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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Gebäuden. Hier ist unser durchaus sachkundiger und gefälliger Führer der Herr Controleur, Revisor Löhlefink.

Im Rohrhammer dieser Fabrik kommen zu Militärgewehren nur noch Stahlrohre in Anwendung. Das Material, Rundstahl, neuerlich auch Quadratstahl, wird aus Westphalen bezogen. Rundstahl hat bereits die geringste zulässige Stärke. Der Hammerschmied giebt zunächst einem Ende des Stabes Feuer und staucht dies dann auf einer eisernen Platte vor dem Herd, damit es sich zum „Pulversack“ verstärkt. Hierauf macht er das ganze Rohr glühend, läßt es im „Hammerschlag“ abkühlen und liefert es dann an die Bohrmühle. Vierkantige Stäbe dagegen müssen erst unter dem Rohrhammer rundgeschmiedet werden, wobei sie sich zugleich strecken, ehe mit ihnen, wie angegeben, verfahren werden kann. Diese immer noch uneigentlich Rohre oder Läufe genannten Stahlstäbe machen drei Bohrungen durch: die erste Bohrung, die Rauhbohrung und die Glattbohrung. Bei der ersten Bohrung hat der Bohrer die Gestalt eines schräg abgeschnittenen Meißels.

Die glatt gebohrten Läufe werden äußerlich abgedreht, der Pulversack achtkantig gefraist, weshalb er von da ab „Achtkant“ heißt, und dann „gekolbt, innen geschmirgelt. Alle Militärläufe sind jetzt gezogene. Das Ziehen derselben geschieht nicht mehr aus freier Hand, sondern auf Ziehmaschinen. Der Rohrzieher setzt zwei Rohre in die Maschine ein, eins vor das andere, so daß sie genau in derselben Längenachse liegen. Die runden Ziehkolben (Ziehstangen) werden durch die Rohre gesteckt und führen an jedem Ende das kleine Werkzeug, den „Zahn“ oder „Haken“. Die Ziehkolben gehen langsam durch die Rohre hin und wieder zurück, wobei sie je nach dem bestimmten Drall sich drehen, wirken aber nicht gleichzeitig, vielmehr schneidet auf einem „Marsche“ nur ein Zahn, während der andere Zahn einen „todten Marsch“ macht und erst auf dem Rückgange zieht, so daß in der That auf einmal nur ein Zug in ein Rohr geschnitten wird. Die Läufe erhalten in der Regel vier Züge; so oft muß denn auch der Kolben anders gestellt werden und macht also im Ganzen vier Märsche tour und vier retour. An dem von dem Zahn ausgeschnittenen, auf allen vier Flächen blitzenden Spahn, welcher gerollt ist und gerade gerichtet ein elegantes Vierkant giebt, ersieht man schon, wie schön und sicher die Maschine arbeitet. Der Lauf zeigt innen vier Züge und vier Felder. Unser Führer bemerkt: „Züge werden eingeschnitten, die Felder bleiben stehen und geben das Caliber.“

Drall ist die schraubenförmige Windung der Züge. Auf drei Fuß Länge macht er gewöhnlich einen Umlauf, bei Polygonal-Zügen schon auf anderthalb Fuß, variirt überhaupt sehr, je nach den Ansichten der „Besteller“. Das walzenförmige Patronenlager wird wieder auf einer besonderen Maschine eingeschnitten, und auch diese Arbeit erfordert Fachkenntniß und ganz besondere Aufmerksamkeit. – Nachdem der Lauf garnirt, d. h. mit Visir, Korn, Haften etc. versehen worden ist, wird er „gefrischt“ und geschmirgelt. Frischen macht die Züge glatt, kommt mit den Wänden der Seele nicht in Berührung, während beim Schmirgeln Züge und Felder zugleich polirt werden.

Von jetzt ab nimmt wieder das Aeußere des Laufes unser Interesse in Anspruch, namentlich das Bruniren (Bräunen). Ein blitzender, blanker Lauf stört den Schützen im Zielen, außerdem ist der braune Lauf leichter rostfrei zu erhalten und wird also durch angreifende Putzmittel nicht so leicht abgenutzt oder beim Putzen verbogen. Das Bruniren geschieht durch Auftragen einer Mischung von salzsaurer Stahltinctur, Scheidewasser, blauem und grünem Vitriol, Galmei, Weingeist und Quecksilbersublimat. Wenn der Lauf trocken ist, wird er mittelst einer Drahtbürste vom Rost gereinigt, sobald die gewünschte Farbe vorhanden, mit heißem Wasser begossen, abgetrocknet und mit Oel abgewischt, welches Verfahren öfter wiederholt wird. Zuletzt erhält der Lauf wohl auch noch einen farblosen Lacküberzug (Benzoe in Spiritus aufgelöst), der viel Dauer hat.

Der Lauf, der wesentlichste Theil des Gewehres, wurde innerhalb des letzten Decenniums außerordentlich verbessert. Das Experimentiren geht immer fort und an Abschluß ist nicht zu denken. Tüchtige Büchsenmacher halten aber an gewissen, etwa den folgenden Grundsätzen fest, mit denen vielleicht manchem einfachen Jägersmann gedient ist:

Man hat früher viel zu viel Werth auf die Eisen- oder Wandstärke der Rohre gelegt und glaubte durch die Vermehrung derselben die Widerstandskraft zu steigern. Aber gerade dadurch wurden die Läufe weniger haltbar, und je kleiner das Caliber in gleich starkem Laufe, desto weniger haltbar wird dieser. Gußstahlläufe erfordern nur die geringste Wandstärke, seltener das Frischen, und letzteres vergrößert ihr Caliber weniger als das der Eisenläufe. Im Eisenlauf, auch dem Damastrohr der Büchse (der ja das eiserne Futter hat), werden die Zugkanten leicht stumpf. Der gezogene Stahllauf hält zwei- bis dreitausend Schüsse aus, ehe das sogenannte „Flattern“ sich zeigt, die Präcision des Schusses sich mindert. Geschoß und Lauf müssen bezüglich des Gewichtes in einem gewissen Verhältniß stehen. Ist das Geschoß zu leicht, so bewirkt die Explosion einen zu starken Rückstoß. Aus einem ganz reinen Rohr ist der erste Schuß gewöhnlich verloren, wegen zu geringer Reibung. –

Bezüglich der Militärgewehre steht übrigens gegenwärtig die Patrone vorn an. Die Patrone wird gegeben und demnach das Gewehr construirt werden. Metallhülse ist selbstverständlich die erste Bedingung und diese Hülse (weil sie nicht verbrennt) erfordert wieder den Auswerfer, also eine complicirtere Mechanik. –

Durchwandern wir weiter die Fabrikräume. Ueber dem Rohrhammer befindet sich ein großer Maschinensaal, wo viele sonst in Betrieb befindliche Maschinen gebaut worden sind, in demselben Gebäude aber noch Rauh-, Glattbohr-, Kolb-, Abdreh-, Fraismaschinen und Werkstätten für die Klein- und Ladestockschmiederei. Im Nebenhaus steht eine Dampfmaschine von zehn bis zwölf Pferdekraft, welche bei eintretendem Wassermangel arbeitet. Ein anderes Haus enthält die Werkstätten der Schloß- (System-) und Patentschmiederei, ein viertes die der Schäfter und das Schaftmagazin, ein fünftes Schleiferei etc., namentlich die mechanische Werkstatt. Ein sechstes besetzen die Feiler von Garnituren, Schlössern, respective Systemen, Visiren etc., die Rohrzieher. Auch dient es als Magazin, Bureau und Comptoir. Wieder in einem andern Haus befinden sich die Revisionszimmer für Export-Waffen, und in einem großen Gebäude ist der Sitz der königlich preußischen Gewehr-Revisions-Commission. Hier liegen denn auch die Geschäftslocale der Equipeure, d. h. Fertigmacher und Zusammensteller, welche die Gewehre zur Controle, respective Abnahme bringen.

Chef der Gewehr-Revisions-Commission ist Oberstlieutenant Puttkammer, ein verdienstvoller Officier, reich mit Orden geschmückt, der in wahrer Humanität mit der strengen Wahrung der Staatsinteressen die Förderung der Fabriken und damit auch der Arbeiter zu verbinden weiß. Sein Vorgänger war Cäsar Rüstow, ruhmvoll bei Roßdorf gefallen. –

Es giebt noch manche andere größere Fabriken am Ort. Im Ganzen sind fünfzehn Gesellschaftsfirmen für Gewehrfabrikation und achtundzwanzig Handelsfirmen eingetragen. Außerdem existiren noch eine Menge Werkstätten, deren Besitzer nicht im Firmenregister stehen.

Mit dem Bau von Galanteriewaffen beschäftigen sich noch viele Fabriken. Hierbei ist zu bemerken, daß in denjenigen für Militärhandfeuerwaffen auch Galanteriegewehre gebaut werden und daß andererseits einige Fabriken auch Kriegswaffen bauen.

Uebrigens ist die Leistungsfähigkeit derselben mit den oben gegebenen Zahlen durchaus nicht festzustellen, denn je mit dem Eintreffen größerer Bestellungen werden neue Werkstätten errichtet und noch nöthige Maschinen aufgestellt. Die seltene Solidität der hiesigen Verhältnisse beruht darauf, daß fast nur feste, sichere Bestellungen in Ausführung kommen, also nie eine Ueberproduction, der Ruin der Fabrikanten und der Arbeiter zumal, vorhanden ist. Dies gilt ebenfalls von Galanteriegewehren. Naturallohnung kennt man gar nicht. Die Löhne sind im Verhältniß zu den Preisen der Lebensmittel gestiegen. So ist denn Suhl auch eine der wenigen Fabrikstädte, welche bis jetzt den Socialisten verschlossen blieben.

Statistisches Material bezüglich der Galanteriewaffen steht mir nicht zu Diensten, da viele Fabriken ihren desfallsigen Absatz aus naheliegenden Gründen geheim halten, was bei Kriegswaffen nicht angeht. Man vermuthet, daß Suhl jährlich vier- bis fünftausend Galanteriegewehre versendet, was mehr sagen will, als wenn das doppelte Quantum unsolider, leichthin gearbeiteter Waffen auf Messen ausgeführt oder in Commissionslagern aufgestapelt würde.

Die drei größten Fabriken treffen nunmehr ihre Einrichtungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_486.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)