlichen Ausflügen, und auch bei schlechtem Wetter ist man nicht in Verlegenheit um Zeitvertreib; bei Musik, lebenden Bildern, Costüm-Kaffees und anderen geselligen Unterhaltungen in den geräumigen Salons trotzt man mit Vergnügen dem finstersten Himmel. Und so kommt’s, daß es den Gästen dieses Asyls wie den Schwärmern im Schwarzathale ergeht: Alle verlassen es ungern und denken beim Scheiden schon am liebsten an das Wiederkommen.

Leider soll der Chrysopras neuerdings von Berliner Gründern in Besitz genommen sein. Wenn auch dem alten Wirthshause etliche Renovation und gepflegtere Reinlichkeit nicht hätte schaden können, so war’s doch für den ehrlichen Berg- und Waldfreund sicherlich ein entsprechenderer Aufenthalt, als ihn künftig große, stattliche, überglänzende Räume mit Kellnern, deren Bartcotelettes und Haarölduft den besten Appetit schon von Weitem verderben, hier werden bieten können. Hoffen wir, daß der ernste schöne Wald so viel Einfluß auf den Geschmack der neuen Besitzer ausübt, daß ihre Speculation nicht gar zu ausschließlich dem Wohlgefallen einer „modernen“ Gesellschaft mit ihrer verkrüppelten Bildung huldigt.

H. v. C.




Das Wasser kommt.

Ein Bild aus der Ueberschwemmungsnoth Böhmens am 25. Mai 1872.

„Erzählt mir, Schwager, wie es kam!
Ich kann, selbst was ich sah, nicht glauben.
Hier stand ja, als ich Abschied nahm,
Das Haus der Mutter. Von den Lauben
Ward es umhegt der grünen Bäume,
Die oft des Daches weite Räume
Im Herbst mit süßer Frucht gefüllt.
Hier zog sich grüner Rasen nieder –
Ich weiß es ja, als wär’s noch heut’ –
Und alle Bilder kehren wieder
Aus glücklicher vergang’ner Zeit.
Dort lag, in Furchen abgeschichtet,
Der Hopfengarten. Gelb und grün,
An hundert Stangen aufgerichtet,
Sah man ihn schon von weitem blüh’n.
Wir sprangen hundertmal entlang
Die Gräben, galt’s, mit frohem Singen
Das grüne, duftige Gerank
Der Ernte fleißig heim zu bringen.
Schwager! Wohin ist Alles? Sprecht!
Die Mutter, Euer Weib und Kind,
Das Haus und Feld und Flur? O brecht
Das Herz mir nicht! Starrt nicht dem Wind
In’s Weite nach, in’s Oede, Leere!
Erzählt, ich bitt’ Euch!“
      Nun, so höre! –
Sonnabend war’s und vor Dreifaltigkeit.
Das Tagwerk war gethan, wir kehrten heim
Vom Feld, das üppig grünte weit und breit.
Das Frühjahr hat gefördert. Hoch im Keim
Trieb schon der Hopfen auf an seinen Stangen,
Das Futter stand und das Getreide dicht,
Die Bäume waren reich mit Frucht behangen,
Daß kaum ein Strahl durchdrang vom Sonnenlicht,
Das ganze Thal konnt’ eine Ernte hoffen,
Wie seit Jahrzehnten Keiner sie getroffen.
          
Ein Bauer, Schwager, hat sein ganzes Leben –
Wie du’s ja auch noch weißt vom Vater her –
An Feld und Flur, an Baum und Frucht gegeben,
Und ander’ Lieb und Hoffen wiegt nicht schwer.
Mein Leben war nun auch, wie Flur und Feld,
’s ging Alles gut, war dies nur gut bestellt.
          
So kam ich heim mit freudereichem Denken.
Die Kühe standen noch an ihren Tränken,
Die Tauben girrten noch im Hofe munter;
Von ihrer Alten sorgsamlich bewacht,
An fünfzig Küchelchen im Schwarm darunter,
Daß mir das Herz vor Lust im Leibe lacht.
Ich sah den Hof mir an und hätt’ vergessen,
Daß auch für mich schon längst war Zeit zum Essen,
Wär’ Mutter nicht zum Haus herausgetreten,
Und hört’ ich nicht mein Kind am Tische beten.
Da rief auch meine Frau, kaum grüßte ich
Die Mutter, zeigte ihr das lustige Getümmel,
Dann trat ich ein, mein Weib, mein Kindchen küßte ich – –
Allmächtiger da droben, Gott im Himmel,
Das Alles, Alles war zum letztenmal!
          
Ich weiß nicht, wie mir ward, als ich am Tisch
Nun bei den Meinen saß. Das Bier war frisch,
Das Essen kräftig, dennoch schmeckt’ es nicht.
Die Kehle schnürt’ sich in der Luft, der schwülen,
Ein dunkler Flor umtrübt’ das Augenlicht,
Und unablässig, um mein Blut zu kühlen,
Greif’ ich zum Glas und ruh’ im Trinken nicht.
          
Da lacht mein Weib und ruft noch scherzend aus,
Ich tränk’, als wollt’ ich heute Hof und Haus
In Einem Zug vertrinken. Mutter meint,
Das wär’ nun einmal so. Das Stangensetzen
Beim Hopfen sei wohl schwerer, als es scheint,
Ein tücht’ger Trunk muß da die Zunge netzen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_429.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)