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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

mehr von Remeny, bis Sie zu mir kamen. Kurze Zeit darauf söhnte ich mich mit meiner Mutter aus und lebte mehrere Monate bei ihr und meinem Knaben in Lemberg. Eines Processes wegen mußte ich nach Wien reisen. Dort sah mich Remeny, und ich gab alles für ihn auf. Seit achtzehn Monaten bin ich hier; seit wenigen Wochen in diesem Gasthof, weil das Haus, welches ich gemiethet hatte, etwas zu weit von Remeny’s Wohnung lag und ich noch kein günstig gelegenes finden konnte. Die Entfernung wurde unbequem. Remeny schickt oft Abends spät nach mir, damit ich ihm ein Notturno von Chopin vorspiele, oft Morgens um fünf Uhr, wenn er eine plötzliche Inspiration hatte, die aufzuschreiben er Niemandem als mir anvertrauen wollte. Denn er hat die Eigenheit, daß er nichts selbst aufschreibt.“

„Das war ja eine Marter für Sie!“ rief ich.

„Eine himmlische Marter,“ sagte sie. „Was wollen Sie? Remeny ist ein großer Mann, man muß seine Eigenthümlichkeiten ehren. Sie haben

Mühle zum Abrollen der Granaten.
Originalzeichnung von R. Püttner.

gehört,“ fuhr sie fort, „daß Remeny mir befahl, heute Pest zu verlassen!“

„Gräfin,“ sagte ich, „wenn ich wagen dürfte, von der Sache mit Remeny zu sprechen – er ist hochfahrend und sein ganzes Leben lang von den Frauen so verwöhnt worden, daß er Ihre Entschiedenheit nicht erträgt. Dann mag auch der große Unterschied der Jahre in Ihrem Verhältnisse zu ihm manche Unebenheit verschulden. Remeny kann doch nicht mehr so leicht Ihrer leidenschaftlichen Seele nachkommen, andererseits ist Ihre Jugend vielleicht nicht im Stande, seine reiferen, ruhigeren Gefühle und Ansichten zu verstehen. Er findet Sie ungestüm, Sie finden ihn kalt.“

„Ich bin eine viel zu scharfsehende Natur,“ sagte sie, „als daß ich Ihnen in dem, was Sie hier sagen, nicht Recht geben sollte; aber seien Sie versichert, Remeny ist kälter gegen mich, so oft seine Eitelkeit durch mich leidet.“

„Das Verhältniß wird wiederhergestellt werden,“ sagte ich. Beruhigen Sie sich!“

„Das Verhältniß wird nicht wiederhergestellt,“ sagte sie fest. „Ich bin nicht die Frau, die ihr Knie zweimal vor einem Mann beugt, selbst nicht vor einem Remeny. Ich bin entschlossen zu sterben, aber der Mann, der mich wegzuwerfen gewagt hat, wird auch sterben.“

„Gräfin, übereilen Sie nichts, um Gotteswillen!“ rief ich.

Sie wehrte mit der Hand meinen Bitten und gab mir ein dickes versiegeltes Heft. „Sie werden dies nach meinem Tode meiner Mutter schicken. Gehen Sie jetzt!“

„Versprechen Sie mir,“ bat ich, „meine Unterredung mit Remeny abzuwarten, ehe Sie einen verzweifelten Schritt thun.“

„Gut,“ sagte sie. „Gehen Sie heute Nachmittag zu Remeny! Ich werde Sie gegen Abend hier erwarten.“

Ich ging augenblicklich zu Remeny. Er war eben erst aufgestanden.

„Was bringen Sie?“ sagte er. Ich bemerkte, daß ich das Heft, welches mir die Gräfin gegeben hatte, in der Hand trug.

„Alle Umschweife bei Seite,“ sagte ich. „Remeny, ich habe durch Zufall Ihre Unterredung, Ihren Bruch mit der Gräfin Br. angehört. Ich komme eben von ihr. Die Frau ist entschlossen, zu sterben und, wenn ich mich nicht täusche, Sie zu tödten. Sie hat Ihnen Alles geopfert, sie ist eine seltene Frau. Warum geben Sie sie auf?“

Remeny faltete die Stirn und sagte: „Sie bringt mich um alle meine Würde; man lacht und sagt: Remeny ist zweiundsechzig Jahre alt und verliebt. Dies ist Ein Grund.“

„Ein sehr selbstsüchtiger, ein sehr kleiner und eines Mannes Ihrer Art unwürdiger Grund. Ein Genie steht über den Gesetzen der Menge. Wie, Remeny – Sie haben Ihr Leben lang in geistiger Einsamkeit und Verachtung gegen die Welt gesprochen, warum wollen Sie jetzt eine Frau von großem Herzen verstoßen und sich selbst wehe thun, damit die Welt nicht lache? Ist der Wüstenlöwe so zahm geworden?“

Remeny blickte mich finster an, schüttelte sein langes Haar und sprach: „Ich habe noch einen andern Grund: Sie liebt mich zu viel, zu ungestüm, zu ausschließend und verlangt dasselbe von mir. Ich aber habe zu oft geliebt, um noch ein ganzes Herz zu haben; ich habe auch andere Interessen: meine Werke, meine noch zu schreibenden Ideen, der Weltgang – ich kann mich ihr nicht so ausschließlich widmen, wie sie sich mir widmet. Sie ist vierundzwanzig Jahre alt, ich fast dreiundsechzig. Sie hat vor mir noch keinen Mann geliebt, ich habe unzählige Male geliebt. Dann ist sie launenhaft, eine verzogene große Dame, eigensinnig, auffahrend.“

„Gerade wie Sie selbst,“ entgegnete ich. „Glauben Sie mir, Remeny, man muß Sie immer mit den Fingerspitzen anfassen; es ist nicht leicht, mit Ihnen umzugehen.“

„Ich weiß, ich weiß,“ sagte er aufbrausend; „ich will auch gar nicht für liebenswürdig gelten; ich überlasse dies anderen Leuten, die kein Remeny sind und Zuckerbrod essen.“

„Was denken Sie in der Sache zu thun? Sie müssen ein Unglück verhüten,“ sagte ich.

„Ach, sie wird schon ruhig werden,“ sagte er. „Lassen Sie ihre Nerven nur erst austoben!“

Er hatte kaum ausgeredet, als die Gräfin zur Thür hereintrat. Sie sah ganz verstört aus und blieb stumm an der Thür stehen, die großen Augen mit irrendem Ausdrucke auf Remeny geheftet. Sie war unheimlich anzusehen, und Remeny mochte sich meiner Bemerkung, sie habe die Absicht, sich und ihn zu tödten, erinnern. Er entblößte mit ruhiger Hand seine Brust, und die stolze Gestalt hoch aufgerichtet, sagte er:

„Du bist gekommen, mich zu tödten; ich bin bereit zu sterben; thue, wie Du willst!“

Da schrie sie auf und rief: „Nein, nein, ich bin keine Mörderin! Lebe wohl, aber ich muß sterben,“ und hielt ein Pistol, welches sie in ihrem Muff verborgen hatte, an ihr Ohr. Remeny stürzte auf sie zu und entriß ihr das Pistol, welches sich entlud und einen Spiegel zertrümmerte.

„Olga, Kind, sei ruhig,“ sprach er zu ihr, fest sie an sich drückend. „Ich lasse Dich nicht von mir, ich liebe Dich und will

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_510.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)