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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

überzogener Nachttisch aus Tannenholz mit geschnitzten Beinen, ein Möbel, wie es in seiner übergroßen Unscheinbarkeit Mancher nicht in dem Schlafzimmer eines Kaisers suchen würde. Aber der Mann, der für Deutschland, der für Preußen eine neue Aera des Glanzes und der Größe geschaffen hat, ist für sich und seine Person von einer fast puritanischen Anspruchslosigkeit. Ein Bild davon ist die ganze Einrichtung dieses Schlafzimmers.

Georg Horn.




Erinnerungen aus alter Zeit.


1. Ein Tag mit Goethe auf der Dorfkirchweih.


Gar ernst und viel erzählend steht das alte Schloß von Großkochberg dort über dem gleichnamigen, thüringischen Dorfe, das sich darunter südlich im Thale hingebaut hat. Ein breiter, tiefer Wallgraben mit Wasser umzieht den umfänglichen Schloßbau, und hinter ihm nach Norden hebt sich auf dem hohen Ufer des Walles das dunkle Grün mächtiger Fichten, Ulmen, Buchen, der Anfang seines großen Parkes, empor, und läßt das Grau der alten Mauern und Thürme noch klarer hervortreten. Eine Brücke führt zu einem von alterthümlichen Gebäuden umgebenen Vorhofe, von dem dann rechts ein breiter Stufenaufgang zum Hauptportale leitet. Das ganze Aeußere dieses Schlosses ist das Bild eines alten, festen Rittersitzes, rein von allen angeklecksten Neubauten und sogenannten modernen Verschönerungen.

In diesem Schlosse lebte der Freiherr Friedrich v. Stein mit seiner Gattin, zwei Söhnen und einer Tochter. Die Mutter des Freiherrn, die Frau Stallmeister v. Stein, die bekannte Freundin Goethe’s, hielt sich im nahen Weimar auf. In dem alterthümlichen Schlosse von Großkochberg mit seinen gar wohnlich eingerichteten Räumen und seiner einfachen, aber gediegenen Ausstattung bewegte sich ein schönes Familienleben, welches Kunst und Wissenschaft zu treuen Hausgenossinnen erwählt hatte. Der Hausherr, ein liebenswürdiger Mann, der selbst malte und ein sehr eifriger Freund von Anlagen und Bauten war, hatte mit großem Geschmacke ein zum Theile unwirthliches Grundstück, das sich nördlich hinter dem Schlosse an einen fast kahlen Kalkberg lehnte, zu einem weiten Parke umgewandelt. Der ganze Park schien ein Stück selbstgewachsener Kunst zu sein. Alle einzelnen Partien machten einen wohlthuenden Eindruck, und alle waren trotz ihrer Mannigfaltigkeit doch Glieder eines schönen Ganzen.

In dem alten Schlosse selbst kehrten geistreiche Menschen, Künstler und Schriftsteller nicht selten ein. Auch der Herzog Karl August von Weimar war gern hier, namentlich aber Goethe. Der gastlichen Stein’schen Familie war überhaupt willkommen, wer in solchen Kreisen sich wohl fühlte. Namentlich gaben die beiden näheren Städte Weimar und Rudolstadt viele willkommene Gäste. Das kleine Städtchen Rudolstadt hatte gerade damals eine schöne Blüthezeit unter der kunstsinnigen Fürstin-Wittwe Caroline. Noch lebten dort Freunde Schiller’s und unter diesen und mit den Erinnerungen an ihn etwas von seinem Geiste. Neben dem tüchtigen Capellmeister Max Eberwein glänzte der patriotische Liedercomponist Albert Methfessel als Kammersänger. Er war in Großkochberg ein vielgesehener Gast.

Besonders lebhaft ging es auf dem alten Schlosse her, wenn das Dorf im Herbste sein Kirchweihfest hielt. Zwischen dem Dorfe und seinem Gerichtsherrn v. Stein waltete ein gutes patriarchalisches Verhältniß. Zu einer solchen Kirchweihe war ich – damals Schüler auf dem Gymnasium zu Rudolstadt – mit meinen Eltern geladen. Diese wohnten nur ein halbes Stündchen von Großkochberg entfernt, und so lange ich noch im Elternhause lebte, hatte ich viel mit den Söhnen des Herrn v. Stein verkehrt. Der ältere, Fritz, war ein sehr befähigter Knabe und Goethe’s Liebling. Da er, wie ich, ein sehr lebhaftes Temperament hatte, so vereinte uns dieses zu jener eigenthümlichen Knabenfreundschaft, die in der einen Stunde sich warm umarmen möchte, in der andern aber sich gar ernstlich zausen kann. Der jüngere Sohn des Hauses, Karl, war mir zu ruhig, zu überlegend.

An einem jener sonnigen und lebenerfrischenden Herbsttage wanderten meine Eltern mit mir als Kirmeßgäste nach Großkochberg. Hier erfuhren wir, daß außer anderen Gästen auch Goethe und mein musikalischer Mentor Methfessel, dieser mit M. v. Holleben, einem liebenswürdigen und kunstsinnigen Herrn von Rudolstadt, sich eingefunden hatten. Der Name Goethe zuckte wie ein Blitz in meine Seele. Obgleich ich früher vorzugsweise Schiller schwärmerisch verehrte, so hatte mein väterlicher Lehrer Abraham Voß (Sohn des Johann Heinrich Voß), der Uebersetzer Shakespeare’s, mich später doch auch für Goethe begeistert. Ich hatte ihn noch nie gesehen, und konnte nun in seiner Nähe sein, ihn vielleicht sprechen. Bald aber wich meine freudige Aufregung einer niederdrückenden Scheu. Ich erinnerte mich, oft gehört zu haben, daß der Geheimrath v. Goethe in seinem ganzen Wesen etwas unnahbar Hohes habe. Meine Bedenken wurden noch bestärkt durch die erste Begrüßung beim Eintritte in den Saal, in dem die Gäste des Herrn v. Stein saßen oder standen. – Ja, es lag etwas Hohes, ich möchte sagen Fürstliches in dieser aufgerichteten Gestalt mit dem schönen Kopfe, dieser imponirenden Stirn und den großen geistvollen Augen; aber ein Zug um den Mund sprach ein etwas störendes Ich! – Wie sollte ich indeß freudig überrascht werden durch die natürliche Freundlichkeit dieses genialen Mannes!

Der geehrte Leser erlaube mir, ehe ich weiter erzähle, einen ganz kurzen und bescheidenen Excurs, der zwar nicht zur Kirmse, aber zu Goethe gehört. In der riesenhaft angeschwollenen Goetheliteratur finde ich die eine Seite von Goethe theils gar nicht, theils meinem Gefühle nach zu wenig ausgeführt, gerade die Seite, die uns als Menschen zu ihm zieht: daß er, wo er nicht von kleinen Geisterchen zum Theile mit widerlich lächerlichem Weihrauche beräuchert, wo er nicht von eitler geschwätziger Jämmerlichkeit, die sich an ihn anzusaugen suchte, heimgesucht, oder nicht, wie ein Wunderthier, selbst mit frecher Eindringlichkeit, aufgesucht wurde, kurz, wo er sich überhaupt nicht gebunden und belästigt fühlte, daß er da menschlich unmittelbar, ja herzlich sich geben konnte; so daß man gar Manches an ihm entschuldigen und ihn lieb gewinnen mußte. Um diese gute menschliche Seite in dem unmittelbar Beobachteten und treu Wiedergegebenen aus dem Leben Goethe’s zu zeigen, übergebe ich diese Erinnerungen seinen Verehrern.

Kommen wir auf die Erzählung zurück. So stand denn ich armes Schülerlein in der großen Gesellschaft, von Niemandem speciell beachtet, als von den treuen Augen meiner guten Mutter. Fritz v. Stein war abwesend, Karl wurde von einer gnädigen Tante examinirt. Dennoch hielt ich eine genaue Revue über alle guten Regeln des Anstandes, die ich namentlich in der Tanzstunde erhalten hatte, um vor Allem dem einen Gegenstande meiner Verehrung gegenüber mich fein säuberlich zu benehmen. Dies muß mir so leidlich gelungen sein; denn Karl v. Stein behauptete später gegen seinen Bruder: er habe mich heute in der Gesellschaft nicht wieder erkannt; denn ich hätte eine so ceremonielle Haltung angenommen, daß ich, einige unbedeutende Steifheiten abgerechnet, ganz gut am königlich sächsischen Hofe hätte debutiren können.

Goethe hatte sich neben die Hausfrau, eine feingebildete, tactvoll edle Frau, gesetzt und unterhielt sich mit ihr so, daß die schönen Züge der sonst so stillen, bleichen Frau, sich zu immer mehr Leben verklärten. Im ganzen Wesen Goethe’s trat immer mehr ein leichtes, heiteres Sichhingeben hervor. Besonders interessirte mich das feine, gesellige Umgangsspiel zwischen Goethe und einer Frau v. F. Diese schien die entschiedene Absicht zu haben, Goethe für sich zum Cavalier zu gewinnen. Sie wußte sich immer näher und theilnehmender an Goethe zu wenden und schien Alles aufzubieten, den herrlichen Mann heute für sich einzunehmen. Goethe blieb artig, er wurde es in der feinen Form immer mehr. Aber je artiger er gegen Frau v. F. wurde, umsomehr wußte er der anspruchloseren Frau des Hauses anzugehören. Zwischen ihm und der Frau Stallmeister v. Stein war, wie ich auch später bemerkte, ein Verhältniß gegenseitiger Achtung. Frau v. Stein schien ein geistiges Bedürfniß, das sie drängte, zu Goethe zu führen; Goethe dagegen Umgang und Urtheil der feinfühlenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_492.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)