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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

In dem Klopfstübel war nämlich über dem Tische ein rohgeschnitzter Vogel, den sie den „heiligen Geist“ nannten, einer Taube ähnlich, an einer Schnur aufgehangen, der als Barometer diente und durch seine verschiedenen Wendungen das Wetter ankündigte; wenigstens versicherten die Steinklauber hoch und theuer, daß der Vogel sie noch nie betrogen habe. Für diesmal bestand der „heilige Geist“ eigensinnig auf schlechtem Wetter und veranlaßte meine Gefährten, die weitere Wanderung aufzugeben und umzukehren; ich aber entschloß mich zu bleiben, einestheils weil ich wußte, daß auf Regen einmal Sonnenschein folgen müsse, und dann, weil die eigenthümliche, mir unbekannte Industrie des Steinklaubens und Rollens mir anziehend genug erschien, um sie näher zu beobachten.

Am nächsten Morgen dauerte das Unwetter fort, aber die Tiroler hatten dennoch beschlossen, nach den Granatenbrüchen hinaufzusteigen und frisches Material für die nimmermüde Stampfmühle zu holen. Ich begleitete sie durch den schneidend kalten Morgen, Schritt für Schritt meinen Vormännern folgend, die, obwohl mit großen Körben und Seilen und einem grob zugehauenen Stamme beladen, dennoch leicht und sicher durch das Labyrinth von Felsengeröll den Gletschern zuwanderten. Mühsam ging es stundenlang den eisigen Weg bis zu der Stelle hinan, wo aus dem Gletscher die schroffe Wand des „Rohreneckers“ emporsteigt – hier mußte ich wegen des sich immer mehr verdichtenden Nebels zurückbleiben und konnte leider nicht beobachten, wie die kühnen Männer sich an den Seilen emporzogen, um oben an der steilen Wand, welcher schon über hundert Jahre auf diese Weise ihre Schätze entführt werden, ihre Vorkehrungen zum Absprengen des Gesteins zu treffen. Ich hörte nur schwere Hammerschläge; nach langem peinlichem Harren weckte ein donnerähnlicher Schlag ein von Wand zu Wand brausendes Echo und prasselnd stürzten die abgesprengten Stücke auf die Eisfläche hernieder. Bald kamen die Männer mit ihren Körben, in die sie die besten Sprengstücke eingepackt hatten, zurück und schritten nun über die glatten Flächen, an den jähen Spalten entlang mit einer Sicherheit abwärts, die mir Grauen und zugleich Bewunderung einflößte.

Ich athmete auf, als wir unten an der gastlichen Klopfhütte ankamen. Hier wurde der Inhalt der Körbe in dem Klopfstübel aufgeschüttet und es ging lustig daran, die herrlichen zwölfflächigen Krystallkörper aus ihrer schimmernden Umhüllung zu befreien. Es kamen Stücke vor, in denen die Granaten faustdick aufeinander saßen. Bald waren die Mulden mit den gewonnenen Steinen gefüllt und wurden in die Stampfmühle hinuntergetragen, deren innere Construction einer Oelmühle gleicht. Die häufig noch mit Glimmer überzogenen Steine wurden in den am Boden aufgestellten schwergezimmerten Kasten geschüttet, das Rad gestellt und dadurch die Stampfer in Bewegung gesetzt, welche nun wacker auf die Steinchen lospochten, während eine in den Kasten eingeleitete Wasserrinne den Zweck hat, den zu Brei gestampften Glimmer durch siebähnliche eingelegte Blechstücke wegzuspülen. Nach einigen Stunden wird das Wasser abgestellt und die Granaten in ihrer wahren schönen Form, von allem Anhängsel gesäubert, dem Kasten entnommen. Bei diesem Proceß ergiebt sich zugleich, welche Stücke überhaupt werth sind, weiter behandelt zu werden, denn die nicht körperlich kräftigen Steine werden von der Stampfe zerschlagen, andere kennzeichnen sich als unvollendet oder mißgestaltet und nur die ganz tauglichen bleiben zurück. Von diesen werden die harten gehalt- und werthvollen ausgelesen und in die wenige Schritte hinter der Stampfmühle gelegene Rollmühle gebracht, ein industrielles Bauwerk, das den Beschauer durch seine Naturwüchsigkeit fast heiter stimmt.

Von dem Gletscherstrome, der die vordere Mühle treibt, zweigt sich eine Rinnenleitung ab und ergießt sich auf ein rohgezimmertes Schaufelrad, an dessen verlängerter Welle ein mit verschiebbarer eiserner Kette umschlossener Bretterkasten befestigt ist. In diesen werden jetzt die Granaten zum „Abrollen“ geschüttet, die Deckelwand fest zugeschoben und das Wasser zugelassen, das nun Rad und Kasten zugleich dreht, daß man über das Gesause des Wassers hinaus die armen Dinger in gleichmäßigem Tacte von Wand zu Wand an den Kasten anpoltern hört. Auch hier haben die in den Kasten eingesetzten durchlöcherten Blechstücke den Zweck, die Steine fort und fort zu bewässern; durch dieses Verfahren verlieren sie allerdings ihre äußere schöne Form, denn das Rollen nimmt die weichen Theile weg, dafür aber hat sich der Grad ihres Werthes abermals gesteigert, denn nur der ganz steinharte, schleifbare Kern ist geblieben und wird nun, in Körbe gepackt, in’s Thal nach Meyerhofen getragen, wo der Erbauer der Mühlen und Besitzer der Granatengruben haust. Hier werden sie nach ihrer Größe sortirt und in die Schleifereien nach Prag, Turnau, Deutsch-Brod und Baden versandt, aus denen sie, wegen der Farbe und Reinheit ihres Glanzes besonders beliebt, unter dem Namen Tiroler Granaten in den Handel kommen.

Ich hatte sonach alle Ursache, mit der Ausbeute meiner Wanderung zufrieden zu sein, wurde aber für meine Ausdauer auch noch dadurch belohnt, daß, als ich nach einer abermaligen Nacht in der Rauchhütte die Augen öffnete, der klarste wolkenloseste Herbstmorgen mich begrüßte und mir ein ergreifendes, über jede Beschreibung erhabenes Alpenbild enthüllte. Der Regen war zuletzt als dichter Schnee gefallen und bedeckte nun theilweise die saftig grünen Streifen an den herniedersteigenden Wänden und verlor sich erst allmählich in dem öden Trümmergestein. Kein Baum, kein Strauch – nur hie und da schimmerte das Grün einer spärlichen Matte – droben aber, in ewiges Eis und Schnee gehüllt, stiegen die Riesengipfel des großen Messerle, des Turnerkamm’s und Rohreneckerkammes, angestrahlt vom rosigen Morgenlicht der Sonne, in den glanzflammenden, schweigenden Aether empor. Das Rauschen und Stürzen der Gletscherwasser war die einzige Unterbrechung dieser erhabenen Ruhe, und als drinnen in der Hütte die Männer ihren Morgensegen sprachen, ward es so feierlich ringsum, als ob in dem Riesendome, der sich über mir wölbte, der Gottesdienst beginne.

Dann ward es Zeit, zu scheiden; vorher aber wollte ich das Bild der Hütte, die mich so gastlich aufgenommen, sammt ihrer Umgebung besitzen. Rasch entstand es zur vollen Zufriedenheit meiner drei neuen, mich aufmerksam umstehenden Freunde. Dann schüttelte ich ihnen die Hand und wanderte thalab, noch weit begleitet von ihrem Rufen und Nachjauchzen und von der Erinnerung an die Schwarzensteiner Eiswelt und die Hütte der wackern Granaten-Klauber.




Eine Leidenschaft.


Von E. Werber.


(Schluß.)


Eine hinter Remeny sitzende Dame sagte mit häßlicher Stimme zu ihm: „Die Gräfin Br. scheint Migräne zu haben, Herr Remeny!“

Dieser sagte schneidend: „Wenn Sie das glauben, Frau Baronin, so bringen Sie ihr doch etwas Riechsalz; man muß eine Gelegenheit zur Barmherzigkeit nie vorübergehen lassen.“

Die Dame schwieg betroffen.

Es folgten noch drei Nummern. Remeny saß wie auf Kohlen. Vor der letzten Nummer sagte er: „Lassen Sie uns gehen,“ und erhob sich. Er ging stolz wie ein König durch die gaffende Menge. Auf der Treppe athmete er ein paar Mal tief auf.

„Ich kann Sie nicht bitten, mich zu begleiten,“ sagte er zu mir, „ich habe einen Besuch zu machen. Gute Nacht.“

Er ging auf einen Fiaker zu. Ich konnte nicht hören, wohin er dem Kutscher zu fahren befahl. Ich ging in eine naheliegende Restauration und ließ mir Wein geben. Ich war aufgeregt und durstig. Was that Gräfin Br. in Pest? War sie ganz von Polen weggezogen? In welchem Verhältniß stand sie zu Remeny? Ich war auf’s Höchste neugierig und beschloß, morgen meine Nachforschungen auf discrete Art zu beginnen. Als ich in meinen Gasthof zurück kam, fand ich die versprochenen Zimmer in der ersten Etage für mich hergerichtet. Es waren ein Salon und ein Schlafzimmer. Ich öffnete die Thür zu diesem und hörte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_508.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)