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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

von einem ergrauenden röthlich-blonden Barte. Unter den gleichfarbigen buschigen Augenbrauen blitzen die graublauen Augen scharf und lebendig hervor. Das kahl werdende Haupt deckt ein Sammetmützchen. So ist die äußere Erscheinung des Meisters.

Der künstlerische Genosse und Freund desselben, der weitbekannte und vielgenannte Historien- und Portraitmaler Professor Oesterley, giebt auf der trefflichen nebenstehenden Zeichnung ein ungemein ähnliches Bild Bandel’s, sowie eine ebenso reizvoll lebendige als wahre Darstellung seiner Umgebung. Und wo der Griffel unseres berühmten Landsmannes spricht, darf unsere schwache Feder getrost ruhen. Wir wollen zu dem Bilde selbst nur noch bemerken, daß der Künstler Alles genau im Verhältniß gezeichnet hat, so daß man sich eine völlig zutreffende Vorstellung voll der Größe der einzelnen Stücke machen kann. Das sonderbare Ding oben in der Ecke der Werkstatt ist das Modell des kunstvoll ersonnenen schmiedeeisernen Gerüstes, welches in die Figur kommt und diese zu tragen bestimmt ist. Es mag dabei noch hervorgehoben werden, daß Bandel alle diese Gerüste etc. selbst erfand und ausführte, wie er denn ein anerkannt genialer Constructeur ist.

Augenblicklich wird die Figur vollständig in dem Hofe der Bandel’schen Werkstatt zu Hannover aufgestellt. Jedes Niet, jede Schraube muß sorgfältig geprüft und eingepaßt werden. In einigen Wochen wird sich die herrliche Figur in voller Pracht dem Beschauer hier darbieten, um alsdann auf ihren luftigen Bestimmungsort befördert zu werden. Im Sommer 1873 hofft der Künstler, wenn sich dem Werke nicht neue ungeahnte Schwierigkeiten entgegenstellen, die Aufstellung des neunzig Fuß hohen Standbildes aus getriebenem Kupfer vollenden zu können. Möge es ihm vergönnt sein! –

Soll ich dem Leser der Gartenlaube noch von den Geldmitteln erzählen, welche das Werk verlangte, und von der Art, wie sie zusammenkamen? Ich vermeide es lieber. Manches davon ist ja weit und breit bekannt und es ist keine der erfreulichsten Erscheinungen, daß vierzig Millionen Deutsche in vierzig Jahren nicht vierzigtausend Thaler zusammenzubringen vermochten, um sich ein so hehres Nationaldenkmal errichten zu lassen. Erst in den letzten Jahren, als sich in Hannover ein thatkräftiger Verein für das Denkmal bildete, als dieser an die frische deutsche Jugend appellirte, da flossen von Schulen und Lehranstalten die Mittel reichlicher. Unsere Knaben und Jünglinge würden, falls es nöthig gewesen wäre, bald ebensoviel gegeben haben, als alle deutschen Männer nebst allen ihren Kaisern, Königen, Herzögen und Durchlauchten. Nach den jüngsten großen Ereignissen hat sich auch bekanntlich unsere Reichsvertretung des Denkmals angenommen und eine namhafte Summe für die Fertigstellung desselben bewilligt. Auch des Kaisers Majestät gab einen bedeutenden Beitrag.

So steht denn der wackere Künstler vor dem Schlusse seiner großen Arbeit. Die Zeit mit ihren großen Ereignissen der letzten Jahre hat seine ursprüngliche Idee vor ihrer gänzlichen Verwirklichung überholt. Eines „Mahnzeichens zur Auferstehung“ bedarf unser Volk nicht mehr. Und wenn der edle Künstler uns kürzlich schrieb:

„Ich wollte mithelfen zum großen Werke deutscher Einigkeit. Des Allmächtigen Fügungen haben in Erfüllung gebracht, was ich als sicher kommend voraussah. Mein großes Volk braucht kein Mahnzeichen mehr. Die Arminsäule ist ein Ruhmesmal geworden. Deutsches Volk hält sein Schwert frei und ruhmumstrahlt, wie Armin vor bald neunzehnhundert Jahren, hoch in starker Faust zum Schrecken seiner Feinde und zum Friedensvertrauen seiner Freunde.

Gott erhalt’s so!“

– dann wollen wir herzlich mit ihm einstimmen. Mitgeholfen aber hat er auch, wie nur einer unserer besten Männer, zum großen Ziele. Möge es die Nation ihm nicht vergessen!




Blätter und Blüthen.


Der Locomotivführer. Eisenbahnunfälle sind zur stehenden Rubrik der politischen Zeitungen und Tagesblätter geworden. Man hat mannigfache Ursachen derselben angegeben, der Weichensteller, Bahnwärter etc. gedacht, während der Stellung, der Last, die auf dem Locomotivführer ruht, wenig gedacht worden ist. Und doch hängt von der Umsicht, Energie und Geistesgegenwart dieses Mannes zumeist die Sicherheit der Fahrt ab. Sobald er den Fuß auf seine Maschine setzt, darf er seines Weibes, seines Kindes nicht mehr gedenken, sein Leben darf keinen eignen Werth für ihn haben; mag es in Strömen regnen, der Himmel in Flammen stehen, der Donner rollen, der Schweiß von seiner Stirn tropfen, oder im Winter der Frost seine Hände erstarren machen, der Schnee ihn zu begraben drohen, er darf nicht zagen, er darf sich nicht eine Minute schonen wollen, er muß vorwärts, rechts und links auf die Bahn blicken, jedes Zeichens, jedes Umstands gewärtig. Und wenn dennoch ein Unglück geschehen, die Weichen falsch gestellt waren, der Nebel, der Schnee es unmöglich gemacht, zu erkennen, ob die Laterne ein weißes oder rothes Licht zeigt, er wird stets zuerst zur Rechenschaft gezogen, wenn anders er mit dem Leben davon gekommen. Es hat fast Niemand eine größere Verantwortung auf sich, als eben der Locomotivführer. Und welch ein Lohn wird demselben? Welch eine Stellung hat er? Welche Aussichten für die Zukunft gewährt sein Dienst?

Der junge Mann, der mir gegenüber sitzt, ein Führer der .... schen Bahn, lächelt bei diesen meinen Fragen gar eigenthümlich. Er streicht sich den Vollbart mit der markigen Hand und sagt: „Man hat einmal den Vorschlag gemacht, wir möchten bei jeder Fahrt einen oder den andern der Herren Actionäre mit auf die Maschine nehmen. Wenn ich nun Einzelnen der Herren es schon gönnte, so eine Winterfahrt im tollsten Schneetreiben mitzumachen, oder es zu erleben, wenn so in rabenschwarzer, finstrer Nacht plötzlich, gänzlich unerwartet Knallsignale auf den Schienen explodiren, anzeigend, daß hohe Gefahr vorhanden – die nächste Minute, falls anders der Zug nicht zum Stehen zu bringen ist, einen Zusammenstoß mit einem auf der Bahn liegenden, verunglückten, nicht sichtbaren Zuge bringen muß, wenn das Herz also, auch dem Muthigsten, für einen Augenblick still steht, so würde die Furcht, das Angstgeschrei der Geldmenschen nur Wirrniß und Verlegenheit für uns bereiten, und den Augenblick, der allein das Unglück zu hindern vermag, uns verabsäumen lassen. Eine genaue, tüchtige Kenntniß der Maschine wie des ganzen Bahnkörpers, verbunden mit geübter, praktischer Thätigkeit als Heizer und Führer, ist der beste Sicherheitscommissarius. Was wir zu leisten vermögen, haben wir in den Kriegsjahren und in manchem strengen Winter bewiesen! Das sollte man nicht vergessen! Mein festes Gehalt beträgt jährlich gegen dreihundert Thaler. Kleidung, Pelze, Mützen, Stiefel, Uhren liefert die Bahnverwaltung nicht. Wir haben dies Alles, was bei der ersten Anschaffung ein Capital von wenigstens hundert Thalern erfordert, gegen eine jährliche Entschädigung von einigen zwanzig Thalern selbst zu besorgen. Hat man nun das Glück, nicht Rangir- oder Reserveführer auf einem Bahnhofe zu sein, wo dann der Nebeneinnahmen fast keine sich vorfinden, so betragen die Nebenverdienste, als an Nacht- und Meilengeldern – jede Meile, die man fährt, wird nämlich vergütet – den Prämien für ersparte Kohlen oder Oel, vielleicht beinahe eben so viel, als das Gehalt, und wir würden uns begnügen und zufrieden sein, wenn anders wir nicht immer auf Reisen wären, also fast unausgesetzt ein Gasthofsleben führen müßten, das bekanntlich nicht das billigste ist. Sehen Sie, ich bin gegenwärtig wöchentlich vier Nächte nicht zu Hause; regelrecht zu Mittag oder Abend zu essen, wird mir selten, fast niemals zu Theil. Und wenn ich Abends müde und erschöpft, auch wohl durchgeweicht bis auf die Haut, auf meiner Endstation ankomme, finde ich ein höchst einfaches, ungemüthliches Zimmer mit einer harten Matratze als Nachtlager in demselben vor. Drei oder vier Führer und Heizer sind bereits anwesend oder kommen nach und nach. Ein Heizapparat an einer Gasflamme findet sich nirgends; ein Mittag- oder Abendbrod, das die Frau uns vielleicht mit auf die Maschine geben möchte, nützt uns nichts, wir haben keine Gelegenheit, es zu wärmen. Wir sind gezwungen, zum Speisehause zu gehen.

Die Herren Inspectoren, Directoren – und wie die Herren höheren Beamten alle bei der Bahn heißen – haben gar geräumige, elegante Wohnungen. Glauben Sie mir, wir Führer, Heizer etc., wir wären dankbar, wenn man uns, außer dem Schlafzimmer, noch ein anderes, etwas comfortables Zimmer zu gemeinsamem Aufenthalte einräumte. Fänden wir nun dort noch eine oder die andere Fachzeitung nebst einer kleinen gewählten Bibliothek vor, die anzuschaffen der Direction doch nicht schwer fallen kann, das Zimmer würde nicht unbenutzt und unbesetzt bleiben; wir blieben zu Hause, sparten an Geld und das wissenschaftliche Streben, die Fortbildung, würde in erhöhtem Maße Platz greifen. Glauben Sie mir, auch bei uns fehlt Unmuth und Verstimmung nicht. Man sollte dieselben bei Zeiten in bessere Bahnen zu lenken suchen. Bildung macht frei, aber sie veredelt auch Sitten und Anstand.

Und nun werfen Sie einen Blick in das Bureau, nach dem Bahnhof! Fragen Sie, was dieser oder jener junge Mann bislang gewesen, der bei wenig Dienststunden, die keine Gefahr und Verantwortung in sich schließen, voll Aussicht steter Verbesserung und Beförderung, ein höheres festes Gehalt bereits als wir bezieht, fest angestellt ist, während wir fast Alle auf vierwöchentliche Kündigung stehen, ob nicht Viele, Viele von uns sich zu gleichen Stellen qualificiren würden, ob die Züge nicht sicherer fahren würden, wenn völlig mit der Maschine und dem Fahren vertraute Männer, die den Dienst von unten auf erlernt, im Bureau und auf den Bahnhöfen ständen.

Glauben Sie nicht, daß ich mich und meine Collegen überschätze! Die Meisten von uns, abgesehen von den Prüfungen, die wir als Führer zu bestehen hatten, haben größere Reisen gemacht, haben als Monteure, als Zeichner und Ingenieure in Werkstätten gearbeitet, würden also gewiß eine Stellung ausfüllen, die jetzt Zimmergesellen, die ehedem vielleicht bei Maurermeistern oder Bauinspectoren im Bureau gearbeitet, oder Handlungsdiener etc. bekleiden, ohne im Uebrigen diesen Herren nahe treten zu wollen. Ich meine nur, die Bahnen und das Publicum würden besser fahren, wenn die Verwaltung sich ihre Beamten mehr heranbildete, wenn Beförderung,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_445.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)