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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

los, als erst am Angsttüchlein kauen!“ und trat vor den Flügel, wo er mit fester Stimme rief: „Eine neu etablirte Künstlergesellschaft bittet um geneigtes Gehör; wir produciren das Ende der Verschwörung, genannt ‚Die Dorfkirmse‘.“

Während sich jetzt Alle forschend aufrichteten, sammelten wir Sänger uns um Methfessel, der sich mit den Worten an den Flügel setzte: „Ja, eine sehr neu etablirte Künstlergesellschaft!“ Uns aber flüsterte er zu: „Wenn’s nicht recht mehr gehen will, schreit nur recht confus durcheinander, daß die Geschichte wenigstens noch ein sehr schlechter Witz wird.“

Methfessel begann seine Einleitung anfangs zaghaft, bald aber mit Hingebung und meisterhaft. Goethe’s Gesicht verklärte sich. Uns faßte Methfessel’s Spiel. Wir erlangten Muth, der zur Begeisterung wuchs. Alles gelang wunderbar.

Unsere Dorfkirmse war eigentlich eine für die Musik kurzgeschürzte Idylle mit lebensvollen, frappanten Bildern der Dorfkirmse, vom Erwachen vielgeschäftigen Lebens beim Aufgange der Sonne bis zur derbplastischen Darstellung des Tanzes unter der Dorflinde, des Trinkens und seligen Plauderns auf dem lebendigen Dorfplane. Eine sehr glückliche Conception Methfessel’s hatte die Idylle mit liebenswürdigem Humor in Melodie, Ton und Rhythmus wiedergegeben. Das Ganze schloß mit einem bekannten alten Walzer, der immer langsamer, immer dünner wurde, bis er mit drei einsamen Tönen des Baß in c–a–Octav-C verklang.

Ein wahrer Jubel großer Heiterkeit brach aus, und lebhafter Beifall wurde immer lauter. Methfessel wendete sich mit strahlenden Blicken an uns Sänger und rief: „Ihr habt inspirirt gesungen, wie geübte Meister! Dank, tausend Dank!“

Er aber hatte wunderbar gespielt, und vor ihm standen doch nur einzelne Noten und Zeichen, wie einsame Wegweiser. Louise v. Stein hatte mit ihrer herrlichen Stimme nicht nur richtig, sie hatte mit sinniger Naivetät gesungen und der Bassist namentlich den Schluß gekrönt. Frau v. Stein wendete sich zu Goethe: „Nun, da haben wir nach langer Zeit den Naturforscher[1] auch wieder als lieben Dichter gehört.“

Goethe aber rief: „Heute gebührt unserm Methfessel der Preis!“ und drückte diesem herzlich die Hand. –

Unsere aufgeführte Dorfkirmse hatte in der ganzen Gesellschaft liebenswürdige Geister geweckt. Ein sinnig heiteres Leben und Bewegen ging durch alle Gäste. Selbst ein alter wohlbeleibter Herr, ein einstiger Lehrer in der Familie, der sonst nur ernst, gebeugt die Einsamkeit aufsuchte, schlich aus seiner abgesonderten Ecke in ein Nebenzimmer, trällerte dort stillvergnügt Klänge aus längst verschwundener Zeit und setzte, so zierlich er konnte, die widerstrebenden Füße, als dränge ihn sein Behagen, eine Menuet aus alter Zeit zu versuchen.

Als ich mit den Meinigen in später sternenheller Nacht heimging, blickten wir noch hinauf zu dem alterthümlichen Schlosse, das so ernst und schweigsam vor uns stand, und mein Vater rief: „Das war heute eine Kirchweih der Musen unter edlen Menschen.“

A. Schmeißer.


  1. Gerade in jener Zeit widmete sich Goethe jahrelang mit großem Eifer den Naturwissenschaften, namentlich der Lehre von den Farben.




Blätter und Blüthen.


Maler und Sportsman. (Mit Abbildung.) Das ist ein waghalsiges Viergespann, welches hier die steile Treppe mit dem Wagen herunterklettert! Gleichwohl ist dies kein Bild, welches nur der Phantasie eines Zeichners und den im Atelier erträumten Situationsbildern angehört; es ist ein selbsterlebtes Abenteuer, welches der Künstler hier verewigt hat. Der Held desselben ist Graf M. Sandor, einer der abenteuerlustigsten unter den ungarischen Granden, das Jahr der Handlung das Jahr 1827, der Ort derselben die steile Treppe, welche von Ofen zur Christinenstraße hinabführt, und der Genosse der verwegenen Fahrt, welche keiner Wette ihren Ursprung verdankt, sondern nur der Laune des kühn die Gefahr herausfordernden Grafen, der Zeichner des Bildes, der Maler und eifrige Sportsman Johann Gottlieb Prestel, bekanntlich ein geborener Frankfurter.

In Folge einer unglücklich ausfallenden Ehrensache verließ der dort studirende Prestel München und fand in Ungarn längere Zeit eine Stellung als Director eines arabischen Gestüts. Das wildfeurige Magyarenland mit der prächtigen Zucht seiner Rosse und seinen abenteuerlustigen Magnaten bot ihm eine Fülle von Jagd- und Sportsvergnügungen, die seiner Kunst zugute kamen. Es konnte nicht fehlen, daß der Künstler, der selbst ein tüchtiger Sportsman, namentlich ein ausgezeichneter Reiter war, mit den Großen des Landes in nähere freundschaftliche Beziehung kam und zu allen ihren Jagden und Belustigungen mit eingeladen wurde. Namentlich stand er lange Jahre im innigsten Verkehr mit dem Grafen M. Sandor, dessen originelle, aber unsinnig gewagte und lebensgefährliche Abenteuer er sowohl mitmachte, als auch skizzirte. Der späteren Ausführung dieser Skizzen verdankt das bekannte und verbreitete Sandor-Album seine Entstehung. Jene Treppenfahrt in Ofen, deren Bild wir hier vorführen, war nicht einmal das vermessenste unter den Wagstücken des Grafen. Bei dem Durchblättern des Sandor-Albums, dessen Bilder übrigens mit großer Meisterschaft der Zeichnung und einer bewundernswerthen Kenntniß des Pferdes ausgeführt sind, wandelt uns oft ein haarsträubendes Grauen an, wenn wir die durchgehenden Rosse sehen, die sich von hohen Felsen herab in Steinbrüche stürzen, die vermessenen Winterstrompartien über den Eisgang der Donau, die verschiedensten Sprünge mit dem Pferde über hohe Gitter und Mauern, über kleine Flüsse, selbst über Wagen und Pferde hinweg, und dergleichen mehr – Reiterwagstücke, welche die Gartenlaube gelegentlich einer früheren Charakteristik des Grafen Sandor (Jahrgang 1866, Nr. 2) in Wort und Bild bereits ihren Lesern vorgeführt hat. Jedenfalls war der nähere Umgang mit ihm nicht ohne Gefahr; es kam dem vortrefflichen Wagenlenker nicht darauf an, einen Wagen absichtlich umzuwerfen, wenn seine darin sitzenden Gäste ein kleines Abenteuer wünschten, oder es machte ihm Vergnügen, einen Spazierritt mit lauter des Reitens unkundigen Personen zu veranstalten, welche dann nach kurzer Zeit sämmtlich auf der Erde lagen. Dieser Sportshumor hatte doch für die Dilettanten seine sehr bedenklichen Seiten.

Nach mehrmaligen größeren Ausflügen nach England, Frankreich und Italien, wo er sechs Jahre verweilte, wurde Prestel, der als Jagd- und Pferdemaler jedenfalls eine Specialität ist, im Jahre 1838 Hofmaler des Herzogs von Nassau und lebte dann in Wien und später in Mainz.




Gerstäcker’s ethnographische Sammlung. Abermals muß ein Wunsch ausgesprochen werden, den die Pietät dictirt und der von der Vaterlandsliebe recht dringend unterstützt werden sollte. Bekanntlich hat unser Friedrich Gerstäcker von allen seinen Reisen Andenken an die Völker mitgebracht, mit denen er rings um die Erde in Verkehr gekommen ist. Diese für die Culturgeschichte so außerordentlich wichtigen Gegenstände sind im Laufe der Zeit zu einer stattlichen Sammlung angewachsen, die nun in andern Besitz übergehen soll. Aus dem Kreise seiner Familie wissen wir, daß Gerstäcker es als seinen letzten Willen mit aussprach, die Sammlung möge verkauft werden, daß er aber zugleich den Wunsch betonte, wie lieb es ihm wäre, wenn sie nicht durch Auction zerrissen zu werden brauche, sondern in einen Besitz übergehen könnte, sei’s der einer öffentlichen Anstalt oder eines wissenschaftlichen Privatschatzes.

Wir üben eine Freundespflicht aus, wenn wir diesen Wunsch des zu früh Dahingeschiedenen zur Kenntniß unsers Publicums bringen. Wie reichhaltig die Sammlung ist, darüber mögen einige Andeutungen hier folgen. Dieselbe enthält aus Australien: Harpunen, Wurfspeere, Körbe für Lebensmittel, Muscheln als Trinkgefäße, Beile, Ruder etc.; – von den Südsee-Inseln: Bogen, Pfeile, Lanzen, Ruder, Keule, Schurz etc. von den Fidschi-Inseln, Reibfeuerzeug, Schaufel, Lichtnuß von Tahiti, Kopfschmuck von Maiao, Dolch mit Haifischzähnen, Schurz, Korallen- und Muschelschmuck; – aus Californien: Bogen und Pfeile der Indianer, Köcher, Schurze, Korb; – aus Nordamerika: Boxhandschuh, Tomahawk, Calumet; – aus Mexico: Guitarre aus Puebla, Steinmasken von den Pyramiden etc.; – aus Süd-Amerika: Gaucho-Gürtel, Feuerzeug, Lasso, Perlen-Diadem, Sattel, Sporen, Pfeifen, Caraiben-Schurz; – Chinesische Gegenstände: Hut, Holzsandalen, Regenschirm aus Bambus, Pantoffeln, Bilder; von Japan: Regenschirm, Sonnenschirm, Bambusbüchse, Spiegelmetall; – von Java: Maultrommel, Flöte, Sandalen, Spielzeug, Bilder, Bambusbüchsen, Flaschen, Früchte, Körbe, Tigerschädel, Messer etc.; – von Borneo: Bogen und Pfeile, Köcher, Blasrohr, Halsschmuck, Lanzen, Schilde, Körbe, Schurz, Betelbüchse etc. – von Afrika: Guitarre, Kopfkissen, Messer, Tabaksbeutel, Schmuck etc. aus Aegypten, Schwert, Schild, Amulet, Lanze aus Abyssinien; – von den Polarmeeren (Behringsstraße): Walfischlanze, Walroßtau, Harpunen, Verschiedenes aus Walroßzahn, Lanzenspitzen, Bogen, Pfeile, Zobelpfeile, Ruder, Tabaksbeutel aus dem Fuß eines Albatroß etc.; – endlich aus Europa: Schneeschuhe aus Tirol und Hirschgeweihe aus dem Thüringer Walde.

Es bleibt uns nun nichts übrig, als ruhig abzuwarten, ob sich Angebote auf die ganze Sammlung finden. Wir nehmen derlei gern in Empfang zur Vermittelung an Gerstäcker’s Wittwe.




Für die Ueberschwemmten in Böhmen. Obwohl unser Blatt keinen directen Aufruf für die armen Unglücklichen in Böhmen erlassen hat, sind uns in Folge des Abdrucks des schönen Gedichtes: „Das Wasser kommt“ doch verschiedene Einsendungen zugegangen, über die wir hiermit dankend quittiren: N. N. in Hettstadt 2 Thlr.; Wiese in Stralsund 1 Thlr.; Unbenannt 10 fl.; aus Reichenbach i. V. 5 Thlr.; N. N. in Osnabrück 1 Thlr.; Concert des Arions in Greiz 26 Thlr. 20 Ngr.; durch Verloosen des Gedichts: „Das Wasser kommt“ von Paul Würsching in Nürnberg 2 Thlr.; aus Berlin 5 Thlr.; Günther Schönau in Hütten-Steinach 5 Thlr.; C. Stadtl in Nördlingen 2 fl. rh.; aus Erlangen 1 fl.; A. F. 1 Thlr.; Jeder nach Kräften 1 Thlr.; Unbekannt 1 Thlr.; A. R. in Weimar 10 Thlr.; Sammlung bei einer Hochzeit in Mutzschen 11 Thlr.; Redaction der Gartenlaube 20 Thlr.




Stein-Feier. Nachdem wir bereits früher (Jahrgang 1868, Nr. 42) zwei auf das Stein-Denkmal bezügliche Illustrationen veröffentlicht, das Denkmal selbst und die landschaftlichen Umgebungen desselben darstellend, führen wir heute, anknüpfend an die nunmehr stattgehabte Enthüllung des Denkmals, die bildliche Darstellung desselben unseren Lesern noch einmal vor. Die zur Stunde noch nicht eingegangene Schilderung der Enthüllungsfeierlichkeit folgt in der nächsten Nummer.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_494.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)