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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

die Gypsbüste des gewaltigen Napoleon auf offener Straße zur Zielscheibe ihrer Wurfgeschosse machten, bewahrte sie nur ihre Jugend vor der härtesten Strafe.

Jener muthige Knabe war Joseph Ernst von Bandel, der spätere Schöpfer des Hermannsdenkmals auf der Grotenburg im Teutoburgerwalde. Er war der zweite Sohn des damaligen preußischen Regierungsdirectors Ritter von Bandel zu Ansbach, der nach der Abtretung Ansbachs an Baiern daselbst als Appellations-Gerichts-Director sein Leben beschloß. Bis zu seinem vierzehnten Lebensjahre blieb der kleine Bandel (geboren 17. Mai 1800) auf dem Gymnasium zu Ansbach, besuchte alsdann die höhere Realschule zu Nürnberg, welche damals unter Direction Heinrich von Schubert’s stand, und bezog 1816 die Akademie der bildenden Künste zu München, wo er unter die specielle Leitung C. von Vischer’s kam, des Erbauers des großen Münchener Hoftheaters.

Während der künstlerisch hochbegabte Knabe mit brennendem Eifer seinen Kunststudien folgte, vergaß er nicht mit hellem Enthusiasmus der sich vollziehenden Befreiung des deutschen Vaterlandes zu folgen. Selbst die Waffen zu tragen, erlaubte ihm seine zu große Jugend nicht, aber mit Wort und Griffel gab er schon damals Kunde von der Begeisterung, mit welcher ihn die nationalen Kriegsthaten erfüllten, und vorahnend träumte er von der dereinstigen hehren Größe des einigen großen Deutschland. Selbst in den Jahren des ärgsten Zerfalls der deutschen Staaten unter einander hat den Mann und Greis diese Hoffnung seiner Jugend nimmer verlassen. Gläubig harrte er des Moments, wo jener Traum sich verwirklichen werde, und Glaube und Hoffnung haben ihn nicht getäuscht. Das Jahr 1871 hat die Erfüllung gebracht, die Erfüllung, ehe noch das große Werk fertig war, das der Künstler seinem geliebten Vaterlande, seinem deutschen Volke als mächtigen Mahnruf hinstellen wollte: stark zu sein und einig, frei durch Einigkeit und Stärke, und so die erste und stolzeste Nation des Erdballs! –

Wer in den letzten anderthalb Jahren mit der Eisenbahn von Osten oder Süden in den Bahnhof zu Hannover einfuhr, sah unmittelbar vor der Einfahrt in demselben zur Rechten ein seltsames Gerüst sich erheben. Kraus und wirr strebten in einander geschobene Balken zu beträchtlicher Höhe empor, die Firsten der umliegenden großen Fabrikgebäude überragend. Gar Mancher hat nach Zweck und Bestimmung des seltsamen runden Baues gefragt, Wenige haben zutreffende Antworten erhalten, Niemand hat erfahren, daß dies Gerüst und eine vor mehr als einem halben Jahrhundert ertheilte Ohrfeige in inniger Beziehung zu einander stehen.

Der Schlag eines deutsch-französischen Söldners in das Gesicht eines Knaben war bestimmt, das ganze große künstlerische Schaffen eines Menschenlebens einer einzigen Idee zuzuwenden, einer Feuerseele die fast übermenschliche Kraft zu geben, unter einer Kette von Mißerfolgen und Täuschungen, unter gewaltigen Opfern von Arbeit und Geld ein ganzes reiches Leben der Verwirklichung eines Plans zu widmen, der die Wurzeln seiner Existenz in jener Ohrfeige hatte.

Das Gefühl der ihm, dem sechsjährigen Knaben, angethanen Schmach hat weder den Jüngling, noch den Mann, noch den Greis verlassen. Er wollte, daß nie wieder eines deutschen Knaben Wange von der Hand eines ausländischen Feindes entehrt werde, und deshalb wollte er durch ein gewaltiges Werk dem deutschen Volke die eigene Kraft vor Augen führen. Er wollte, wie er selbst in einer früher erschienenen Schrift sagt, „dem alle deutschen Herzen durchströmenden Freiheitsbewußtsein ein festes sichtbares Zeichen geben“ – er wollte „unser altes deutsches Schwert, das dem Feinde Schrecken und Verderben bringt, wieder aufpflanzen, damit es wieder und immer wieder am deutschen Himmel im herrlichen Glanze der Freiheit leuchte und sich als Haltepunkt unseres Seins bewähre, wenn es, von echt deutscher Faust erhoben, unsere Stämme in Treuinnigkeit um sich schaart“.

Der Jüngling half dem Meister Vischer in München als Architekt am Bau des Theaters unter Aufbietung seines ganzen Fleißes; er machte dann einen Cursus in der Malerei durch, um sich darauf gänzlich der Bildhauerkunst zuzuwenden, und pilgerte endlich wiederholt nach Italien – niemals aber, indem überall Entwürfe zu künstlerischen Werken des Meißels unter seiner Hand entstanden, verließ ihn die große Idee, dem deutschen Volke ein Denkmal seiner Macht, seiner Stärke zu geben.

Und als der Künstler sich zu voller Manneskraft gereift fühlte, als er das sechsunddreißigste Lebensjahr erreicht hatte, da warf er alles Andere von sich, um der Verwirklichung dieser einen großen Idee einzig und allein sein ganzes übriges Leben zu widmen. Bandel ging zunächst nach Berlin und fertigte dort ein Modell seiner Hermannsstatue an. Dann ging er nach Hannover, um einige Arbeiten, die ihm übertragen, auszuführen. Er nahm diese Aufträge hauptsächlich aus dem Grunde an, um dem Teutoburger Walde näher zu sein, diesem von ihm für sein Denkmal ausersehenen Standorte. Er durchwanderte das schöne Gebirge zu Fuß von einem Ende bis zum andern. Mühselig verschaffte er sich Blicke von allen Aussichtspunkten, und erkor endlich den tausendzweihundert Fuß hohen Gipfel des Teutberges, die sogenannte Grotenburg, zum Aufstellungsorte für seinen Hermann. Hier sollte sich der Unterbau für die Statue erheben, ein Zwanzigeck mit halbkreisförmiger Kuppel, auf ihr die Statue. „So stehe,“ sagt der Künstler selbst, „in jugendlicher Frische, im Siegesbewußtsein Hermann, das freie Schwert in kräftiger Faust hoch erhoben, zum gewaltigen Schlage bereit, das Sinnbild unserer ewig jungen Kraft, auf den Schild gestützt, die unter die Füße getretenen Zeichen des Sieges nicht achtend, hoch durch ein deutsches Bauwerk empor getragen über den Gipfel des schönsten Berges in der Mitte des Gaues, in dem Hermann’s gewaltige Schlachten geschlagen wurden, weit hinaus schauend in’s ‚freie Vaterland‘ und von weitester Ferne gesehen, ein Wegweiser zur Stätte unsers Ruhms und zur Erkenntniß unserer Macht und Herrlichkeit!“

Vom Jahre 1838 an begann dann diese wunderbare Odyssee von Ringen und Kämpfen, Erfolgen und Mißerfolgen, Gunst und Ungunst, welche wohl nur einmal in der Geschichte von einem Manne für die Verwirklichung einer ähnlichen Idee durchgemacht wurde. Dies Ringen und Kämpfen hat nun fast vierzig Jahre gedauert, und erst jetzt steht die endliche Vollendung des schönen Planes nahe bevor. Um den Unterbau auf der Grotenburg beginnen zu können, mußte Bandel erst den Platz säubern und zubereiten, einen Steinbruch entdecken, um das nöthige Baumaterial zu heben, die Wagen erfinden, um die Werkstücke transportiren zu können, die Gerüste construiren, welche den Bau thunlichst erleichterten, und schließlich sich selbst die nöthigen Arbeiter heranziehen und bilden, die für seine Zwecke und nach seinen Angaben arbeiten konnten. In Blockhäusern lebte er mit und unter seinen Arbeitern im Walde, auf dem Gipfel des Berges. Jede Entbehrung legte der willensstarke Mann sich auf, um zu seinem Ziele zu kommen, und am wenigsten bekümmerte es ihn, daß er sein Vermögen und mit diesem seine behaglichere Zukunft opferte. Zu Ende des Sommers 1846 endlich stand der fünfundneunzig Fuß hohe Unterbau zum Denkmal vollendet da und ragt, ein vielbesuchtes Reiseziel, hinaus in die Lande.

Wer, wie so mancher Reisende in den letzten Jahren, jenem obenbezeichneten wunderlichen Gerüste nachging, gelangte in einen ziemlich weiten, von kleinen, nicht gerade bequemen Werkstätten umgebenen Hof. In ihm, auf kuppelförmigem Rundbau, erhebt sich jenes Balkengewirr. Neben demselben liegen wunderliche, gewaltige Stücke der Rüstung eines Riesen. Es ist, als wäre eben einer jener gewaltigen Recken der nordischen Sage zu Hause angelangt und hätte sich seiner unbequemen Rüstungsstücke entledigt. Es sind die einzelnen in Kupfer getriebenen Theile der Hermannsfigur. Gerade aus winkt die offene Thür einer Werkstätte, und aus ihr tönt wuchtiger Hammerschlag. Dort ist die Arbeitsstätte des Künstlers. Wem es von den Besuchern just glückt, der begegnet sehr bald einem Manne von schlanken elastischen Formen, fast sechs Fuß groß, der raschen Schrittes dem Besucher entgegentritt. Neben ihm schreitet gemächlich ein schöner gewaltiger Leonberger, der Wächter der Stätte, während ein schönbehaarter, aber durch alterliche Fülle schwerfälliger Wachtelhund, eiligst watschelnd, vergeblich mit dem Herrn und Meister, dessen Liebling er ist, Schritt zu halten sucht. Es ist Meister Bandel selbst, der freilich ungern sich in seiner fleißigen Arbeit stören läßt, aber doch mit ungemeiner Freundlichkeit dem Fremden die Stätte seiner Arbeit und diese selbst, so weit es möglich ist, zeigt.

Bandel hat sich fast volle jugendliche Frische bewahrt, sein Wort klingt hell, seine Rede fließt frisch und energisch dahin. Das scharfgezeichnete künstlerisch schöne Profil ist vollständig umbuscht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_444.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)