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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Thrakisch Füllen, sag, warum nur,
Scheu aus großem Auge blickend,
Fliehst Du grausam mich, und höhnest:
Gar nichts gilt er mir, der Thor!

Wisse denn! ich werde bald Dir
Um den stolzen Hals die Schlinge
Werfen und mit straffem Zügel
Tummeln auf der Rennbahn Dich.

Jetzt noch auf den Wiesen weilst Du,
Leichten Sprunges fröhlich scherzend;
Doch der rechte Ritter kommt Dir,
Kommt Dir bald, mein thrakisch Füllen!

Der rechte Ritter! ja wohl! noch nicht acht Wochen waren um, da war er angekommen, der rechte Ritter!

Ein dunkler Spätsommerabend, wie dieser. Männer, Weiber, Buben und Mädchen, Alle noch draußen auf dem Felde, denn es war Sonnabend, wie heute, und der große Weizenschlag mußte, wenn irgend möglich, fertig gemäht und die Garben mußten gebunden und in Hocken gestellt werden. Jetzt hatten sich die Leute gelagert, eine halbe Stunde zu ruhen und zu warten, bis der eben aufgehende Vollmond sich aus den trüben Dunstmassen losgelöst haben würde und sie die unterbrochene Arbeit wieder aufnehmen konnten. Und Curt und er hatten wacker mitgeholfen, ja Cäcilie hatte lachend ein paar Garben gebunden; dann hatten sie den Leuten das Bier zugetragen, das Vetter Boslaf aus dem großen Fasse verzapfte. Und es war ein Johlen und Singen gewesen, und ein Schäkern der Knechte und Mägde; aber jetzt waren sie still geworden, und Herr Wenhof hatte gemeint, wenn sie nicht bald wieder anfingen, schliefe ihm seine ganze Gesellschaft ein, und dann möchte er Den sehen, der sie wieder auf die Beine brächte. Aber Vetter Boslaf hatte gesagt, noch zehn Minuten müßten sie warten, dann sei der Mond klar; und Vetter Boslaf mußte es wissen. Und immer stiller wurde es in der Runde, so still, daß der Rebhahn meinte, es sei nun vorüber, und laut nach seiner überall hin zerstreuten Familie rief; so still, daß Gotthold das Schlagen seines Herzens zu hören glaubte, während seine Blicke an der holden Gestalt hingen, die dicht vor ihm, so daß seine Hand ihr helles Gewand hätte berühren können, auf einer Garbe saß und in den Mond schaute, dessen bleiches Licht ihr Gesicht sonderbar bleich erscheinen ließ. Nur ihre dunklen Augen leuchteten manchmal aus dem bleichen Antlitz auf, und dann durchschauerte es den Jüngling, als ob ihn ein Strahl aus der Geisterwelt getroffen habe. Ja, aus der Geisterwelt, in der er mit der Geliebten schwebte, hoch über dem irdischen Treiben, so hoch, wie die himmelsreine Phantasie eines Jünglings trägt, dessen Herz voll von einer großen heiligen Liebe ist. O Gott, wie grenzenlos er sie liebte! wie sein ganzes Wesen in dieser Liebe aufging! wie all sein Sinnen, Denken, Fühlen in diese Liebe strömte, von dieser Liebe getragen wurde! wie jeder Tropfen Blut, der durch sein klopfendes Herz floß, von dieser Liebe durchglüht war! wie jeder Hauch, der aus der gepreßten Brust über die heißen Lippen strich, nur immer athmete; ich liebe Dich, ich liebe Dich!

Und in diesem Augenblicke, wo die Himmel sich vor seinen verzückten Blicken aufthaten, und er weit hineinschaute in die Gefilde der Seligen – in diesem Augenblicke sollte der Schlag erfolgen, der ihm die Pforten zum Paradiese seiner Jugend für immer zuschmetterte und seinen Glauben an ein Hochheiliges, das in der Menschenbrust sicher wohnt, auf Jahre hinaus zerstörte. – „Es kommt Jemand zu Pferde,“ hatte der alte Boslaf gesagt, indem er an die Gruppe herantrat und nach dem Walde deutete. Es vernahm sonst Niemand etwas; aber das wollte nichts sagen; denn der Alte konnte ja das Gras wachsen hören. Und sie war aufgesprungen und hatte ein paar Schritte gethan und war dann lauschend stehen geblieben, und Gotthold hatte gesehen, wie sie beide Hände auf’s Herz preßte. Sein eigenes Herz stand still.

Er und Curt waren – in diesen Wochen vor dem nun glücklich bestandenen Examen – nicht in Dollan gewesen. Er hatte nichts erfahren von Allem, was während der Zeit hier geschehen, hatte nur eben von Curt flüchtig gehört, daß Karl Brandow zurück sei; aber jetzt wußte er: das Pferd, dessen flüchtigen Hufschlag auch er jetzt vernahm, trug Karl Brandow, trug ihn nicht zum ersten Mal die Meile von Dahlitz im Galopp herüber. Jetzt wußte er, was der veränderte Ausdruck ihrer Züge, der ihm heute so aufgefallen war, bedeutete – die träumerische Weichheit, die plötzlich einer sonderbaren Erregung wich; er wußte Alles, Alles und daß sein Tempel zertrümmert und sein Heiligthum entweiht. Und so stand er, unfähig sich zu regen, abseits da, während die Anderen den Reiter, der sich vom Pferd geschwungen, umringten, den schlanken Reiter, der sich jetzt aus der Gruppe loslöste – nicht allein! Er den Arm um sie geschlungen, sich flüsternd zu ihr hinabbeugend, sie sich an ihn schmiegend, kamen sie, sein nicht achtend, dicht an ihm vorübergestrichen, jede Linie ihrer Gestalten scharf abgezeichnet auf dem hellen Mondenhimmel, und dann sah er nichts mehr, hörte nichts mehr, und konnte sich später nur noch erinnern, daß er weit von der Stätte an dem dunklen Saum des Waldes lange, lange in dumpfer, fürchterlicher Verzweiflung lag, und dann aufsprang und durch den stillen, schwülen Wald schwankte, wie in einem schauderhaften Traum, ein paar Mal laut aufschreiend, wie ein gequältes Thier, bis er aus dem Walde heraus an den Strand des Meeres kam, das majestätisch, grenzenlos sich vor ihm hindehnte in die Mondennacht. Da warf er sich wieder hin in den Sand, aber jetzt hatte er Thränen gefunden, glühendheiße Thränen, die aber milder und milder flossen, als wäre das Plätschern der Wellen Wiegengesang für das arme zuckende Herz. Endlich hatte er sich auf den Knieen erhoben, die Arme weit ausgebreitet und sich mit einem langen brünstigen Gebet, zu dem das rauschende Meer die Worte gab, an die Allmutter gewandt, die ihr Kind nicht verlassen werde, wie er sie denn immerdar mit grenzenloser Liebe lieben wolle. – Dann hatte der alte Boslaf plötzlich an seiner Seite gestanden, er hatte ihn nicht kommen hören, und der Alte sagte auch nichts; – und so gingen sie schweigend nebeneinander rechts am Strande hin, bis sie zu dem einsamen Häuschen des Alten zwischen den Dünen kamen. Und da machte ihm der Alte ein kunstloses Lager zurecht, sorgsam, schweigend und strich ihm schweigend mit der Hand über das feuchte Haar, als er sich niedergelegt hatte, um eine Stunde zu ruhen und in den Mondenschimmer zu blicken, der durch das niedrige Fenster an der Wand über die Gewehre und ausgestopften Vögel und Netze und Angelruthen weiterrückte, bis das Rauschen der Wipfel auf der Uferhöhe und das Rauschen des Meeres ihn in Schlaf lullten.

Gotthold erwachte aus seinem Traum. Der Wagen stand. Die Pferde schoben in den Wald hinein, den der Weg hier auf eine kurze Strecke durchschnitt. Es war fast vollkommen dunkel, nur daß hier und da durch das dichte Gezweig der Buchen ein Strahl des eben aufgegangenen Mondes zitterte.

„Na, was haben denn die verdammten Mähren?“ sagte Jochen.

Rechts vom Wege rauschte und knackte es in dem dichten Unterholz, näher jetzt und lauter, immer näher in gewaltiger Eile, und nun brach es aus den Büschen heraus, wie im Sturmwind, eine dunkle, festgeschlossene und doch in sich bewegliche Masse, und krachte in das Unterholz auf der andern Seite – kaum gesehen, schon verschwunden, während die Pferde in wahnsinniger Angst sich im Geschirr bäumten und dann sich auf die Seite warfen, daß die beiden Männer, die vom Wagen gesprungen waren, ihrer nur mit äußerster Anstrengung Herr werden konnten.

„Das verdammte Rackerzeug!“ sagte Jochen, „und gerade hier ist mir das schon einmal passirt. Da sollte doch der Fürst ein Einsehen haben; aber das wird alle Jahre mehr, und wenn der alte Boslaf nicht noch manchmal ein Bischen dazwischen aufräumte, wäre es ja wohl gar nicht zum Aushalten Da, hören Sie!“

Links im Walde, wohin das Rudel seine Flucht genommen, ertönte, schon in ziemlich weiter Entfernung, der Knall einer Büchse.

„Das war er,“ sagte Jochen leise, „der braucht nur zu pfeifen, dann laufen sie ihm gerade in den Schuß. Ja, ja, Herr Gotthold, Sie meinten vorhin, es gebe nichts von der Art; aber den alten Boslaf werden Sie doch wohl ausnehmen. Der kann mehr als ein Kunststückchen, das ihm kein ehrlicher Christenmensch nachmacht.“

„So lebt der Alte noch?“ fragte Gotthold, während sie jetzt vorsichtig durch den Wald weiterfuhren.

„Ja, was sollte er nicht!“ erwiderte Jochen, „welche sagen ja, er kann so lange leben, wie er will. Na, das glaube ich nun

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