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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

auf das Deck eines deutschen Kriegsschiffs zu setzen. Mütter mit Säuglingen auf dem Arm, junge Mädchen, Männer, Frauen und Kinder drängten sich an Bord, wo die dienstthuenden Officiere nicht müde wurden, Erklärungen über Armirung etc. und namentlich über die gewaltigen Hinterlader zu geben. Auch Amerikaner besuchten zahlreich das Schiff, sogar der Bürgermeister der Stadt San Francisco und die commandirenden Generale des hier in Garnison liegenden Militärs, und zwar in officieller Stellung.

Am Sonntage und Montage, den 9. und 10. Juni, fand ein großartiges Minerfest in den „City Gardens“ statt, um unseren Gästen ein getreues Bild von dem Leben und Treiben in einem californischen Minenlager vor Augen zu führen. Etwa zweihundert von der Mannschaft und den Marinesoldaten der „Hertha“ marschirten in Begleitung einer starken Zahl alter californischer Goldgräber, worunter viele Amerikaner, durch die Hauptstraßen der Stadt nach dem Festplatze. Letztere bildeten, in echter Minerkleidung, eine höchst charakteristische Gruppe. Voran wurde die Bärenflagge getragen, das alte Wahrzeichen Californiens; dann kam der Präsident der Minergesellschaft, mit einem riesigen Goldklumpen in der Hand. Darauf folgten zwei Trapper, in mit Schnüren besetzten enganschließenden Lederhosen und Lederwamms und in vollständiger Hinterwäldlerausrüstung; dann ein Indianer nebst einer verwahrlost bekleideten Squaw, letztere mit den allen Indianerfrauen eigenthümlichen kurzen Schritten neben ihrem mit Hahnenfedern in dem schwarzen struppigen Haar, mit Perlenstickereien, Mocassins, elegant bemaltem Antlitz etc. auf’s Täuschendste copirten Gemahl hertrabend, der mit stoischer Miene die ihn bewundernde Straßenjugend musterte. Jetzt kam der Haupttheil des Zuges in groteskem Minercostüm, wilde Gestalten mit langem Haupthaar und riesigen Bärten, schwere Gewehre auf der Schulter und Revolver im Gürtel tragend, in breitkrämpigen, schlotterigen Hüten, mit Sackleinewand geflickten Hosen, bunten Hemden, langen Stiefeln etc., welche mit Lebensmitteln, Blechgeschirr, Minenwerkzeugen, Säcken Mehl, rohem Fleisch, Wolldecken etc. hochbeladene Packthiere an Stricken hinter sich her zogen, – ein treffendes Bild einer wandernden Goldgräbergesellschaft. Einen crassen Gegensatz zu dieser phantastisch gekleideten Schaar bildeten die zu zwei und zwei in langer geschlossener Reihe marschirenden Seeleute der „Hertha“, mit ihren weißen Mützen und flatternden Bändern daran, breiten Umschlagkragen und blauen, mit gelben Knöpfen besetzten Jacken, welche von den zu Tausenden an den Straßen stehenden Bürgern mit lautem Zuruf bewillkommnet wurden.

In den „City Gardens“ wurde ein bereits hergerichtetes Minenlager bezogen. Inmitten einer hin und her wogenden dichten Menschenmenge – es besuchten etwa fünfzehntausend Personen den Festplatz – wurde dort am Rande eines Teiches goldhaltige Erde ausgewaschen; den „Rocker“, die „Arrastra“, die „Sluicekasten“ (Goldwaschrinnen) sah man in Arbeit, um den Proceß des Goldgewinnens zu veranschaulichen. Es waren Preise für das beste Minen ausgesetzt worden und die Goldwäscher arbeiteten mit einem Fleiße, als befänden sie sich hier in einem berühmten „Digging“. Nebenan standen rohgezimmerte windschiefe Minerhütten, wo auf verwahrlosten Kochöfen „Flapjacks“ (eine Art primitiver Pfannkuchen) gebacken wurden und andere Miner Siesta hielten. Ein den Namen „Panama Hôtel“ führendes Gasthaus war von Boarders (Kostgängern) gefüllt, welche dort ein originelles Faullenzerleben führten und auf ein „Big Strike“ (eine riesige Goldentdeckung) warteten. In einem „Store“ wurden, nur für schnöden Goldstaub und zu fabelhaften Preisen, Kleidungsstücke und alle nur denkbaren Handelsartikel feilgeboten. Ein Schlachter hatte sich etablirt und verkaufte den ehrlichen Goldgräbern Hammelrippen etc. für Goldstaub; ein Friedensrichter schlichtete mit der Weisheit eines Solon Händel und Schießaffairen in einer Bude, die den Justizpalast vorstellte; in einer anderen Bretterbude, „Eldorado“ betitelt, wurde mit Karten und Würfeln Hazard gespielt, wobei nur mit Goldstaub und Goldklumpen eingesetzt werden durfte, und wo oft ein grimmiger Wortwechsel stattfand; Claims (Anrecht auf goldhaltigen Boden) wurden ausgesteckt, mancher kostbare Fund gemacht, – genug, es war ein Leben und Treiben wie in einem wirklichen Minenlager. Währenddessen wogte die lebendige Menge in den „City Gardens“ auf und ab; hier lagen groteske Gruppen von deutschen Bürgern mit ihren Gästen von der „Hertha“ auf dem grünen Rasen und im Schatten der Bäume, tranken schäumenden Gerstensaft und fangen und plauderten in froher Lebenslust, dort saßen Reihen von Männern, mit Frauen und Kindern, auf den Bänken. Die Schießstände, das Caroussel waren stets dicht belagert und auf einem unter dem freien Himmel aufgeschlagenen Bretterboden wurde zu rauschender Musik getanzt, daß es eine Freude war!

Ein anderes Bild! Ich befand mich an Bord des deutschen Kriegsschiffs, wo ich meinem Neffen (dem ältesten Sohne meines in Altona wohnenden Bruders, einem flotten „Unterlieutenant zur See“ auf der „Hertha“) einen Besuch abgestattet hatte. Er und seine Cameraden waren ganz entzückt über die liebenswürdige Aufnahme, welche ihnen von Seiten der Deutschen in San Francisco zu Theil geworden war. Wir spazierten auf der hohen „Capitainsbrücke“ langsam auf und ab und redeten von Californien und dem fernen Vaterlande, in unserer Nähe stand ein deutscher Marinesoldat, mit Zündnadelgewehr und in kleidsamer Uniform, und über die bereits dunkelnden Fluthen der weiten Bai blitzten in langen Reihen die Lichter der großen Goldstadt. Da ertönt aus der Ferne Musik, Raketen steigen in die Luft und es naht sich ein von farbigen Lampen glänzender Dampfer. Der Hurrahruf einer dicht auf ihm geschaarten Menschenmenge hallt immer lauter herüber, Schwärmer prasseln und knattern, Raketen auf Raketen sausen in die Luft und streuen zerplatzend, vom Himmel ihre bunten Sterne auf uns hernieder. Zweimal umfährt der Dampfer, auf dessen Vordertheil die Worte „Willkommen Hertha!“ in einem Lichtertransparent schimmern, das Kriegsschiff unter fortwährend prasselndem Feuerwerk; dann ertönen die Klänge des Liedes „Was ist des Deutschen Vaterland“ in schönem vierstimmigem Männergesang. Plötzlich erschallt die schrille Bootspfeife am Bord der Corvette und lautes Commandowort. Am Maste fliegt die deutsche Reichsfahne empor, Matrosen klettern eilig die Strickleitern hinan, lichte Flammen entspringen aus den Enden der Raaen, und Raketen sausen vom Deck hoch in die Luft, während das trefflich eingeübte Musikchor des Kriegsschiffs „Die Wacht am Rhein“ spielt und von der am Bollwerk dichtgeschaarten Mannschaft laute Hurrahs gegeben werden. Dem die „Hertha“ umkreisenden Dampfer ist bald darauf ein anderer, gleichfalls mit bunten Lampen geschmückter gefolgt, den die Turner in dichter Schaar besetzt hatten. Und nun wechselten Musik und Gesang auf den drei Schiffen mit einander ab, und dazwischen prasselte und knatterte das Feuerwerk und erschallten Hurrahrufe, beim Schwenken der Tücher herüber und hinüber, bis die von der Stadt gekommenen Dampfboote sich zur Heimkehr anschickten und unter den Klängen des herrlichen, im vierstimmigen Männerchor gesungenen Liedes „Lebe wohl, du schöner Wald“ (!!) allmählich wieder in das Dunkel entfernten.

Noch ein anderes Bild! – Die Scene spielt in dem jenseits der Bai in idyllischer Umgebung liegenden Landstädtchen Alameda, dessen patriotisch gesinnte deutsche Bewohner zu den Glücklichen gehörten, denen der Befehlshaber der „Hertha“ bei der ihm so kurz zugemessenen Zeit einen Tag für Festlichkeiten zu Ehren seines Commandos bewilligt hatte. Unter dem Geleit der stattlichen Compagnie des „San Francisco-Schützenvereins“ begaben sich am 11. Juni mehrere hundert Seeleute und viele Officiere dorthin, um im Grünen ein echtes deutsches Volksfest zu feiern. Die deutschen Frauen hatten daselbst alle Gärten von Blumen geplündert und im Fahnenschmuck einen überaus anmuthigen Festplatz geschaffen. Jedem Officier und allen Seeleuten wurde bei ihrer Ankunft ein schöner Blumenstrauß überreicht. Der wackere Capitain Köhler von der „Hertha“, ein schlichter, echt deutscher Seemann, den Jeder, der ihn kennen lernte, hochschätzen mußte, wurde bei seinem Eintritt mit einer herzlichen Ansprache empfangen und von jungen Mädchen mit einer prächtigen Blumenguirlande umkränzt. Alle Standesunterschiede waren an diesem Tage verschwunden. Auf dem unter dem grünen Laubdache einer riesigen Lebenseiche aufgeschlagenen getäfelten Boden drängten sich bei den Klängen einer rauschenden Musik Officiere und Matrosen, californische Bürger, Frauen und Mädchen aller Stände im fröhlichen Reigen zwischen einander. Patriotische Reden wurden gehalten, Hochs ausgebracht auf den Kaiser Wilhelm, die Officiere und Mannschaft der „Hertha“, auf Californien, das einige Deutschland etc., und es herrschte ein gehobener Ton, der Jedem der Anwesenden das Herz warm machte. Einer von den Matrosen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_523.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)