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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wenn ein Weiterkommen nicht meist überall ausgeschlossen wäre. Meine Aussicht auf Beförderung reducirt sich auf Null. Ist Gott mir gnädig, daß ich kein Unglück habe, Versehen und Vergeßlichkeiten nicht vorkommen, so bleibe ich, was ich bin, bekomme vielleicht einen leichteren Zug, ein Weniges Zulage und preise mich glücklich, wenn ich bis an mein Ende fahren kann und nicht auf Pensionirung antragen muß, zumal dieselbe, wie Sie wohl denken können, auch nicht glänzend ist. Es ist und bleibt ein mühseliges, saures Brod. Wie schön wenigstens wäre es, unsere Bahnverwaltung hätte für uns Dienstwohnungen, Arbeiterhäuschen am Bahnhof entlang gebaut. Komme ich jetzt Nachts heim, im Winter erstarrt, daß ich oft kaum ein Glied noch zu rühren vermag, oder im Herbst vom Regen durchnäßt, muß ich fast eine halbe Stunde noch gehen, ehe ich Weib und Kind begrüßen kann. Wie wohl würde ich mich in einem Häuschen dicht an der Bahn fühlen, mit einem Gärtchen vor der Thür, einem Höfchen mit Federvieh! Und auch die Bahn würde sich nicht schlecht dabei stehen. Wir Führer wären stets zur Hand, während jetzt in Ausnahmefällen Boten über Boten zur Stadt gesendet werden müssen, um uns von dem Nothwendigen in Kenntniß zu setzen.

Mit Einem Worte: die Bahnverwaltung sollte sich bemühen, uns anhänglich und heimisch zu machen, sie sollte auf unsere Fortbildung bedacht sein und die Aussicht auf Verbesserung uns nicht ganz nehmen. Mit einem dickleibigen Codex ist es nicht allein gethan. Der Zwang thut viel, aber die Liebe thut Alles.

Doch Pardon! Meine Zeit ist abgelaufen. Mein Zug fährt erst am Spätabend; aber meine Maschine bedarf kleiner Reparaturen, und die habe ich selbst auszuführen; dafür bin ich gelernter Maschinenbauer. Daß ich darauf meine freie Zeit, meine Ruhezeit, zu verwenden habe, kommt nicht in Betracht. Eine kleine Versäumniß hier führt später oft großes Unglück herbei. Ade! Auf Wiedersehen!“

Und rasch, mit gewinnendem Anstande, verließ er den Platz. Am Abende sah ich ihn auf seiner Maschine stehen. Wie fest, wie sicher, wie ruhig stand er dort! Wie war sein Auge so klar, als er zum Bahnhofe hinausfuhr!

Waren die Forderungen, die Ansichten des Mannes unbillig? Wir glauben kaum. Möchten wenigstens einzelne seiner Wünsche in Erfüllung gehen! Nicht er allein, auch das Publicum und die Bahnverwaltungen würden dadurch gewinnen.




Das Reliquienkästlein des deutschen Reichs. Jüngst hat der deutsche Reichstag als jährliche Unterstützung für das „Germanische Museum“ in Nürnberg achtzehntausend Thaler bewilligt und damit seine Anerkennung für das patriotische Unternehmen, dem Andenken nationalen Culturlebens eine Stätte zu bereiten, und zwar mitten im Herzen Deutschlands und in einer Stadt, die wie keine andere sich dazu eignet, auf das Würdigste bethätigt. Um so weniger würdig muß uns das neueste Unternehmen erscheinen, mit welchem man in Nürnberg auf jene Anerkennung antwortet. Das längst Verkündete und Befürchtete ist nun empörende Thatsache geworden: man beginnt Nürnbergs Thore und Ringmauern niederzureißen!

So soll denn unsere ehrwürdigste deutsche und einst freie Reichsstadt, das „Reliquienkästlein des deutschen Reichs“ – so viel „Heiligthümer“, wie nach altem Sprachgebrauch die Benennung lautet, umschließen diese Mauern – sie soll aufhören das zu sein, aufhören lebendiges Zeugniß abzulegen von dem, was die Väter bauten, und ein Wallfahrtsort zu sein für Alle, die sich gern einmal zurückversetzen mögen in die Blüthezeit deutscher mittelalterlicher Kunst und Herrlichkeit, deren Erinnerungen wir jetzt noch in Nürnberg auf Schritt und Tritt begegnen. Denn die Reliquien und Heiligthümer, um die es sich hier handelt, sind keine sagenhaften Todtengebeine, es sind unsterbliche Kunstschöpfungen deutscher Meister, wie Albrecht Dürer, Adam Kraft, Veit Stoß, Peter Vischer etc., die herrlichen Kirchen, von frommen Baubrüderschaften in reinster Gothik erbaut, die noch stehenden Häuser der berühmten Geschlechter, die einst die freie Reichsstadt regierten, darunter Namen, die im Dienst der Wissenschaft sich unsterblich gemacht, wie Pirkheimer, Beheim, Scheurl etc., das herrliche Rathhaus, in dem die denkwürdigsten Reichstage gehalten wurden, die Veste, in welcher mancher deutsche Kaiser verkehrt, wo einst jene Burggrafen von Nürnberg wohnten, deren Sprößling jetzt die deutsche Kaiserkrone trägt, und wo Jahrhunderte lang der alte Krönungsornat als „Reichsheiligthum“ aufbewahrt worden ist. So ist eben ganz Nürnberg selbst sammt seinen Gassen und Gäßlein, seinen Brücken, Thoren und Wällen ein germanisches Museum, so ist es, einzig in seiner Art, ein treu bewahrtes, lebensvolles Denkmal aus dem Mittelalter wie keine andere Stadt im Reich!

Blutet uns das Herz, wenn eine Frevlerhand an irgend einem schönen Monument aus alter Zeit sich vergreift, es schädigt und entweiht – wie sollten wir ruhig zusehen, wenn man einer solchen Stadt ihren bisher treubewahrten Charakter raubt? Dazu gehörten aber vor Allem diese epheuumwachsenen hohen Mauern, diese grünen Gräben, diese mittelalterlichen Thürme, die zum Theil noch zu Meister Dürer’s Werken gehören, diese Brücken, von denen die eine nach der Ponte di Rialto in Venedig erbaut ist, indeß eine andere, der schmale Henkersteig, hunderte von Schauergeschichten erzählt, deren jede das malerischste Bild gewährt, diese Thore, die uns gleichsam darauf aufmerksam machen, daß es uns obliegt, die Stadt, in die sie uns führen, mit Ehrfurcht zu betreten! Ist Nürnberg erst eine offene, flach daliegende Stadt geworden, wie jede andere: dann werden auch seine inneren Denkmale und Alterthümer einen großen Theil ihres Werthes verlieren. Denn wodurch Nürnberg eben einen so eigenthümlichen Zauber ausübt, das ist die Harmonie, in der sich hier Alles befindet – sie ist zerstört, wenn die alterthümlichen Ringmauern verschwinden. Hat man auch hier wie anderwärts die Wälle ausgefüllt, breite Stadteingänge geschaffen, moderne Paläste statt der Wartthürme erbaut, dann werden die kleinen alterthümlichen Häuser mit ihren hölzernen Gängen etc. nur einen unsaubern Anblick gewähren und man wird eilen, auch sie zu vertilgen; dann werden schließlich die krummen, engen, schiefen Gassen keinen alterthümlichen, sondern nur einen altmodischen und kleinstädtischen Eindruck machen; dann wird man eilen müssen, auch hier durchzubrechen, zu nivelliren, zu erweitern, und wer weiß, steht dann nicht auch eines der festungsartigen Häuser der alten Patriziergeschlechter im Wege, stört nicht irgend ein zierliches Chörlein den modernen Geschmack, wird nicht endlich auch der „schöne Brunnen“ oder das „Gänsemännchen“ verruckt werden müssen, damit Raum sei für den modernen industriellen Verkehr – so unberechenbar sind die Consequenzen, zu denen das Neuerungsphilisterthum schließlich kommen wird, wenn es ihm wirklich gelingen sollte, jetzt zu siegen!

Natürlich stützt man sich bei diesem vandalischen Beginnen auf dem Anschein nach gewichtige Gründe. Man hält es für nothwendig, durch Abbruch der an sich ja allerdings jetzt überflüssigen Thore den Verkehr in der Stadt zu erleichtern, und nennt den Abbruch der Wälle eine Sanitätsmaßregel. Man beruft sich namentlich auf die einem viele Hände beschäftigenden Industriezweig unentbehrlichen Knochenniederlagen hinter den Wällen, deren schädliche Ausdünstung durch die hohen Mauern festgehalten werde. Wäre es aber nicht besser, diesen Niederlagen eine andere Stätte anzuweisen, als die alten Mauern niederzureißen?

Was endlich die Verkehrserleichterung betrifft, so steht ihr Nutzen schwerlich in richtigem Verhältniß zu dem der Stadt auf anderen Gebieten durch die unselige Maßregel zugefügten Schaden. Die Stadt hat längst jenseits ihrer Wälle, wo ja auch der Bahnhof liegt, ansehnliche Vorstädte erhalten. Dort reiht sich ja schon ein Fabrikschornstein – diese Wahrzeichen der Städteblüthe des neunzehnten Jahrhunderts – an den andern, dort stehen die modernen Villen der reichen Industriellen, dort entfaltet sich ein immer regeres Leben des Gewerbfleißes. Möge es so fortblühen und möge auch darin Nürnberg wie bisher einen so wohlthuenden Eindruck auf alle Besucher machen, daß es nicht verfällt und zurückgeht wie manche andere einst berühmte Reichsstadt, sondern daß es den culturfortschrittlichen Geist der Neuzeit zu vereinigen weiß mit der Erinnerung an die einstige reichsstädtische Blüthezeit! Möge rings um das alte Nürnberg ein neues immer größer wachsen und gedeihen, aber möge es das alte hüten als einen heiligen Schatz, den es von den Vätern überkommen, ein Erbgut, das zu ehren auch den spätesten Enkeln selbst die größte Ehre bringt!

L. O.




E. Werner in Berlin und Rom. Wie Berliner Blätter berichten, hat nach dem Vorgange der mehrmals dramatisirten Novelle „Ein Held der Feder“ von E. Werner nun auch die Erzählung „Am Altar“ desselben Verfassers unter großem Beifall bereits zwölf Mal die Bühne beschritten und zwar auf dem Belle-Alliance- und dem Vorstädtischen Theater in einer Bearbeitung von Karl Wexel.

Nicht weniger überraschend war für uns die Anzeige auf der Stirnseite einer in Rom erscheinenden Zeitung, „La Libertà, Gazetta del Popolo, giornale politico quotidiano“, vom 1. Juni, welche zu Deutsch also lautet:

Ankündigung. Heute beginnen wir im Feuilleton mit der Veröffentlichung einer neuen und höchst wichtigen Erzählung, entnommen dem Deutschen und betitelt ‚Am Altare‘. Die Verwickelung dieser Erzählung, die Verschiedenheit der fest ausgeprägten Charaktere, die wahrhaft ergreifenden Scenen, welche sich vor uns ereignen, werden die Lectüre derselben über Alles anziehend und reizend machen und ihr auch in Italien den außerordentlichen Erfolg verschaffen, den sie in Deutschland gehabt hat.“

Wirklich beginnt auch auf derselben ersten Seite unten, im „Appendice“ (Anhang) des Blattes der Abdruck der angekündigten italienischen Bearbeitung, aber nur mit der Ueberschrift: „Sull’ Altare. Racconto dell’ autore dell’ Eroe della penna“, also vom Verfasser des Helden der Feder – aber weder der Name des Verfassers noch des Fundortes, der Gartenlaube, ist irgendwo genannt. Ist es erst nöthig, die römische Collegin darauf aufmerksam zu machen, daß dies nicht in der Ordnung sei, ja, daß sie sich dadurch der Gefahr aussetze, daß man ihrem tolto dal Tedesco“entnommen dem Deutschen – die ebenso richtige Uebersetzung „entwendet“ unterschiebt? Wir bitten die Collegin am Tiberstrom, von dieser Unterlassungssünde sich schleunigst zu reinigen.

Schließlich bemerken wir nochmals, daß die Novelle „Ein Held der Feder“ in Gemeinschaft mit der ebenfalls aus der Gartenlaube bekannten „Hermann“ nunmehr unter dem Titel „Gartenlaubenblüthen“ in einer Buchausgabe erschienen ist.




Auch Marlitt’s „Haideprinzeßchen“ ging, wie uns aus Chemnitz geschrieben wird, daselbst am 16. Juni in Form eines dreiactigen Charakterbildes nebst Vorspiel über die Bühne. Das von Adolph Oppenheim verfaßte Stück wird aber als eine arge Verstümmelung der reizenden Novelle bezeichnet. Wann werden endlich einmal solche ungeschickte Dramatisirungen, welche die Novellenliteratur berauben, ohne die Bühne zu bereichern, ein Ende nehmen?




Kleiner Briefkasten.


Ida K. in Fhdrf. in Mecklenburg. Um die von Ihnen gestellte Frage zu beantworten, vernothwendigt sich zuvor die Angabe Ihres Namens und Ihrer vollen Adresse. Hier in Leipzig lebt für die in Ihrem Falle in Frage kommende Species ein Arzt von bedeutendem Rufe, dessen Adresse ich Ihnen später mittheilen werde.




Exemplare des ersten und zweiten Quartals unserer Zeitschrift mit der vielbesprochenen Erzählung
„Am Altar“ von E. Werner

sind noch durch alle Buchhandlungen und Postämter zu beziehen. Dies als Antwort auf vielfache Nachfragen.

Die Verlagshandlung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_446.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2016)