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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

durch etwas geneigtstehende Leitern oder Fahrten so miteinander verbunden, daß der Ein- und Ausfahrende bei etwaigem Ausgleiten niemals den ganzen Schacht hineinfallen kann, sondern auf der nächstunteren Bühne auftrifft. In dem vierten, dem Kunstschachttrumen, sind die Pumpen zum Herausschaffen des Wassers aus der Tiefe eingebaut. Der fünfte und letzte Schachttrumen ist von dem ganzen anderen Schachtraum luftdicht (wetterdicht) getrennt und dient zur Herstellung der Luft- oder Wettercirculation. Diese Schachteintheilung ist nur dann eine andere, wenn zu dem Abbaue eines und desselben Grubenfeldes, wie jetzt gesetzlich, wenigstens zwei oder mehrere Schächte im Betriebe, und wenn die verschiedenen Functionen, die allemal erheischt werden, dann unter den einzelnen Schächten vertheilt sind. Das Ein- und Ausfahren wird, hauptsächlich bei tiefen Schächten, jetzt gewöhnlich dadurch erleichtert, daß entweder von Seiten der zuständigen Behörde und unter Berücksichtigung der nöthigen Vorsichtsmaßregeln das Fahren auf dem Fördergerüst, am Schachtseile und durch Dampfmaschine gestattet wird, oder daß für das Ein- und Ausfahren eine ebenfalls durch Dampfkraft bewegte besondere Maschinerie, eine sogenannte „Fahrkunst“, eingebaut wird; jedoch wird immer die zuerst beschriebene gewöhnliche Fahrt in Reserve gehalten.

Die Zimmerung des Fundgrubenschachtes war an dem Unglückstage einige Stunden nach dem Einfahren der Leute in einer Tiefe von 68 Meter unter Tage zusammengebrochen. Die hereingebrochenen Massen, erst das zerbrochene Holz und dann das lose Gestein dahinter, waren anfangs in die Tiefe gestürzt und hatten einen Theil der noch guten Zimmerung mit fortgerissen, bis sich, wie bei dem jetzt glücklich vollbrachten Wiederaufgewältigen des Schachtes nachgewiesen worden ist, das weiterbrechende Holz in einer Tiefe von 253 Meter unter Tage, in der von dieser Stelle abwärts noch ziemlich guten Wandruthenzimmerung, so fest verspreizt hatte, daß diese Verspreizung die ganzen später hereingebrochenen Massen gehalten hat. Unterhalb dieser Verspreizung, also in der Tiefe von 253 Meter abwärts, wurde der Schacht ziemlich frei von hereingebrochenem Gestein gefunden. Das Wiederaufgewältigen hat ferner nachgewiesen, daß der Bruch selbst eine Ausdehnung in verticaler Richtung von 56,5 Meter hatte, er erstreckte sich von 35,5 Meter bis 92 Meter unter Tage, hatte sich also auf- und abwärts vergrößert. Was der Bruch von der Verspreizung aufwärts nicht zugefüllt hatte, war nach dem Aufgeben aller Rettungsarbeiten und um den Schacht zu erhalten, später von über Tage aus hineingefüllt worden. Als nun der jetzige Besitzer durch Ankauf in der Subhastation im Sommer des Jahres 1869 das Grubengebäude erworben, ließ er, nachdem mehrere Sachverständige dies befürwortet, mit der Wiederaufnahme und Aufgewältigung dieses Schachtes und zugleich auch mit der Abteufung eines neuen Schachtes beginnen, und es ist nach rastloser und mühevoller, ziemlich dreijähriger Arbeit gelungen, den alten Schacht wieder herzustellen und seiner Bestimmung zurückzugeben. Zuerst traf man bei 40 Meter unter Tage auf das aus der Tiefe heraufgestiegene Wasser; es war also der ganze Bau, soweit es die abgeschlossene und zusammengepreßte Luft nicht verhinderte, unter Wasser gesetzt, so daß von nun an die Pumpen wieder in Betrieb genommen werden mußten.

Die größte Schwierigkeit bei der Wiederherstellung des Schachtes bestand darin, den zusammengebrochenen Theil des Schachtes, in welchem die festen Schachtwände (Schachtstöße) fehlten, an denen der Stützpunkt für den Ausbau genommen wird, zu durchsinken und von Neuem ganz zuverlässig zu verwahren. Diese Schwierigkeit wurde noch dadurch vermehrt, daß die Bergleute beim Arbeiten sich nicht auf das verlassen konnten, was sie zu ihren Füßen hatten: einen mit Wasser gefüllten tiefen Abgrund! Sie mußten, um gesichert zu sein, mit einem Bauchgurt arbeiten, dessen Seilende nach oben verwahrt war.

Trotz aller dieser Mühseligkeiten und Gefahren ist das Werk gelungen. Der Schacht ist von Neuem erstanden, die alte Zimmerung in demselben ist vollständig beseitigt und durch neue und kräftigere ersetzt worden. Die Bruchstelle des Schachtes, sowie ein Stück darüber und ein Stück darunter, ist mit einer 0,85 Meter starken und auf großen Spannbogen ruhenden Mauer solid verwahrt.

Ein „Glückauf!“ den wackeren Männern, die diese Arbeit glücklich vollbrachten! Im October vorigen Jahres erreichte man bei 253 Meter unter Tage das Ende der Verspreizung und den von hereingebrochenem Gestein freien Schacht. Das schwerste Stück Arbeit hatte man hinter sich; es galt jetzt nur noch das Wasser nach und nach herauszuschaffen und die Zimmerung auszuwechseln. So fand man dann auch in diesem freien Schachte im November vorigen Jahres 256 Meter unter Tage auf der zweiunddreißigsten Fahrbühne liegend die erste Leiche und zwar – als ein Skelet, an welchem von Fleischüberresten wenig oder gar nichts zu sehen war; nur an den Bein- und Fußknochen, welche sich noch in den Stiefeln befanden und dadurch jedenfalls vor der Verwesung mehr geschützt wären, zeigten sich noch Fleisch- und Muskelfaserspuren. Bei der Berührung fiel das Skelet auseinander, die einzelnen Knochentheile hielten nicht zusammen, ebensowenig bot auch der ziemlich stark verweste Anzug einen Zusammenhalt. Erst an der dabei liegenden Uhr erkannte man in der Leiche den Häuer Burkhard.

Wer sich noch des ungeheuren, ja fürchterlich klingenden Getöses im Schachte erinnert, das an dem Unglückstage die über Tage um den Schacht Stehenden erschreckte und öfters verscheuchte, der wird den Muth anstaunen und nicht fassen können, der diesen braven Mann zu solchem überaus gefährlichen Wagstück trieb, sich in den zusammenstürzenden Schacht hineinzubegeben. Es war ihm darum auch nur noch einer seiner Cameraden gefolgt, dessen Leiche in ganz ähnlicher Beschaffenheit wie die des Ersten im December vorigen Jahres dreihundertsiebenzehn Meter unter Tage, auf einem Einstriche sitzend, gefunden wurde. Diese beiden Leichen waren damals vorläufig in einer Todtenhalle am Schachte untergebracht worden.

Im Monat Juli dieses Jahres erreichte man endlich das Füllort des obern Querschlages. Hier dürfte wieder eine kurze Erklärung, zum bessern Verständniß des Nachfolgenden, nöthig sein. Man unterscheidet bei den unterirdischen Räumen eines Kohlenberggebäudes in der Hauptsache erstens: den Schacht, das ist der schon beschriebene Bau, der von über Tage senkrecht in die Tiefe führt; zweitens: die Füllörter, das sind die Räume unmittelbar am Schachte (nicht im Schachte), in welchen die Fördergefäße oder von welchen aus die Fördergerüste im Schachte gefüllt werden; drittens: zusammenhängend mit jenen, Querschläge und Strecken (unterirdische Gänge), welche erstere immer horizontal und letztere auch fallend und steigend gehend nach den eigentlichen Abbauen in den Kohlenlagerstätten führen. Der „Fundgrubenschacht“ hatte nun zwei Füllörter, ein oberes, 423,6 Meter unter Tage, und ein tieferes, 467,8 Meter unter Tage, und diese waren theils durch den senkrechten Schacht, theils abseits von diesem durch Querschläge und Strecken mit einander verbunden, so daß man also vom tiefen Füllorte nach dem obern Füllorte, ohne den Schacht zu passiren, gelangen konnte.

Als man nun zu Anfange dieses Monats das Wasser soweit gewältigt hatte, daß das obere Füllort nach und nach frei wurde, fand man die Leichen auf dem Füllorte und in dem daran stoßenden Querschlage neben einander und über einander geschichtet liegen: ein Beweis, daß sämmtliche Bergleute, auch die aus den tieferen Räumen, sich nach diesem oberen Füllort geflüchtet hatten. Die ursprüngliche Lage der Verunglückten konnte nur bei einigen bestimmt erkannt werden. Die in der Mitte des Füllorts gefundenen Leichen schienen stehend vom Tode überrascht und dadurch über einander gelegt worden zu sein. Einige hatten auf einem quer über das Füllort gelegten Balken gesessen und waren im Tode von demselben herunter gerutscht, so daß beim Auffinden die Füße noch auf dem Balken hingen. Die Leichen waren in der Verwesung fast ebenso weit vorgeschritten, als die beiden zuerst gefundenen, nur etwas mehr schlammige Fleisch- und Muskelfaserüberreste fanden sich an ihnen vor.

Jedenfalls hat das nach und nach aus der Tiefe heraustretende Wasser, welches die tiefer liegenden Leichen früher erreicht hatte, deren Verwesung früher unterbrochen. Bei einer der Leichen, die anscheinend von einem Individuum mit starkem Körperbau herrührte, war der hintere Theil besonders gut erhalten. Sonst bestanden in der Hauptsache die Fleischüberreste nur aus schlammigen übelriechenden Massen, die theilweis noch in den von Fäulniß zersetzten Kleidern hingen. Alles war übrigens mit einer Schlammschicht umgeben, so daß die Zusammengehörigkeit der einzelnen Theile der Leichen nicht bestimmt werden konnte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_529.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)