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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 28.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Diamanten der Großmutter.


Von Levin Schücking.


(Fortsetzung.)


Unterdeß hatte Gaston, als er von seinem Gaste gegangen war, leise den Schlüssel im Schlosse der Thür umgedreht, auch den schmalen Riegel unter demselben vorgeschoben; dann war er in den langen Gang hastig hineingeschritten, um doch am Ende desselben plötzlich stehen zu bleiben, die Hand wie unwillkürlich auf seinen Kinnbart zu legen und mit gefurchter Stirn starr den Boden anzuschauen. War an der Steinplatte, an dieser schwarzen Raute, vor der sein Fuß angehalten, etwas, das ihn so plötzlich hemmte, das ihn zurückschreckte, sie zu überschreiten? Sie war wie die andern schwarzen und weißen glänzenden Platten, die sein Fuß trat. Er sah sie ja auch nicht einmal; er sah nichts, was ihn hemmte; sein Entschluß stand fest; nur daß es zwei Wege gab, diesen Entschluß auszuführen, war es, was ihn stille stehen, was ihn grübeln und berechnen ließ. Der eine Weg führte von Schloß Givres links ab und war der bedeutend kürzere; er führte zu dem Eisenhammer, zu den kleinen Wohnungen der Arbeiter ringsumher; wenn Gaston zu ihnen sandte, so waren sie bald zusammengerufen, bald in Givres, der Deutsche war bald überfallen und aufgehoben von einer Rotte wüster Gesellen, und was dann mit ihm geschah, wo er blieb, wie er endete, das mochte Gott wissen – es ließ sich nicht vorhersehen und nicht berechnen! Der andere führte nach Neufchateau und war der längere; es mußten Stunden vergehen, bis es gelungen war, einen Trupp der dort sich bildenden Franctireurs herbeizuschaffen; aber es war eine halbe Organisation, ein Ansatz zu Subordination unter diesen Leuten; Gaston hatte eine Officierstelle unter ihnen; er würde die Sache lenken und leiten können; er hielt seine Hände reiner, sein Gewissen freier, wenn der Mann, den er als Gast in sein Haus geführt, als Kriegsgefangener behandelt und dann von Schloß Givres möglichst weit in den Süden, nach Algier, nach irgend einem Orte, von woher er nicht zurückkehrte, transportirt wurde. Es ist nun einmal ein großer Unterschied, ob ein Verbrechen, dessen Schuld wir tragen, vor unsern Augen begangen wird, oder weitab, jenseits von Bergen und Strömen. Gaston war kein Mensch, der vor Mitteln zurückbebte, wenn er leidenschaftlich wollte … Dieser Deutsche, das stand in ihm fest, mußte verschwinden … aber wenn ein directer Mord, eine zum Tode führende Mißhandlung vermieden werden konnte, so war es besser; es war, wie die Dinge jetzt standen, ja besser auch, daß der Anschlag auf die Ferme des Auges mißglückt war. Dieser Anschlag hatte freilich einen Vorzug gehabt. Wäre er geglückt, so hätte man später den preußischen Untersuchungen der Sache gegenüber keine Verantwortlichkeit gehabt. Was konnte d’Avelon dafür, wenn eine wilde Bande sein Haus überfiel … Gaston selbst wollte ja die Rolle eines Abmahnenden, Hindernden, Beschützenden spielen … die Eisenarbeiter hätten sich Verfolgungen leicht durch Unsichtbarwerden entziehen können. Was aber von Franctireurs auf Schloß Givres verübt wurde, konnte das nicht ihn, den Eigenthümer von Givres, der diesem Corps angehörte, bloßstellen? Aber Gaston beruhigte sich. Es konnte ja Alles vollständig verhüllt und unbekannt bleiben. Niemand konnte ahnen, Niemand nur daran denken, daß der deutsche Officier in dieser Nacht sich nach Schloß Givres begeben; er war vor dem Ueberfall der Ferme durch die Arbeiter entflohen, hatte sich verirrt, war verschwunden und nicht heimgekehrt zu seiner Truppe, wie so viele Andere auch in diesem mörderischen Kriege – wer konnte verantwortlich für ihn gemacht werden?

Gaston war bald entschlossen. Er eilte weiter, eilte zur Haupttreppe im mittleren Theil des Gebäudes, und auf dieser nach unten. Dann verlor er sich durch eine Thür, die aus der Eingangshalle in den hintern Hof, zu den Stallungen führte.




9.


Max Daveland war von seiner Ermüdung überwältigt eingeschlafen. Der Körper verlangte Ruhe, aber seine innere Erregung war so groß, daß sein Schlaf nur eine Art Taumel war, ein Gehetztwerden von einer nicht abreißenden Folge wirrster, beängstigendster und widerwärtigster Traumbilder. Er befand sich inmitten wilder Kampfscenen, rang gegen Verfolger, verlor Valentine, die er vor dem Sturz in grausige Abgründe zu schützen hatte, in endlosen dunklen Höhlengängen, aus denen ihr Hülfeschrei tönte; er träumte und behielt doch das Bewußtsein, daß er eine Beute der tollen und häßlichen Gesichte, die ihn bedrängten, war. Er fuhr endlich auf und beschloß, sich diesem Zustande, den man unter der Einwirkung von großer Ermüdung und großer geistiger Erregung kennen lernt, und der unerträglich werden kann, zu entziehen; sich aufrecht setzend, gab er sich seinen Gedanken hin, die zu dem zurückkehrten, was ihm Gaston von Ribeaupierre über Valentinens unnütze Sorge und Furcht gesagt, durch welche sie angetrieben worden, ihn in der Höhle der Jungfrau zu bergen. Je unnützer, je chimärischer diese Sorge gewesen, desto mehr lag darin für Max

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_447.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)