Seite:Die Gartenlaube (1872) 449.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Glück, daß er aus seinem Bereiche war, und hastete vorwärts, um die Ferme zu erreichen.

Er hatte die Chaussee, welche nach dieser führen mußte, bald gefunden. Es galt nur, einen schmalen Graben zu überspringen, der den Parkbezirk von der Böschung der Straße trennte. Dann schritt er rasch auf dieser weiter. Je mehr er sich der Ferme näherte, desto mehr vertiefte die Straße sich in einen schluchtähnlichen Paß, einen bergaufführenden Hohlweg. Endlich kam Max an eine Stelle, wo sich nach rechts hin eine schmälere Schlucht abzweigte. Er glaubte diese Stelle wiederzuerkennen; wenn ihn nicht Alles täuschte, mußte es die sein, wo er in der Nacht aus der engen Bergschlucht von der Höhle der Jungfrau her auf die Chaussee gekommen war, um dann bald auf Gaston zu stoßen. Max hielt seinen Schritt an. War es nicht besser, diesen Weg wieder einzuschlagen? Valentine hatte ihm versprochen, ihn dort aus der Höhle zu befreien, ihn abzuholen. War es nicht möglich, daß er sie jetzt gerade – der Tag war ja längst da – dort antraf? Die Hoffnung, sie dort zu finden sie dort allein und ungestört sprechen zu können, ihr Alles rückhaltslos sagen zu können, was seine Brust erfüllte – dann allein um ihr den Rückweg gehen zu können, war zu verlockend. Und es war ja am Ende auch klüger, vorsichtiger, diesen Weg zu nehmen und, falls er Valentine auch nicht traf, dann über den Höhenrücken den einsamen Fußpfad durch das Gehölz bis zu der Ferme zu verfolgen, den sie ihn in der Nacht geführt hatte und den er jetzt bei Tageslicht leicht mußte wiederfinden können – wenn es Gaston am Ende einfallen sollte, ihn mit seinen Dienstleuten zu verfolgen, so würde er ihn auf der geraden Chaussee suchen – sie zu verlassen um des freilich weiteren Nebenweges willen, war räthlicher.

So war Maxens Entschluß bald gefaßt. Er vertiefte sich in das Seitenthal und verfolgte es, in eine immer engere Schlucht gerathend und nun doch ein wenig unsicher, ob er den richtigen Weg genommen. Bei einer letzten Wendung um einen Felsvorsprung jedoch gewahrte er zu seiner Beruhigung, nicht mehr fern vor sich, das Ende der Schlucht und die schmale Oeffnung in den Steinklippen, welche den Eingang zu seiner Höhle bezeichnete … die Jungfrau, die er zu erblicken gehofft, war freilich nicht da. Er mußte sich in die Thatsache finden, sie ward nicht anders dadurch, daß Max, den letzten Hoffnungsschimmer festhaltend, zur Höhle emporstieg. Auch von der steilen Höhe links kam sie nicht niedergestiegen auf dem schwierigen Pfade, den Max sehr bald ausfindig gemacht hatte; die abgeschiedene düstere Bergschlucht blieb so öde und einsam, wie er sie gefunden, trotz seines Harrens und Rastens auf einer Felskante am Ufer des Bachs, der durch die Tiefe dahinrieselte – es war ja auch so thöricht, es zu erwarten, daß sie noch einmal den beschwerlichen Gang durch nasses Gebüsch über den steilen Bergrücken machen sollte! In ihrer Erregung, in ihrer Angst hatte sie in der Nacht sich dazu hinreißen lassen. Die Erregung aber war nun vorüber, und wie hätte sie ihm jetzt hier allein entgegentreten können – mit dem für sie ein wenig beschämenden Geständniß, daß ihre Sorge, ihre Angst um ihn eine ganz gegenstandslose gewesen – wie hätte sie einer Scene entgegengehen können, in der sie jetzt doch nur Worte und Erklärungen voraussehen konnte, denen ein junges Mädchen doch nicht – entgegengeht!

Max gab seine Hoffnung auf und beschloß weiter zu schreiten, und doch beharrte er in seiner Ruhe und seinen Träumen auf dem Felsblocke, auf dem er saß – und nicht Träumen allein – es gab doch auch so viel zu denken, zu überlegen! Es war doch mit Valentinens Neigung, wenn auch Alles gewonnen, nicht Alles glatt und friedlich geebnet. Welche Aufnahme würde seine Werbung bei d’Avelon finden? Und wie würde er sich zu Gaston stellen, wenn dieser wieder in der Ferme erschien? – Und würde es auf die Dauer möglich sein, wenn er um Valentine warb, zu verbergen, wie nahe er Vater und Tochter stehe, und Jenem eine so tiefe Demüthigung, wie darin für d’Avelon liegen mußte, und sich selbst die peinigende Rolle, die er alsdann auf der Ferme spielte, zu ersparen?

Alles Das waren Fragen bedrängender Natur, nur zu sehr danach angethan, um ihn sinnen und grübeln zu lassen. Wie zu stillem, ungestörtem Träumen und Denken hatte ja die Natur selbst diesen Ort geschaffen, und nicht weniger dazu geschaffen war diese Stunde des frühen Morgens mit ihrer feuchten Luft, ihren leise aus den Gründen aufsteigenden Nebelschleiern – es schien einer jener Tage werden zu wollen, die wie zum Träumen bestimmt sind, wo man vergißt, ob es Morgen, Mittag oder Abend ist, und am meisten Das, was an Thätigkeit, Pflichterfüllung und Arbeit die Morgen- oder Abendstunden von uns verlangen – wo man das Leben fühlt als ein kampf- und müheloses Gebilde innerer Gesichte.




10.


Unterdeß hatte aber, während Max so in Träumen verloren müßig auf einer Felskante in der engen Bergschlucht saß, längst den Befehlshaber der kleinen Truppe in Void die Schreckensmeldung von dem völligen und räthselhaften Verschwinden des Lieutenant Daveland erreicht. Der Hauptmann von Sontheim war wie elektrisirt bei dieser Nachricht, die zwei bis an sein Nachtlager vormarschirte Landwehrmänner mit thaufeuchtem Bart ihm gebracht, in die Höhe gefahren – hatte, während er sich in die Kleider warf, rasch mehrere Befehle gegeben und war nach unglaublich kurzer Zeit, begleitet von dem Lieutenant Merwig, nach der Ferme hinausgesprengt – zu Fuße folgte ihm nach seiner Anordnung Hartig mit einem Zuge der Compagnie.

Als Sontheim auf dem Hofe der Ferme hielt, ließ er sich zuerst von dem ihm entgegenkommenden Unterofficier Bericht erstatten. Der ehrliche Thonwaarenfabrikant war herzlich froh, durch die Ankunft seines Chefs seiner weiteren Verantwortlichkeit überhoben zu sein.

„Ich habe, glaub’ ich, die richtigen Maßregeln ergriffen, Herr Hauptmann,“ sagte er, „ich konnte, denk’ ich, nichts anderes thun, als den Leuten vorläufig Arrest anzukündigen?“

„Gewiß haben Sie das Richtige gethan, Sattler,“ rief der Hauptmann aus, „es wäre ein schweres Gericht über Sie ergangen, wenn Sie es unterlassen hätten – es muß uns Alles daran gelegen sein, diese Menschen in Händen zu haben und ein Beispiel an ihnen statuiren zu können. Zeigen Sie mir das Fenster, woran Sie die Spuren gefunden, daß man an ihm hinauf geklettert ist.“

Der Unterofficier führte den Hauptmann hin; dieser sprang von seinem Pferde und gab seinem Untergebenen die Zügel. Sontheim hatte sich von der Richtigkeit der Angaben des letzteren überzeugt und sprach: „Es ist klar, man hat ihn überfallen und fortgeschleppt; dieser unpraktische Hartig, der vorgestern mit dem Lieutenant von Daveland hier war, hat ganz recht gehabt, wenn er sagte, man wolle den unglücklichen Menschen hier beschwindeln und in eine Falle locken … aber wer konnte an solch eine vermaledeite Tücke glauben!“

„Es ist eine Geschichte, über die sich Einem vor Wuth und Schmerz das Herz im Leibe umdreht!“ rief Merwig zornig aus. „Man sollte Alles füsiliren lassen, was auf dem Hofe ist …“

„Es wird doch wohl in Commercy abgeurtheilt werden, was mit den Leuten hier geschehen soll?“ wagte der Unterofficier, zu Sontheim aufblickend, zu fragen; „wenn sofort nach Kriegsrecht verfahren würde und unserer Compagnie dabei die Execution zufiele, so …“

„Was wollen Sie sagen, Sattler?“ fuhr der Hauptmann von Sontheim den friedlichen Topffabrikanten in einer Weise an, die nicht geeignet war, ihn sehr beredsam zu machen.

„Nun … ich meine nur,“ versetzte er verdrossen; „wenn es sein muß und befohlen wird, nun ja, so ist’s eben befohlen! Aber man sieht doch lieber, wenn’s Anderen befohlen wird und man seinen Flintenlauf davon rein hält!“

„Sie thun am besten, Sattler, wenn Sie sich darüber keine vorwitzigen Gedanken machen und es abwarten. Zeigen Sie mir jetzt, wo Ihre Arrestanten sind, und gehen dann zurück, um die Mannschaft, die aus Void kommt, zu erwarten; sobald sie da ist, wird der ganze Hof umstellt und darauf werden mir sofort, sobald ich Ihnen den Befehl zukommen lasse, alle Bewohner, alles Gesinde einzeln vorgeführt, daß ich sie vernehme.“

„Zu Befehl, Herr Hauptmann!“

Sontheim betrat, von seinem Untergebenen zurechtgewiesen, bald darauf mit Merwig den Salon. Herr d’Avelon trat ihm ernst und würdig entgegen, während die beiden Damen die entfernt von einander, Ellen in einer Causeuse, Valentine in einer Fensternische, saßen, nur schweigend und ohne sich zu erheben

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_449.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)