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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Todestag der Kinder. Dies waren die jüngsten Bewohner der Katakomben. Welcher Grund wohl zu dieser sonderbaren Beerdigung geführt hatte?

Von dieser Stelle aus durchschritten wir unter dem Thore, wo heute das Friedrichs-Denkmal steht, mehrere Gänge, die aber keinerlei Interesse boten, und standen am Ende unserer Wanderung. Nach einem einstündigen Aufenthalte hatten wir Alles gesehen, was die Katakomben Denkwürdiges bieten. Wir athmeten leichter, als hinter uns sich das Gitter der Eingangsthür schloß, auf der die gut christliche, aber hier nicht in Erfüllung gegangene Inschrift steht: „Gott, gieb ihnen die ewig’ Ruh’, und das ewige Licht leuchte ihnen!“

K. W.




Fingerzeige für Bergreisende.


Wenn jener zartfühlende Seneschall in Boieldieu’s Oper „Johann von Paris“ verurtheilt gewesen wäre, seine Fahrt in einem vollgestopften Eisenbahn-Waggon oder in einem baierischen Stellwagen zurückzulegen, dann hätte er gewiß nie gesungen: Ha, welche Lust gewährt das Reisen! Seitdem die Dampfkraft das Massenreisen zur Mode gemacht hat, ist ein großer Theil, namentlich der idyllischen Annehmlich- und Liebenswürdigkeiten des Besuchs moderner Land- und Völkerschaften verschwunden auf Nimmerwiederkehr. Das erfuhr ich so recht, als die Sehnsucht nach der Reise-Zwangspause von 1870 mich 1871 wieder nach Tirol zog. Die Eisenbahnfahrt durch Baiern mit seinen bierfreundlichen Conducteuren bis zu der Reisewüstenoase der Starnbergerseefahrt und darnach die Stellwagenmarter in’s Gebirg werde ich selbst meinem ärgsten Feinde niemals zu gönnen wagen. Der Stellwagen übertraf wirklich Alles. Ich mußte in der That bei dem sehr nahe liegenden Vergleiche meines gequetschten Daseins mit dem Schicksale der Heringe in ihrer Tonne unbedingt den letzteren den Vorzug geben, denn die Heringe sind einmal flacheren Körperbaues und dann bietet überhaupt ihre Leibesbeschaffenheit keinen zu großen Unterschied im Allgemeinen dar. Nun hatte mir aber das Mißgeschick im Stellwagen zwei sehr, sehr Dicke zu Nachbarn gegeben, und ich dankte meinem Schöpfer in erster und dem Kutscher in zweiter Linie, als nach vierstündigem Rumpeln in Murnau angehalten und Mittag gemacht wurde.

Murnau ist ein überaus reinliches und freundliches Städtchen in reizender Lage. Die Alpen und Schneeberge rücken immer näher und gern hätte ich noch länger im Anschauen der herrlichen Natur geschwelgt, aber da steckte auch schon der Kutscher wieder nach genommener Mahlzeit seinen silbernen Löffel als Schmuck in die landesübliche kleine Seitentasche seiner prallen Lederhose und trieb die Passagiere zum Einsteigen an. Immer großartiger wird die Landschaft, durch die unser Weg führt, aber leider ist der Naturgenuß auf solch einer Fahrt nichts weniger als ungetrübt.

Nach einigen Stunden complicirter Stellwagenleiden Ankunft in Partenkirchen. Das Martervehikel hält vor der Post und Alles steigt so rasch als möglich zum Wagen hinaus, um sich in der von allen Reiseschriftstellern hochgepriesenen „Post“ ein Unterkommen zu sichern. Der dicke Herr Postmeister versichert jedoch Allen voll mitleidiger Seelenruhe, daß längst alle Zimmer „besetzt“ und überdies auf wer weiß wie lange noch vorausbestellt sind.

Der körperlich wie geistig gedrückte Zustand meiner Stellwagenleidensgefährten wurde dadurch nicht gemildert. Glücklicherweise fanden wir nach langem Umherlaufen und Suchen aber doch noch Alle Unterkommen in einigen anderen Gasthäusern und Privatwohnungen.

Die Umgegend von Partenkirchen gewährt großen Reiz und reiche Abwechslung für jeden Naturfreund. Die prächtigen Ausflüge, der herrliche Blick auf die nahen Eisberge, unter denen die mächtige Zugspitze vor allem unser Interesse immer wieder fesselt, machen Partenkirchen zu einem der lohnendsten Aufenthaltspunkte, wenn der Ort nicht eben von Fremden, wie so oft, bis hinauf zu den Schornsteinen überfüllt ist.

Hierzu hatte im vorigen Sommer nun freilich das Passionsspiel im nicht zu fernen Oberammergau hauptsächlich Veranlassung gegeben. Man wußte, daß in Oberammergau gute Quartiere nicht häufig waren, und Viele wählten deshalb Partenkirchen als Standquartier. Leider aber verfielen immer gleichzeitig zu Viele auf diesen gescheidten Plan, und so kam es, daß an den Tagen vor oder nach dem Passionsspiele die Wohnungsnoth in Partenkirchen kaum geringer war als in Oberammergau selbst.

Auch ich fuhr an einem langentbehrten wundervollen Sonntagsmorgen im offenen Poststellwagen hinüber nach Oberammergau, um des Abends in strömendem Regen durchnäßt und – ernüchtert zurückzukehren. Aber nicht der Umschlag des Wetters allein hatte mich so verstimmt; ich war – wie man dies von einem verdrießlichen Vergnügungsreisenden nicht anders erwarten wird – nicht so befriedigt, als ich es nach den enthusiastischen Lobeserhebungen von so vielen Seiten hätte sein müssen. Abgesehen von der oft erstaunlichen Kunst und Abrundung der Darstellung war mir bei all meiner Freisinnigkeit ein großer Theil des Ganzen doch mehr wie eine Herabwürdigung oder Caricatur des Erhabensten, was uns die Bibel erzählt und lehrt, vorgekommen. Auf dem nassen Heimwege hatte ich andern mehr begeisterten Theilnehmern gegenüber offen mein Urtheil ausgesprochen und war dadurch in Auseinandersetzungen gerathen, die mich wenigstens warm genug machten, um den kalten Regengüssen geringere Empfindlichkeit entgegen zu bringen.

Als ich am Abend desselben Tages im Gasthofe zum „Stern“ in Partenkirchen einige schlichte einheimische Sänger und Citherspieler hörte und den beliebten Schuhblatt’ltanz ausführen sah, mußte ich mir wohl sagen, daß diese ungekünstelten Productionen den Leuten viel besser zu Herz und Gesicht standen als die einem früheren, glücklich überwundenen Zeitalter angehörigen Darstellungen biblischer Begebenheiten.

Der nächste Morgen war wieder trübe und unfreundlich. Die Straße vor der Post in Partenkirchen zeigte aber trotzdem ein reges Leben, denn wie immer am Tage nach dem Passionsspiele kehrten Viele dem freundlichen Orte den Rücken, um bald durch eine womöglich noch größere Anzahl Touristen wieder ersetzt zu werden. Auch ich hatte mein Bündel geschnürt und schritt hinüber nach der Post, um mir einen Einspänner nach Lermos zu miethen. Eine solche Fuhre sollte nach „Bädecker“ vier Gulden kosten, doch war dies trotz der neuesten Auflage des Reisehandbuches jetzt schon ein völlig überwundener Standpunkt und man mußte sich eines besonderen Glückes erfreuen, wenn man jetzt eine solche Fahrgelegenheit um fünf Gulden erhielt.

Diesen letzten Preis hatte kürzlich der Postmeister von einem Engländer gefordert, der so viel Deutsch verstand, um nach Bädecker reisen zu können. „Fünf Florins –“ hatte der ökonomische Britte erstaunt gefragt – „hier in dies Buk stehen nur vier Florins; ich uerde zahlen nicht mehr!“ Als der gute Mann trotz aller Gegenreden durchaus auf seinem Kopfe und Buche bestehen wollte, sagte endlich der Postmeister ganz ruhig: „Na, wenn’s durchaus blos vier Gulden zahlen wollen, so lassen’s Ihnen doch vom Herrn Bädecker nach Lermos hinüber fahren!“

Obgleich ich mich nun wohlweislich nicht auf Bädecker berief, erhielt ich dennoch gar keinen Einspänner mehr in der Post, denn andere besser situirte Weltbürger hatten heute bereits vor mir in so großer Anzahl zwei- und vierspännig das Weite gesucht, daß gar kein Pferd mehr für meine einspännigen Ansprüche vorhanden war. Ich mußte also froh sein, als ich endlich noch ein schlechteres Privatfuhrwerk um – sechs Gulden erhielt.

Das Wetter war noch unfreundlich und die herrlichen Berge hatten sich dicht in langweilige Regenwolken eingehüllt. Die Reize der Landschaft zu beiden Seiten des Weges blieben mir verborgen und ich konnte meine Betrachtungen deshalb mehr dem inneren Menschen zuwenden. Hauptsächlich nahm der Magen jetzt meinen Gedankengang in Anspruch und ich freute mich schon im Voraus königlich, in Lermos endlich einmal doch gewiß Forellen zu finden. In Partenkirchen hatte ich nicht zu diesem Genuß kommen können, denn als prädestinirtem Pechvogel geschah es mir dort stets, daß eben die letzte Portion der köstlichen Fische für irgend eine langweilige englische Familie bestellt war, wenn ich mich meldete.

In Lermos angelangt, galt daher meine erste Frage noch aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_453.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)